Civil Courage

Stefan Eikens, der Vorsitzende des DGB Kreisverbands Nördliches Emsland, konnte auf der gut besuchten Kundgebung zum Antikriegstag auf der Begräbnisstätte Esterwegen einen Redner und mit der Band Civil Courage erstmals auch eine Rockband – allerdings hier unplugged – anbieten. Civil Courage, die neben anderen Stücken auch das Moorsoldatenlied in einer eigenen Interpretation spielten, warben für ihr Benefizkonzert für die Ahrtalhilfe am kommenden Sonntag ab 18 Uhr in Herzlake.

Eikens sagte in seiner Eröffnungsrede, jeder Krieg sei ein Angriff auf die Menschlichkeit. Deshalb setze sich die Gewerkschaftsbewegung schon immer für Rüstungskontrolle, Abrüstung und soziale Gerechtigkeit ein. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine sei ein Angriffskrieg und die Ukraine habe jedes Recht auf Selbstverteidigung. Es sei aber ein Irrglauben, dass immer mehr Waffen zur Beendigung des Krieges führen würden.

In Anlehnung an Brandts Worte „mehr Demokratie wagen“ forderte er, mehr Diplomatie zu wagen. Militärische Konflikte brächten großes Leid. Die Solidarität des DGB gelte den Menschen, die auf der Flucht vor dem Krieg seien. Das gelte unabhängig von ihren Ansichten, ihrer Hautfarbe oder ihrer sexuellen Orientierung.

Antikriegstag 2023

Die Waffen müssten in der Ukraine endlich schweigen, sonst steige die Gefahr eines Atomkriegs. Jeder Euro zusätzlich für Aufrüstung fehle an anderer Stelle, z. B. beim Kampf gegen die Klimaveränderung, der keinen Aufschub dulde. Er sprach sich gegen das Ziel der Nato, mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Militär auszugeben. „Solidarität statt Rechtsextremismus! Die Welt braucht Frieden!“

Als Hauptredner der Veranstaltung hatte der DGB Prof. Habbo Knoch, Vorsitzender des DIZ Emslandlager e.V., gewonnen.

„Fünf mal Mut, um für den Frieden zu kämpfen“: Dazu wolle er in seiner Rede etwas sagen.

Prof. Habbo Knoch

1933 kam der Nationalsozialismus in Deutschland an die Macht. Nur sechs Jahre später begann der Zweite Weltkrieg. Es brauchte damals Mut, um die Demokratie zu verteidigen und für den Frieden zu kämpfen.

Als Beispiel eines Mutigen beschrieb Knoch das Schicksal des vor neunzig Jahren, am 2. September 1933, von der die SS unweit des KZ Esterwegen ermordeten schlesischen Reichsbanner-Funktionärs Hans Alexander, der die Weimarer Republik verteidigen wollte. Der Sozialdemokrat jüdischer Herkunft Alexander sei das erste bekannte Todesopfer in den emsländischen Konzentrationslagern, die zwischen Juni und Oktober 1933 in Börgermoor, Esterwegen und Neusustrum mit Häftlingen belegt wurden.

Die SS-Leute hatten den zuvor misshandelten Alexander auf der „Flucht erschossen“. In einem Augenzeugenbericht nach dem Mord heißt es: „Acht Gefangene mussten den erschossenen Alexander auf Schlothagenstiele, die langen Stiele für Jaucheschöpfer, legen und ihn ein Stück tragen. (…) Otto Eggerstedt (SPD-Reichtstagsabgeordneter und ehemaliger Polizeipräsident von Hamburg-Altona, der selbst am 12. Oktober als Häftling des KZ Esterwegen umgebracht wurden) wurde gezwungen, den toten Alexander abzuwaschen, und die Juden mussten ihn anziehen.“

Hans Alexander wurde nach Breslau überführt. Spontan demonstrierten bei der Trauerfeier tausende Arbeiter mit Rufen wie „Heil Freiheit!“ oder „Rache!“. Diese Arbeiter brauchten Mut, um sich gegen den Hass aufzulehnen und die Menschlichkeit zu bewahren. Den Nationalsozialisten war diese öffentliche Aufmerksamkeit ein Dorn im Auge. Ebenso, dass Berichte über die Mordtaten im Inland und Ausland zirkulierten.

Als die noch verbliebenen Wuppertaler Kommunisten vom Mord an ihrem Funktionär Otto Böhne erfuhren, der im KZ Kemna und auf dem Weg in das KZ Börgermoor so schwer misshandelt wurde, dass er am 25. Februar infolge seiner Verletzungen im Papenburger Marienhospital verstarb, fertigten sie Handzettel an und verteilten sie in Böhnes Nachbarschaft.

Die SS mordete aus Hass und Rachelust gegen prominente linke Politiker, aber auch aus Hass, der sich erst im Lager speiste. Der unbändige Hass der Nationalsozialisten war umfassend, oder wie 1933 der Schriftsteller Heinrich Mann erbittert feststellte, Deutschland war zu einem „Haßland“ geworden.

Wohin der Haß führen würde, war vielen in der Opposition rasch klar. So war schon in der ersten Nummer der kommunistischen Zeitschrift „Der Gegen-Angriff“, die Ende April 1933 im Prager Exil erschien, zu lesen: „Rüsten als Ausweg aus der Krise, heißt aber Krieg als Ausweg aus der Krise. Krieg ist der letzte Programmpunkt der hitlerschen Zirkusvorstellung.“

Die Gefangenen in dem KZ Esterwegen und in den emsländischen Strafgefangenenlagern brauchten Mut, um die Drangsal auszuhalten und die Tortur zu überleben.

Es kam im KZ Esterwegen und in den emsländischen Strafgefangenenlagern weiterhin zu zahlreichen Morden. Aber bei manchen Prominenten änderte die SS ihre Gewaltpraxis. Sie wurden zwar weiterhin schikaniert, aber am Leben gehalten und mussten eine oft jahrelange Odyssee durch mehrere Konzentrationslager durchstehen. Die langjährige Haft sollte sie alle zermürben, in den Selbstmord treiben und ihren Tod wie einen natürlichen aussehen lassen.

Die Menschen in Deutschland brauchten auch Mut, um sich von falschen Versprechungen der Nazis zu lösen und eine menschliche Zukunft zu denken. 

Hanns Eisler, der 1935 das „Moorsoldatenlied“ neu vertont und mit ins amerikanische Exil genommen hatte, komponierte 1936 aus Bertolt Brechts Gedicht „Gegen den Krieg“ eine Chorfassung a capella als eindringliches Antikriegslied. Der Text warnt vor den falschen Versprechungen der Reichen und Mächtigen: „Wenn die Ob’ren von Ehre reden, weiß das gemeine Volk, dass es Krieg gibt.“

Heinrich Mann schrieb 1936: „Er hat sich selbst, seine Herrschaft und sein Reich abhängig gemacht vom Krieg: ohne den Krieg stürzt er“. Jetzt müsse, so Mann wenige Monate später, „die Humanität verteidigt werden gegen Angreifer, die sie vernichten wollen. (…) Antifaschismus bedeutet Menschlichkeit.“

Unter dem Eindruck des vergangenen Krieges und im Zeichen einer drohenden atomaren Katastrophe dichtete Johann Esser, der 1933 den Text des „Moorsoldatenlieds“ verfasst hatte, folgende Zeilen: „Wenn ich tausend Leben hätte, und die Wahl, sie hinzugeben, käm‘ nicht eines auf die Stätte, die nur Grauen lässt erleben.“

Nach dem Krieg brauchte es wieder Mut, um sich gegen das Vergessen zu wehren und die Erinnerung an die Verfolgten zu leben. Knoch erinnerte an die Versuche der Verantwortlichen der Nachkriegszeit, Gras über die Gräber und die Reste der Lager wachsen zu lassen, auch über die Begräbnisstätte in Esterwegen. Erst durch den Protest der Überlebenden sah sich die zuständige Verwaltung genötigt, sich um die Gräberanlage zu kümmern.

Auch weil das Lager in Esterwegen nicht zugänglich war, entwickelte sich der Friedhof zu einem wichtigen Symbol des Widerstands der ehemaligen Verfolgten gegen das Vergessen in der Region wie in der Bundesrepublik insgesamt. Als 1963 auch noch die Essener Gewerkschaftsjugend einen Gedenkstein für Carl von Ossietzky ohne ausdrückliche Genehmigung der Behörden setzte, ließ sich das Ziel nicht mehr umsetzen, den Friedhof einzuebnen.

Von den 1960er bis in die 1980er Jahre waren es verschiedene Bürgerinnern und Bürger – die Zivilgesellschaft zusammen mit der Lagergemeinschaft und anderen Überlebenden der Emslandlager sowie ihren Angehörigen – und ausdrücklich weder Staat noch Kommune, die sich gegen das Vergessen, gegen Geschichtsklitterung und gegen eine erneute Diffamierung der Opfer wandten. Verstetigt werden konnte dieses Engagement durch die Eröffnung des Dokumentations- und Informationszentrums Emslandlager in Papenburg 1984.

Knoche: „Mit größter Irritation nehme ich zur Kenntnis, dass die Stiftung Gedenkstätte Esterwegen seit Jahren und zuletzt vermehrt an vielen Stellen versucht, das DIZ und damit auch eine breite, diverse Trägergemeinschaft des Gedenkens und Erinnerns an die Opfer der Emslandlager gänzlich zu verschweigen, ins Vage zu stellen und aus der Geschichte auszuradieren. Das ist nicht nur eine skandalöse Form regionaler Geschichtspolitik, sondern auch ein Affront gegen die Opfer, die Überlebenden und die Angehörigen.“

Der Mut, den es dafür brauchte, um die Erinnerung an die Emslandlager in der Region zu etablieren, war ein anderer als derjenige, den die Verfolgten, Exilierten und andere Gegner von Terror und Krieg während des Nationalsozialismus aufbrachten.

Als er 1983 zum ersten Mal auf diesem Friedhof bei einer Gedenkveranstaltung war, habe er beim Anblick der kurz zuvor eingerichteten „Gedenkhalle“ begriffen, dass ein liebloses, abstraktes und schweigendes Gedenken nicht ausreichen kann. „Ich habe mich mit dem Mut der Verfolgten, die in den folgenden Jahren kennen lernen durfte, solidarisch gefühlt.“

Er glaube, dass es dieses Band der Solidarität sei, das eine tragende, institutionelle Rolle der Zivilgesellschaft in der Gedenkstättenarbeit, wie sie das DIZ seit vierzig Jahren verkörpere, auch in Zukunft unverzichtbar macht. Weil durch sie spürbar werde, was es heiße, nicht im staatlichen Auftrag, sondern als Bürgerin und Bürger dem Mut nachzuspüren. [jdm]