Immer, wenn irgendwo ein Verbrechen geschieht, taucht garantiert ein Politiker auf, der höhere Strafen fordert. Logisch ist das nicht, denn kein Messerstecher schaut in das Strafgesetzbuch, bevor er im Suff, im Wahn oder aus purer Aggression zusticht, kein Einbrecher überlegt vor dem Einbruch, welche Strafe darauf steht, sondern nur, wie er nicht erwischt wird, kein notorischer Raser schaut ins Strafgesetzbuch, sondern eher auf die Radar-Warner-App.

Dabei weiß jeder: es gibt schon Strafen für alle Straftaten. Lücken gibt es da nur selten. Besonders wenn es um Straftaten gegen Kinder geht, kann sich jeder Politiker sicher sein, mit der Forderung nach höheren Strafen Punkte zu machen. Die Bild-Zeitung ist mit ihrer Hetze und ihren Kurztexten für Analphabeten immer dabei.

So geschah es auch bei der Strafverschärfung bei Kinderpornografie. Kein Zweifel: eine schlimme Sache. Aber auch hier gab es schon einen Strafkatalog. Die Große Koalition stufte 2021 den Besitz von Kinderpornografie mit der Verschärfung von Paragraf 184b Strafgesetzbuch zum Verbrechen hoch. Verbrechen bedeutet, dass eine Mindeststrafe von einem Jahr droht. Und da haben Staatsanwaltschaften und Gerichte keinen Spielraum mehr. Nicht Fachleute, nicht Juristen, sondern Politiker, die sich für ihre Law-and-Order-Politik feiern und wählen lassen wollen, haben dieses Gesetz gemacht. Sehr gut, sagt da der Populist.

Und wundert sich, wenn er plötzlich ohne Verschulden verurteilt wird. Oder sein 14jähriger Sohn vor Gericht steht, weil er und seine 13jährige Freundin sich Nacktfotos geschickt haben. Nach dem Gesetz ist das strafmündige Kind dann im Besitz von Kinderpornografie und damit ein Verbrecher.

Bekannt wurde jetzt ein Fall einer Lehrerin (die Tagesschau berichtete). Eine 13 Jahre alte Schülerin schickte ein von sich selbst angefertigtes intimes Video ihrem Freund, der es weiter schickte. Das Video machte die Runde an ihrer Schule und als eine Lehrerin davon erfuhr, ließ sie sich das Video ebenfalls auf ihr Handy laden, um die Mutter des Mädchens und die Polizei zu informieren. Die informierte die Staatsanwaltschaft, die jetzt gegen die Lehrerin ermittelt. Nun droht ihr mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe und der Verlust ihres Jobs. Weil der Besitz von Kinderpornografie ein Verbrechen ist und das Gesetz keine Ausnahmen oder Strafminderungsgründe vorsieht. Die Staatsanwaltschaft sagt, sie hätte sich das Video nicht als Beweismittel schicken lassen dürfen, sondern nur die Polizei darüber informieren dürfen.

Im Lawblog schreibt der Rechtsanwalt Udo Vetter: „Bleibt nur die Frage, was mache ich mit dem Inhalt, der mir über eine Chatgruppe aufs Handy gespült worden ist – und der sich jetzt im Speicher des Handys befindet? Ich kann in diesem Punkt nur eine dringende Warnung aussprechen: Geht damit nicht zur Polizei.“

Und das ist angesichts der verkorksten Rechtslage ernst gemeint. Wenn jemand als Mitglied in einer WhatsApp-Gruppe ein kinderpornografisches Video oder Foto erhält, sollte er/sie sicherstellen, dass die Datei wirklich gelöscht ist. Wenn die Handyinhalte automatisch in einer Cloud gespeichert werden, sollten auch dort die Dateien gelöscht werden. Es hilft im Fall des Falles nicht, wenn man behauptet, man wisse gar nicht, was eine Cloud ist. Oder es hilft auch nicht, wenn das Foto nicht als kinderpornografisch erkannt wurde.

Der ständige Ruf nach Strafverschärfungen hat heutzutage die fachpolitische Diskussion über sinnvolle Strafrechtsreformen ersetzt. Das Hauptziel des Strafrechts ist es, Leben, körperliche Unversehrtheit, Eigentum, Würde und Ehre eines Menschen, Vermögen sowie den Rechtsfrieden zu schützen. Durch die Strafgesetze soll der Bestand der geltenden Rechtsordnung gewährleistet werden, was durch die darin vorgesehenen Bestrafungen funktioniert. Die Nulltoleranzpolitik und die Todesstrafe haben die USA z. B. nicht sicherer gemacht. Es ist das Land mit den meisten Toten durch Schusswaffen. Den Schreiern nach immer drastischeren Strafen geht es nicht um den Rechtsfrieden, sondern um Rache und Unterdrückung, kurzum um ihren Hass. Dem populistischen Ruf nach immer härteren Strafen sollte man sich endlich entgegen stellen. [jdm]