Was werden sich die Weidemark-Mitarbeiter wohl gedacht haben, als ihnen die Firma „als Dankeschön“ eine Tüte mit Wurst überreicht hat? Statt menschenwürdiger Arbeitsverhältnisse eine Tüte Wurst zu verschenken ist schon zynisch.

Die Werkverträge sind im Zusammenhang mit der Coronavirusinfektion von Schlachthofmitarbeitern wieder in den Blickpunkt gerückt. Aber auch in den Auseinandersetzungen um die Krise bei der Meyer-Werft zeigt sich, dass Werkvertragsarbeiter als Menschen zweiter Klasse gelten.

Auf der politischen Ebene wird nur darüber diskutiert, wie man weitere Infektionen verhindern kann, also über zeitweise Schlachthofsperrungen und über Einzelzimmer in den Sammelunterkünften. Hier springt Sögels Samtgemeindebürgermeister Günter Wigbers (CDU) dem Tönnies-Konzern, der den Weidemark-Schlachthof in Sögel betreibt, zur Seite. Laut NDR 1 Niedersachsen sagte er, dass dies nicht möglich und völlig lebensfern sei. In Sögel, wo beim Schlachthof rund 1.800 Osteuropäer arbeiten, gebe es nicht genügend Wohnraum, um eine Unterbringung in Einzelzimmern zu gewährleisten.

Damit ist eigentlich schon die ganze Jämmerlichkeit der Situation beschrieben. Die Arbeiter im Schlachtwerk sind keine Menschen, sondern nur Roboter ohne Menschenwürde. In Wigbers‘ und Tönnies’ Augen ist es eine Unverschämtheit, wenn für diese menschliche Wohnverhältnisse und Schutz für ihre Gesundheit gefordert werden. Wigbers bemäntelt die menschenfeindliche Haltung sicherheitshalber auch noch mit einem typischen Sachzwang-Argument: In Sögel handele es sich um ein dezentrales Wohnkonzept. Zwar würden die Arbeiter auch hier zu zweit oder dritt in einem Zimmer wohnen. Aber Sammelunterkünfte gebe es so gut wie keine mehr. Eine Unterkunft gilt erst dann als Sammelunterkunft, wenn dort mindestens zwölf Personen gemeldet sind. Liegt die Zahl darunter, handelt es sich um eine private Wohngemeinschaft, zu der Kontrolleure keinen Zutritt haben.

Die Aktion gegen Arbeitsunrecht weist in einer Presseerklärung vom 12. Mai 2020 darauf hin, dass es sich in den Schlachthöfen durchgängig um eine rechtswidrige Praxis handelt, die von den konzernhörigen Landes- und Kommunalpolitikern unhinterfragt akzeptiert wird. Das gilt übrigens auch für eine Vielzahl der Fälle auf der Meyer-Werft.

Ein Werkvertrag muss laut Gesetz folgende Kriterien erfüllen:
•   die Vereinbarung und Erstellung eines qualitativ individualisierbaren und dem Werkunternehmer zurechenbaren Werkergebnisses,
•   unternehmerische Dispositionsfreiheit des Werkunternehmers gegenüber dem Besteller,
•   Weisungsrecht des Werkunternehmers gegenüber seinen im Betrieb des Bestellers tätigen Arbeitnehmern, wenn das Werk dort zu erstellen ist,
•   Tragen des Unternehmerrisikos, insbesondere der Gewährleistung, durch den Werkunternehmer,
•   erfolgsorientierte Abrechnung der Werkleistung.

Es spricht alles dagegen, dass insbesondere die Schlachthofbetreiber nicht auch ein unmittelbares Weisungsrecht gegenüber den Beschäftigten des Werkunternehmers haben, was mit einem Werkvertrag nicht zu vereinbaren wäre. Es ist völlig eindeutig, dass das bloße Stellen von Arbeitern nicht Gegenstand eines Werkvertrages sein kann.

Dass die Akzeptanz von Werkverträgen sich letztlich auch gegen die Solidarität innerhalb der Arbeiterklasse richtet, zeigt das Statement von Nico Bloem, Betriebsratsvorsitzender der Meyer Werft: „Die Stammbeschäftigten mit ihren langjährigen Erfahrungen stehen für den Erfolg der Werft. Statt um Entlassungen muss es deshalb um Kurzarbeit mit Qualifizierungen und den Abbau von Fremdkapazitäten (Leih- und Werkverträge) gehen. So lässt sich eine Brücke in die Zukunft bauen, die die Arbeits- und Ausbildungsplätze auf der Meyer Werft sichert.“

Also auch die Arbeitnehmervertretung spricht den Kollegen mit den Leih- und Werksvertragsverträgen das Recht auf Arbeitsplatzsicherung ab. Auch für Nico Bloem sind die Kollegen mit den unsicheren Verträgen keine echten Kollegen.

Die rechtlich bedenklichen Leih- und Werkverträge haben immer schon dazu gedient, die Arbeitersolidarität zu untergraben und die tariflichen Rechte der Arbeiter unter Druck zu setzen.

Letztlich lassen sich solche unsolidarischen Kampfverhältnisse und solche unmenschlichen  Wohn- und Arbeitsverhältnisse nur beseitigen, wenn die von der Kohl-Regierung und später der Schröder-Regierung geschaffenen gesetzlichen Ausbeutungs-Möglichkeiten wieder abgeschafft werden. Vorher aber würde es schon etwas helfen, wenn die Landesarbeitsministerien und die Hauptzollämter, die für die Überwachung der rechtlichen Bedingungen von Arbeitsverhältnissen zuständig sind, zumindest die vorhandenen Gesetze anwenden und die Scheinwerkverträge sanktionieren würden.

Wenn Minister und Bürgermeister also auf angebliche Sachzwänge hinweisen, dann ist das unehrlich und soll von der eigenen Kumpanei ablenken. [jdm]