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Sinti und Roma sind Emsländern heute im Alltag fast völlig unbekannt. Und das liegt nicht daran, dass wir den Rassismus derart überwunden hätten, dass wir nicht mehr auf die Zugehörigkeit zu dieser Minderheit achten würden. Das RomArchive, das Archiv der Minderheit der Sinti und Roma, möchte jetzt mehr Sichtbarkeit schaffen.

Wenn wir heute kaum Sinti und Roma kennen liegt es eher daran, dass die Nazi-Herrschaft fast alle Angehörigen dieser Minderheit ermordet hat. Die Roma haben für diesen Völkermord den Begriff „Porajmos“ (deutsch: „das Verschlingen“) analog zum Begriff der Shoah.

Namensverzeichnis der Zigeuner im Emsland (18. Jahrhundert) von Holger Lemmermann
Namensverzeichnis der Zigeuner im Emsland 18. Jahrhundert
„Zigeuner und Scherenschleifer im Emsland von Holger Lemmermann

Der Sögeler Holger Lemmermann veröffentlichte schon 1986 sein Buch über die „Zigeuner und Scherenschleifer im Emsland“, das vom Emsländischen Heimatbund herausgegeben wurde. Es zeigt die Lebensverhältnisse der Sinti im Emsland bis Mitte des 19. Jahrhunderts auf und enthält auch ein „Namensverzeichnis der Zigeuner im Emsland (18. Jahrhundert)“ (Auf Lemmermanns Homepage gibt es eine 153 Seiten lange Genealogie der Zigeuner und Scherenschleifer-Familien). Die Sinti bzw. Roma, als ungefähr 1400 nach Deutschland eingewanderte Volksgruppe, erlebten nur kurze Zeiten der Akzeptanz; zumeist war es der in Stände von Handwerkern, Adeligen, Bauern und Beamten gegliederten Gesellschaft nicht möglich, neu ankommende Menschen zu integrieren und sie reagierte mit Verfolgung. Lemmermann beschreibt, wie die „Vagabunden“, zu denen auch die „Scherenschleifer“ gehörten, von den Obrigkeiten gefasst, ausgepeitscht (Ausstäupung) , gebrandmarkt, an den Ohren geschlitzt und anderweitig gemartert wurden, bevor sie über eine der zahlreichen Grenzen abgeschoben wurden, worauf ihnen das Gleiche erneut passierte.

Was Lemmermann beschreibt, geschah noch weit vor dem Völkermord an den Roma. Jetzt nach 75 Jahren Bürgerrechtsbewegung, sind die Verhältnisse andere. Aber für die Rechte der Minderheit der Sinti und Roma einzutreten und rassistischer Hetze öffentlich entschieden entgegenzutreten, ist immer noch nötig. Dazu gehöre, wie das Deutsche Institut für Menschenrechte erklärte, auch, »eigene Haltungen und diskriminierende Praktiken zu hinterfragen und zu einer gleichberechtigten Teilhabe von Sinti und Roma in Deutschland beizutragen«. Zu den Toten des rassistischen Anschlags von Hanau am 19. Februar 2020 gehörten auch drei junge Sinti und Roma.

Seit Januar 2020 sind die Kunst und Kultur der Sinti und Roma jetzt online. Das Romarchive, dessen Träger der Zentralrat  Deutscher Sinti und Roma ist, soll die Kultur der Sinti und Roma sichtbar machen und auch sammeln. Dabei steht im Vordergrund, dass die Macher dieses Archivs auch selbst Angehörige der Minderheit sein sollen, um ethnisierende und rassifizierende Darstellungen zu verhindern. Wie einer der Kuratoren des Archivs, André Raatzsch in der Juli-Ausgabe der Antifa schreibt, gebe es bei vielen Roma Ängste vor einer Archivierung und Sammlung von Daten. Die Nazis erfassten die Vorfahren in Archiven und Datenbanken, die die Grundlage für die spätere Inhaftierung, Deportierung und Ermordung bildeten.

Das Romarchive lädt zum Stöbern zur Thematik ein. So gibt es zwei „Touren“. Die eine beschäftigt sich damit, wie Roma gesehen werden und sich selbst sehen. Dort wird z. B. erklärt, warum der herabsetzende Begriff „Zigeuner“ abgelehnt wird und die Selbstbezeichnung Roma und Sinti auch als Fremdbezeichnung durchgesetzt werden soll. Eine zweite Tour erinnert an Orte und Begebenheiten des Völkermords. Hierbei bitte nicht die kleinen Symbole für die Audio-Erklärungen zu den Bildern und Dokumenten übersehen!

Im Bereich „Kuratierte Sektionen“ werden Themen aus Kultur und Geschichte aufbereitet. Es findet sich dort ein geschichtlicher Abriss der Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma, die sich erst nach 1945 langsam entwickelte. Ein Meilenstein war die erste öffentliche vom »Verband Deutscher Sinti« veranstaltete Demonstration gegen die Diskriminierung von Sinti und Roma, nachdem der Sinto Anton Lehmann 1973 in Heidelberg von der Polizei erschossen worden war. Hier zeigt sich tatsächlich eine Parallele zur jetzigen Diskussion über Rassismus bei der Polizei anlässlich der Ermordung des Schwarzen George Floyd in den USA. Diese ersten noch vorsichtigen Schritte hatten eine politisierende Wirkung auf eine größere Zahl von Minderheitsangehörigen. Erst seit Anfang der 1980er Jahre zeigten sich Erfolge bei der Anerkennung, Entschädigung, Erinnerung an den nationalsozialistischen Völkermord an der Minderheit sowie den Abbau von Diskriminierungen. 1982 erkannte die Bundesregierung die nationalsozialistischen Verbrechen an den europäischen Sinti und Roma erstmals als Völkermord an.

Das Archiv kann über verschiedene Sammlungen erschlossen werden. Oder man benutzt die vorgegebenen Begriffe, um sich ein Thema zu wählen. Oder man wählt die Freitextsuche. Wie auch immer: Es wird einem ein sehr buntes Spektrum von Text-, Bild- und Tondokumenten angezeigt. [jdm]