Zielscheibe mit Geld und einem Opfer

(Überschrift: Treffe keine Annahmen. Du könntest dich und mich zum Arschloch machen)

Der Ukraine-Krieg dauert jetzt über drei Jahre, und ein Ende ist nicht abzusehen. Die russische Seite hat ihre Kriegsanstrengungen intensiviert. Der Westen will nachziehen und die Ukraine (nun doch) mit weitreichenden Luftangriffssystemen wie den deutschen Flugkörper „Taurus“ ausrüsten. Eine politische Lösung durch Verhandlungen scheint in weite Entfernung gerückt. Man setzt auch in Deutschland auf Krieg. Die einzigen, die eine Veränderung in dieser Haltung bewirken könnten, wären die Bürger. Dass das in einer Demokratie möglich ist, hatte der amerikanische Vietnamkrieg gezeigt. Der Aufstand der Bürger in den USA gegen den Krieg hatte die Nixon-Regierung gezwungen, mit dem „bösen“ Gegner, dem kommunistischen Nordvietnam, zu verhandeln. Die Anti-Kriegsbewegung hatte auch bei uns Hunderttausende von Menschen auf die Straße gebracht. Heute gibt es keine Kriegsgegner, die demonstrieren.

Öffentlichkeit und die politische Klasse bei uns sind im Schulterschluss, wenn es darum geht, die russische Aggression in der Ukraine durch Krieg zu beenden. Ursache dieses unheilvollen Bündnisses ist die mediale Berichterstattung über den Krieg. Man bedient sich Annahmen, anstatt sich um eine faktische Darstellung zu bemühen. Die Killer-Annahme ist die, dass man Putin unterstellt, er wolle die Ukraine erobern, um dann Europa militärisch zu bedrohen. Was Herrn Putins Absichten waren, als er in die Ukraine einmarschiert ist, darüber wird in bestimmten Foren durchaus kontrovers diskutiert und soll in diesem Artikel nicht das Thema sein. Mir geht es auch nicht darum, die Unrechtmäßigkeit des Einmarsches weichzuspülen. Er war ein Bruch des Völkerrechts. Mir geht es darum, Annahmen in den Medien bloßzustellen, die die russische Seite diffamieren soll. Der Glaubwürdigkeit wegen habe ich Beispiele aus dem Luftkrieg gewählt.

Die täglichen Nachrichten in unseren Medien berichten von Bomben und Raketenangriffen der russischen Luftwaffe auf Städte und Dörfer und suggerieren eine Kriegführung gegen die ukrainische Bevölkerung. Zahlen der dabei ums Leben gekommenen Zivilisten werden genannt. Laut einer Statistik von STATISTA sollen seit Kriegsbeginn bis Ende April 2025 ungefähr 13 000 Zivilisten ums Leben gekommen sein. Ein Teil davon ist sicherlich den Luftangriffen zuzuschreiben. Bedenkt man jedoch die Zerstörungskraft von Bomben und Raketen, die die die russische Luftwaffe in ihrem Arsenal hat, dann wäre die Zahl der Opfer sicherlich sechsstellig, sollte man Städte und Dörfer zum Ziel machen. Eine solche Kriegsführung wäre absurd. Sie würde den Kriegswillen der ukrainische Bevölkerung nicht brechen, sondern befeuern. Als Beispiel sei der strategische Bombenkrieg der Alliierten gegen deutsche Städte im Zweiten Weltkrieg genannt. Eine solche Kriegsführung würde außerdem dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit widersprechen. Die gilt, von den Amerikanern entwickelt, spätestens seit dem 2. Golfkrieg (Befreiung Kuweits von irakischen Besetzung) in allen modernen Streitkräften der Welt als Doktrin.

Welche Ziele angegriffen werden sollen, entscheidet eine besondere Planungsgruppe. Deren Planungsprozess nennt man in der US/NATO Doktrin „Targeting“, Das methodische Auswählen, Priorisieren und Zuweisen von Zielen an die Einsatzstaffeln. Sie kann man aber nicht isoliert betrachten. Luftkrieg ist immer Teil der Gesamtkriegsführung. Der Landkrieg findet in der Ostukraine statt. Die Auswahl der Ziele konzentriert sich auf solche, deren Zerstörung die Kampffähigkeit der ukrainischen Armee im Kriegsgebiet schwächt und diese irgendwann zur Aufgabe zwingt. Das sind u.a. der Nachschub, Reserven, Verkehrsknotenpunkte, Rüstungsfabriken, Kommunikationseinrichtungen und Hauptquartiere im Hinterland. Bei einer Zieleauswahl sind die Russen von dieser Doktrin abgewichen, als sie nämlich das zivile Stromnetz von Städten angegriffen haben, was zu dramatischen Auswirkungen für die Bevölkerung geführt hat. Sie hatten ein amerikanisches Vorbild. Nachdem während des Kosovokrieges der Serbenführer Milosevic trotz der wochenlangen Bombardierungen militärischer Ziele durch die NATO keine Reaktion zeigte, begann man, Einrichtungen der zivilen Stromversorgung Belgrads und anderer Städte zu zerstören. Rechtfertigungskommentar des Oberkommandierenden der NATO-Luftstreitkräfte, US-General Short: Die serbische Bevölkerung soll spüren, dass Krieg ist. –

Sie werden vielleicht jetzt verstehen, warum die Medienberichte über den Ukraine-Krieg auf unverantwortlichen Annahmen beruhen. Unverantwortlich deswegen, weil sie zu Schlüssen über Herrn Putin und seine politischen Ziele führen, die Krieg und Rüsten rechtfertigen. Das ist die Botschaft, die hinter dem Untertitel verborgen ist. Wenn man nur das Luftkriegs-Targeting der Russen im Ukrainekrieg in Bezug setzt zu dem, was er immer wieder zu seinem politischen Ziel erklärt hat, nämlich eine neutrale Ukraine, die nicht Mitglied der NATO ist, dann kann man zu anderen Schlüssen kommen, als Politiker, Medienvertreter und Selbstgerechte uns durch platte Annahmen über einen machthungrigen und wahnsinnigen Putin suggerieren wollen.

Hinweis

Wer an mehr Details über den modernen Krieg interessiert ist, dem empfehle ich ein kleines Taschenbuch (auch als E-book erhältlich), das ich im letzten Jahr herausgebracht habe. „Krieg – eine Beleidigung der menschlichen Intelligenz“ [Ulrich Scholz, erstveröffentlicht auf Ulrichs Newsletter]