Macher und Angepasste

Die ich rief, die Geister, Werd’ ich nun nicht los. - Aus “Der Zauberlehrling” von Goethe

In sozialen Netzwerken wird immer wieder und immer öfter über Narzissten Klage geführt. Narzissten in der Partnerschaft, Narzissten in der Firmenführung und Narzissten in der Politik. Psychologen und Coaches melden sich zu Wort und glauben zu wissen, woran man einen Narzissten erkennt und wie man mit ihnen umgeht. Ob Narzissmus eine Krankheit ist oder ein typisches Verhaltensmerkmal der Leistungsgesellschaft, darüber ist man sich in den Wissenschaften bis heute nicht einig. Man umgeht die Ambivalenz und spricht vom „normalen“ und „pathologischen“ Narzissmus. Da diese Unterscheidung immer subjektiv ist, halte ich sie für überflüssig. Wesentlich sind allein angehäufte und immer wiederkehrende Verhaltens-Merkmale der Lieblosigkeit.

Wenn ein sogenannter Macher sie zeigt und der von Angepassten umgeben ist, bekommen wir die oben beklagte Täter/Opfer Konstellation mit so manch schlimmen Ausgang. Wenn beide in ihrem Aufwachsen bedingungslose Liebe erfahren hätten, bestünde die Chance des liebevollen Konflikts, die Essenz einer wahren demokratischen Gemeinschaft. Hier hat die Leistungsgesellschaft versagt. Das ist meine Erfahrung nach 35 Jahren Bundeswehr und über 10 Jahren als Vertretungslehrer und Coach. In kleinen Geschichten habe ich sie in einem Buch gesammelt. Es heißt: Menschenführung – Liebe, La Ola der Vernunft. – Im Folgenden können Sie den Prolog zum Buch lesen. Er ist ein Notruf.

1. Prolog – Notruf -

Kinder, die nicht geliebt werden, werden Erwachsene, die nicht lieben. Pearl S. Buck, US-Amerikanische Schriftstellerin (1892 – 1973)

Alle Jahre wieder ist in Deutschland Einschulungstag. Alle Jahre wieder sind Eltern mit ihren schulpflichtigen Kindern in der Schulaula versammelt und hören von der Schulleitung diesen Satz: Nun beginnt der Ernst des Lebens. Gottseidank wissen die Kinder noch nicht, was sie erwartet. Auch die Eltern, die es aus eigener Erfahrung wissen müssten, überhören die fürchterliche Botschaft dieses Satzes. Sie enthält nämlich die Ankündigung einer Vergewaltigung.

Damit ist nicht die des Strafrechts gemeint, sondern die, die Seele von Kindern misshandelt. Psychologen sprechen von einer weichen Vergewaltigung. Kinder werden in die Welt als Freie hineingeboren. Sie lieben bedingungslos und kennen nichts anderes, als bedingungslos geliebt zu werden. Schon im Vorschulalter werden sie dann „eingebrochen“. Sie werden zum Objekt von Regeln und Ordnung und der Notwendigkeiten, die das Leben ihrer Eltern in der Leistungsgesellschaft bestimmen. Diese weiche Vergewaltigung findet in der Schule seine Fortsetzung. Das natürliche Lernen über Lust und Neugier wird stranguliert. Sie lernen, dass Regeln und Ordnung einhalten das Maß für positive Zuwendung ist. Die kann man steigern, wenn sie sich der Dressur des Lehrens hingeben und leisten. Viele Kinder kommen da unbeschadet durch.

Trotz der systembedingten Vergewaltigungen gibt es Erwachsene im Elternhaus und in der Schule, die den Kindern die Liebe geben, die sie auffängt und mitmachen lässt. Andere haben nicht das Glück und verweigern die Anpassung, werden zu Störern. Die ersteren werden es in ihrem Weg in die Gesellschaft leichter haben. Die letzteren beißen die Hunde, wenn sie nicht irgendwann doch noch die Kurve zur Anpassung bekommen. Was beide vereint ist das, was sie gelernt haben. Wer die Macht hat, hat recht, und Wertschätzung (Liebe) bekommst Du, wenn Du Dich anpasst und leistest. Die kleinen Geschichten aus meinem Alltag als Vertretungslehrer erzählen davon. Sie mögen subjektive Einzelaufnahmen sein. Ein immer wiederkehrendes Verhalten von Erwachsenen in der Gesellschaft bestätigen sie. Hier passt das Zitat der amerikanische Schriftstellerin Pearl S. Buck.

„Kinder, die nicht geliebt werden, werden Erwachsene, die nicht lieben“.

Der Weg dorthin ist geprägt durch Selbstrettungsversuche. Ein Kind, das aus der Geborgenheit bedingungsloser Liebe herausgefallen ist, leidet. Das wissen wir nicht zuletzt aus der Hirnforschung. Einige werden krank und brauchen psychiatrische Hilfe. Das Gros entwickelt unbewusst Strategien, um sich zu stabilisieren. Die einen geben diese Lieblosigkeit weiter. Sie wollen beherrschen, sind ohne Empathie und behandeln andere als Objekt. Die extreme Form eines solchen Verhaltens nennt man Narzissmus. Andere akzeptieren für sich die durch den Liebesentzug empfundene Wertlosigkeit. Sie passen sich an, erdulden und machen sogar bei den schlimmsten Untaten pro-aktiv mit. Sie sind das ideale Volk für Narzissten. Autoritäre Systeme wie das der Nazis oder das in der DDR funktionierten auf der Wechselbeziehung dieser beiden Typen. Aber auch unsere Demokratie ist vor ihnen nicht gefeit.

Die Auseinandersetzungen um die großen Themen unserer Zeit (wie Corona, Klima und Krieg) zeigen im Verhalten von Verantwortlichen immer wieder narzisstische Züge. Das Gleiche gilt für den Zustimmungsgeist bei Medien und in weiten Teilen der Bevölkerung. Auch der ist von Selbsterhöhung und Empathielosigkeit geprägt. Sie können darüber in diesem Buch lesen. Was alle verbindet, ist der Aberglaube, dass Wahrnehmung etwas mit Wahrheit zu tun hätte, dass Wissenschaften sowie Leistung und Fleiß alle unsere Probleme lösen könnten und dass Demokratie ein Synonym für Moral und Recht sei. Dieser Aberglaube hat bisher Millionen von Menschen Leben und Existenz gekostet oder unglücklich gemacht, und es wird so weiter gehen, ist zu befürchten, es sei denn, wir vertrauen auf Liebe, die bedingungslos ist. Wenn das gelingt, kann aus Aberglauben Gewissheit werden. Wir sollten es wagen, allein schon unserer Kinder wegen.

Sie fragen, wie das im Alltag gehen soll mit der bedingungslosen Liebe? – Das werden Sie für sich herausfinden müssen. Nur so viel. Sie ist in jedem Menschen vorhanden. Deswegen heißt es bei uns ja auch „Menschenführung“. In einer Human-Gesellschaft sollte man Menschen und sich selbst nur durch Liebe führen können. Die Gesellschaft, das sind Sie und ich und die anderen. Wenn jeder sich ab und zu daran erinnern würde, bedingungslos zu lieben, wir würden unsere Welt zum Besseren verändern. Die kleinen Geschichten in diesem Buch sollen dazu Gedankenanstöße sein. [Ulrich Scholz, erstveröffentlicht auf Ulrichs Newsletter]

Wie im Himmel – Über die Beziehungsfähigkeit

Youtube-Screenshot Wie im Himmel
Gabriellas Song auf Youtube
Ulrich Scholz

In dem schwedischen Spielfilm „Wie im Himmel“ beschreibt die Hauptperson, ein erfolgreicher Dirigent, wie während einer Gala-Vorstellung seines Orchesters der Strom ausfällt. Minutenlang herrscht absolute Dunkelheit. Doch die Musiker spielen weiter. Sie brauchen keinen Dirigenten. Die Freude an ihrem Spiel, das Vertrauen in sich selbst und in die anderen, die Hingabe an das Stück, das sie spielen und die Gewissheit, dass alles gut wird, sind die Folgen einer Beziehungsfähigkeit bei jedem Einzelnen, die durch die gute Führung des Dirigenten in unzähligen Proben geweckt wurde und in positive Gefühle für den anderen und die gemeinsame Aufgabe übergegangen ist.

Professor Hüther, Hirnforscher an der Universität Göttingen, nennt Beziehungsfähigkeit die wichtigste menschliche Eigenschaft. Ihre Ausprägung in einem Menschen ist entscheidend für Glück und Zufriedenheit im Privaten und Erfüllung und Erfolg im Beruf. „What`s new,“ werden Sie jetzt denken. „Liebe Deinen Nächsten, wie Dich selbst“, steht schon in der Bibel geschrieben. Die spirituelle und esoterische Ecke in Buchhandlungen steht voll mit Büchern, die unter dem Titel „Achtsamkeit“ ähnliche Botschaften verkünden. Neu ist, dass diese Erkenntnis wissenschaftlich belegt wird. Der Hirnforscher stellt fest: „Was gut für das Hirn ist, ist gut für den Menschen, und was gut für den Menschen ist, ist gut für das Hirn.“

Das Gehirn besteht aus Milliarden von Zellen. Je mehr aktive Verbindungen es zwischen ihnen gibt, desto intelligenter ist es. Die Zunahme der Vernetzungsdichte ist bei einem Kind im Vorschulalter am größten. Danach flacht sie ab. Bei vielen Menschen wird sie sogar geringer. Verbindungen, die nicht genutzt werden, sterben ab…wie im richtigen Leben. Das Vernetzen von Gehirnzellen wird über so genannte Neuro-Transmitter angeregt. Auslöser für deren Produktion sind positive Erregungszustände wie Freude, Neugier, Lust und Hingabe. Es sind dieselben, die Menschen über sich hinauswachsen lassen, wie die Musiker des Orchesters in dem schwedischen Film. Der Schlüssel zu einer solchen Entwicklung ist Beziehungsfähigkeit. Sie bei Menschen zu wecken und zu nutzen, ist die vielleicht wichtigste Kompetenz einer guten Führung.

In der Abgrenzung zum Management, das sich vornehmlich mit dem Steuern und Regeln von Prozessen befasst (Human Resource Management ist Teil davon), sollte sich Führung vornehmlich um die Menschen des Unternehmens kümmern. Dabei ist wichtig zu bedenken, dass man deren Beziehungsfähigkeit im Job nicht von der Beziehungsfähigkeit im persönlichen Leben trennen kann. Ihnen werden sicherlich eigene Beispiele (gute wie schlechte) zu dieser Wechselbeziehung einfallen. Im Folgenden soll und kann es nicht darum gehen, eine Checkliste anzubieten, in der aufgelistet steht, wie man Beziehungsfähigkeit herstellt. Eine alte Weisheit aus der Erwachsenenbildung besagt, dass man Erwachsene aus „ihrem Vorgarten“ holen muss, damit sie Neues annehmen. Das geht am besten über Metaphern, Bilder oder Geschichten außerhalb ihres Erfahrungshorizonts. Der o.g. Film „Wie im Himmel“ erzählt eine solche Geschichte.

Der erwähnte prominente Dirigent ist in sein Heimatdorf zurückgekehrt, um sich von seiner Berühmtheit zu erholen. Er wird erkannt. Man bittet ihn, die Leitung des Kirchenchores zu übernehmen. Er soll den Chor auf einen internationalen Wettstreit vorbereiten. Die Mitglieder sind Bürger des Dorfes. Während der Proben brechen Konflikte auf, untereinander aber auch persönliche, die jeder aus seinem Leben mitbringt. Ein geistig behinderter junger Mann, der auch mitsingen will, wird von dem Kaufmann des Dorfes geoutet. Eine junge Frau setzt sich für ihn ein. Schließlich darf er mitsingen. Bei einer Feier, auf der ausgelassen getanzt wird, wird die Frau des gestrengen Pastors, die auch im Chor mitsingt, von ihrem Mann bei deren nächtlicher Heimkehr mit Vorwürfen überhäuft. Er verbietet ihr, weiter im Chor mitzusingen. Als der sie mit Moralpredigten und Liebesappellen überhäuft, konfrontiert sie ihn mit seinen Porno-Heften, die er hinter seinen Büchern versteckt hält und trennt sich von ihm. Der Dirigent fängt sie alle immer wieder über das Singen. In einer Probe lässt er sie kreuz und quer mit- und übereinander sich auf den Boden legen. Sie sollen einen Ton singen, jeder für sich, was natürlich irgendwann in Lachen übergeht. Sein Kommentar: Wenn ihr singen wollt, müsst ihr zuerst zuhören lernen. Und dann war da noch Gabriella, eine junge Frau mit zwei Kindern zuhause und einem gewalttätigen Mann. Alle wussten, dass er sie schlägt, und niemand hatte sich eingemischt. Als sie zu einer Probe mit zerschlagenem Gesicht kommt und erklärt, dass sie nicht mehr mitsingen will, weil ihr Mann das verboten habe, kocht es in der Chorgemeinschaft hoch. Sie alle haben von der Gewalt gewusst, und haben es geschehen lassen. Der Dirigent schreibt daraufhin ein Lied für Gabriella und bittet sie, es auf dem Chorwettstreit zu singen. Zuerst weigert sie sich, dann tut sie es doch.

Wie die Geschichte ausgeht, werden Sie erfahren, wenn Sie sich den Film anschauen. Auf jeden Fall sollten Sie sich den Clip „Gabriellas Song“ anschauen. Melodie, Mimik, Gestik und Gesang der Schauspielerin und nicht zuletzt der Text (schwedisch mit deutschen Untertiteln) vermitteln eindrucksvoll die Kraft von Beziehungsfähigkeit in der Ganzheitlichkeit von Gemeinschaft und Persönlichem. Die Führungsperson, hier der Dirigent, hatte sie durch seine Beziehungsfähigkeit ausgelöst. [Ulrich Scholz, erstveröffentlicht auf Ulrichs Newsletter/Foto: Screenshot Youtube]

Nothing´s gonna change my world (Nichts wird meine Welt verändern)

Strawberry fields

Aus dem Geschichtsunterricht einer 10. Klasse Gymnasium

Ulrich Scholz

Das Thema war der Kolonialismus des 19. Jahrhunderts. Als „Attentiongetter“ hatte ich ihnen einen Musikclip vorgespielt. „Across the Universe“, ein Beatles Song gecovered von der US-amerikanischen Sängerin Fiona Apple. Am Ende hatte ich die die Schüler nach ihren Wahrnehmungen befragt und ob sie ihnen Bedeutungen geben könnten. Sie konnten. Das Eindringen einer Gruppe von Männern in ein Café, das sie mit Baseballschlägern sinnlos zerstörten, interpretierten sie als Gewalt. Ein Schüler setzte sie in Bezug zum Geschichtsthema und meinte, sie könnte für Krieg stehen. Bei meiner Frage, welcher Krieg, half ich nach. Ich erzählte ihnen von den Beatles, die in ihren Liedern immer wieder gegen den amerikanischen Vietnamkrieg gesungen hatten. Der Krieg sagte den Schülern nichts. Also habe ich ihnen seine Geschichte erzählt. Zuvor habe ich in Aussicht gestellt, den Film „Across the Universe“ (2007), der vom Vietnamkrieg handelt, über weitere Musikclips vorzustellen. Das kam an. Clips anschauen ist immer noch besser als in Geschichtsbüchern lesen.

Mit Unterstützung von Karten und Bildern erzählte ich ihnen von der gewaltsamen Übernahme des Landes durch Frankreich im Jahr 1858. Bis 1945 wurden Vietnam und die Nachbarländer Kambodscha und Laos von den Kolonialherren ausgeraubt und deren Bevölkerungen brutal unterdrückt. Erst nach einem blutigen Befreiungskrieg (1. Indochinakrieg) gelang es der vietnamesischen Befreiungsorganisation Viet Minh, die Franzosen aus dem Land zu treiben. In der Schlacht von Dien bien Phu (1954) fügten sie ihnen die letzte, vernichtende Niederlage zu. 10 Jahre später begann der 2. Indochinakrieg (Vietnamkrieg). Dieses Mal waren die USA der Eindringling. Er endete 1973 mit dem Abzug der Amerikaner. Sie hatten 8 000 000 Tonnen Bomben auf das Land geworfen, viermal so viel, wie im gesamten 2. Weltkrieg. Über 4 000 000 Menschen waren umgekommen, davon waren 2 000 000 vietnamesische Zivilisten und 58 000 Amerikaner (Die Zahlen variieren je nach Quelle)

Verloren wurde der Krieg an der Heimatfront. Die Medien brachten ihn Abend für Abend in die Wohnzimmer der amerikanischen Bevölkerung. Der Anblick von NAPALM verbrannten Kindern und toten und verwundeten eigenen Soldaten führten in den USA zu einer noch nie da gewesenen Anti-Kriegsbewegung. Vor allem junge Leute gingen auf die Straße. Ihre moralischen Vorbilder waren Sänger wie Bob Dylan und Joan Baez. Auch die Beatles, deren Titel zwischen 1960 und 1970 die Hitparaden beherrschten, komponierten und texteten unter dem Einfluss des Vietnamkrieges. Ihre Musik zusammen mit entsprechenden Handlungsszenen aus dem Film „Across the Universe“ wollte ich nun nutzen, um der Klasse zu zeigen, wie heftig die Auswirkungen dieses Krieges (Schrecken, Verlust, Trauer, Protest und Gewalt) das normale Leben von jungen Menschen in einer demokratischen Gesellschaft beeinflusst hat.

Als ich den Clip zum letzten Song (Let it be) gezeigt hatte, fragte ich die Schüler nach ihrem Eindruck. Sie schauten mich ratlos an. Dann meinte eine Schülerin: Unterhaltsam. - Ich war sprachlos. Spontan startete ich den eingangs gespielten Clip noch einmal. „Nothing´s gonna change my world“ singt Fiona Apple den Refrain immer wieder und schaut dabei teilnahmslos mit Kopfhörern auf den Ohren in die Kamera, während im Hintergrund das Café kurz und klein geschlagen wird. Die Schüler nahmen die totale Ignoranz der Frau wahr, konnten sie aber nicht lesen.

Ich fragte sie: Wer verfolgt täglich in seinem Handy die Nachrichten? Einer meldete sich. Ich fragte weiter, nach den Kriegen in Afghanistan, im Irak und im Nahen Osten. - An welche Länder verkauft Deutschland Kriegsgerät? – Jetzt verstanden sie die Metapher des Clips. Es kam der obligatorische Fluchtversuch. Man kann ja doch nichts ändern. Die Antwort kam aus ihren Reihen. Das haben die jungen Leute in der Anti-Vietnamkrieg Bewegung nicht so gesehen. - Die Pausenklingel kam genau zur richtigen Zeit. Die Störung in ihren Denkmustern wollte ich nicht zerreden. Eine letzte Frage hatten sie noch. „Was müssen wir über den Vietnamkrieg für die Klausur wissen?“ – Da hatte ich sie neugierig gemacht, Betroffenheit erzeugt und zum Denken gebracht … dachte ich. Meine Erfahrung/Befürchtung schien wieder einmal bestätigt worden zu sein. Sie lernen für den Moment des gemessenen Werdens, für die Note. Die Welt da draußen interessiert sie nicht wirklich. Nothing´s gonna change their world.

Die geschilderte Unterrichtsstunde liegt schon ein paar Jahre zurück. Hat sich zu heute etwas geändert? – Ja, aber nicht zum Besseren, ist zu befürchten. Die Regierenden haben dazu gelernt. Wenn man einen „Bösen“ erschafft und die Schrecken des Krieges von den Menschen fernhält, kann man junge Menschen von der Straße fernhalten. Der Ukrainekrieg und Aufrüstung werden von vielen als notwendig begrüßt. Nothing´s gonna change their world.

Die erste Aufklärung hatte den Menschen vom Erklärungsdogma der Kirche befreit. Vielleicht ist es Zeit für eine zweite Aufklärung, die den Menschen vom Erklärungsdogma der Herrschenden befreit. Wenn Moral und Recht proklamiert und gleichzeitig die Humanität mit Füßen getreten werden, dann wird es Zeit, dass die jungen auf die Straße gehen. In diesem Sinne sind die Worte von Robert Kennedy zeitlos. In einer Rede an seiner Alma Mater, die er 1968 auf der Höhe des Vietnamkrieges, drei Monate vor seiner Ermordung, gehalten hat, rief der den Studenten zu:

"If our colleges and universities do not breed men who riot, who rebel, who attack life with all the youthful vision and vigor, then there is something wrong with our colleges. The more riots that come out of our college campuses, the better the world for tomorrow."

Übersetzung:
Wenn unsere Hochschulen und Universitäten nicht Menschen hervorbringen, die gewaltsam protestieren und rebellieren, die das Leben mit all ihrer jugendlichen Visionen und Ungestümtheit angehen, dann läuft etwas falsch an unseren Bildungseinrichtungen. Je mehr unsere Hochschul-Campusse gewaltsamen Protest hervorbringen, desto besser für die Welt von morgen. [Ulrich Scholz, erstveröffentlicht auf Ulrichs Newsletter]

Deutschland im Aufrüstungstaumel

Was man den Bürgern erzählt, und was man tatsächlich meint

Wahrnehmung und Wahrheit sind nicht dasselbe

Kämpfer
Ulrich Scholz

Der erste Satz im Titel ist das Motto einer Journalistenschule in Los Angeles (Tell it, as it is). Der amerikanisch-österreichische Kybernetiker und Philosoph Heinz von Foerster, der einmal zu einem Vortrag an diese Schule eingeladen war, machte ihn zum Thema seiner Einführung. Es müsse eigentlich heißen: It is, as you tell it (Es ist, wie Du sagst). Von Foerster wollte damit zum Ausdruck bringen, dass alles Gesagte von einem Beobachter gesagt wird, und der ist immer subjektiv. Der Bindestrich in dem zusammengesetzten Wort aus „wahr“ und „nehmen“ soll das zum Ausdruck bringen. Es ist das, was jeder von uns als „Wahrheit“ nimmt und führt natürlich zu Konflikten, wenn unterschiedliche „Wahrheiten“ aufeinandertreffen, wie zum Beispiel im Sport. Die Diskussionen in den Medien und an Stammtischen nach einem verlorenen Länderspiel sind ein Klassiker.

In anderen Bereichen des öffentlichen Lebens wird sehr wohl ein Unterschied zwischen Wahrheit und Wahrnehmung gemacht. Zeugenaussagen nach einem Verkehrsunfall oder bei der Aufklärung eines Verbrechens sind Wahr-Nehmungen. Wer von den Zeugen kann schon wissen, was die Wahrheit ist? – Polizeibeamte, Staatsanwälte und Richter sind sich dieser Unterscheidung sehr wohl bewusst. Gottseidank. In unserem Rechtssystem gilt: In dubio pro reo (lat. Im Zweifel für den Angeklagten). In einem anderen Bereich verschwimmt die Unterscheidung zwischen Wahr-Nehmung und Wahrheit immer wieder, mit zum Teil schwerwiegenden Konsequenzen. Es ist die Welt der Nachrichten, die die Öffentlichkeit bewegen.

Während der Corona-Pandemie waren die Bürger fast minütlich Nachrichten ausgesetzt, die mit dem Anspruch der „Wahrheit“ daherkamen. Und wenn man „Wahrheit“ in Frage stellt, heißt das doch, dass man ein Lügner ist. Befürworter und Gegner der Regierungspolitik sind in diesem Geist miteinander umgegangen. Auf der Strecke blieben die Bürger, die in einen Grabenkrieg der „Wahrheiten“ gezwungen wurden. Heinz von Foersters Satz it is, as you tell it hätte Augen öffnen können, wenn man ihn beherzigt hätte. Er bedeutet nämlich, dass jeder, der eine „Wahrheit“ verkündet, immer nur seine „Wahrheit“ verkünden kann. Mit dieser Einsicht wäre ein Diskurs möglich gewesen, an dessen Ende ziemlich sicher bessere Lösungen möglich gewesen wären. Sie haben sicher gemerkt, dass ich eine explizite Kritik an der Politik der Bundesregierung (Stichwort: Lockdowns) vermieden habe. Mit dieser Ausgewogenheit möchte ich im Folgenden brechen.

Interessen sind die Treiber und nicht unsere Sicherheit

Es geht um die Aufrüstung der Bundeswehr. Man will eine militärische Bedrohung durch Russland abschrecken und, sollte es zum Krieg kommen, Deutschland (im Rahmen der NATO) erfolgreich verteidigen. Über die Absurdität von Abschreckung und Krieg in Europa habe ich in meinem Buch „Krieg – eine Beleidigung der menschlichen Intelligenz“ ausführlich argumentiert. Das soll hier nicht das Thema sein. Mir geht es darum, die „Wahrheiten“ über Bedrohung, Abschreckung und Krieg, die von Politikern, Militärs und der Rüstungsindustrie verbreitet und von den Medien immer wieder erschreckend unreflektiert unters Volk gebracht werden, bloßzustellen. Sie werden vordergründig mit Bedrohung, Verteidigung und Sicherheit begründet, dienen in der Hauptsache aber Eigeninteressen. Getreu des von Foerster Satzes it is, as you tell it wird der Öffentlichkeit Mantra-artig suggeriert, was ist.

- Putins Russland ist eine Bedrohung für Deutschland und Europa
- Sicherheit vor einem russischen Angriff gibt es nur durch Abschreckung
- Abschreckung und erfolgreiche Verteidigung sind nur durch Aufrüstung     
  zu gewährleisten.

Im Folgenden geht es nicht darum herauszufinden, was „objektiv“ die Wahrheit ist. Es geht vielmehr darum aufzuhorchen, wenn jemand behauptet, etwas ist so und in Frage zu stellen. Dabei sollte die erste Frage immer nach den Eigeninteressen der Beteiligten sein.

Militärmacht Deutschland für das politische Selbstbewusstsein

Die EU war bis zum Beginn des Ukraine-Krieg nicht mehr als eine teure europäische Verwaltungsorganisation. Die Idee, sie zu einer politischen Union mit einer europäischen Regierung zu machen, war mit dem Versuch, in den 2000er Jahren eine europäischen Verfassung in Kraft zu setzen, gescheitert. Ein Hauptgrund der Ablehnung war, nationale Souveränität in Sachen Außen-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik an Brüssel abzugeben. Der Ukraine-Konflikt und da insbesondere der Krieg haben das Thema wieder nach oben gespült. Eine starke Militärmacht Deutschland in der Triade mit Frankreich und Großbritannien könnte der Schlüssel zu einem selbstbewussten Europa werden. Augenhöhe mit den USA, gerade in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik, wäre möglich. Wer glaubhaftes „Bang“ (i.e. Kriegsfähigkeit) an den Verhandlungstisch mitbringt, der wird ernst genommen.

Militär im Frieden – Selbsterhaltung und Wachstum

Nach einer großen Leitungsbesprechung im Bundesministerium der Verteidigung zu Beginn der 1990er Jahre, in der im Rahmen der „Friedensdividende“ einschneidende Kürzungen beschlossen wurden, informierten anschließend die Inspekteure von Luftwaffe, Heer und Marine ihren unterstellten Bereich über das Ergebnis. Der Inspekteur Luftwaffe frohlockte. An Flugzeugen hatte man nicht gespart. Das Heer musste seine Panzerwaffe von 4000 Stück auf 400 reduzieren. Warum frohlockte der Luftwaffeninspekteur? - Die Anzahl der Waffensysteme bestimmt die Personalstärke. Die wiederum bestimmt die Größe der Organisation und damit die Anzahl der Führungspersonen. Es kann befördert werden.

Die Rüstungsindustrie – Wachstum und Profit

Nach einer Durststrecke ohne eine militärische Bedrohung sind seit dem Ukrainekrieg die Auftragsbücher auf Jahre gefüllt. Man wird nicht müde, die Überlegenheit deutscher Waffensysteme gegenüber den russischen anzupreisen. Neuentwicklungen in allen Bereichen der Kriegführung werden auf der Webpage von Rheinmetal als Freedom Enablers angepriesen. Sie dienten als Verteidiger der Freiheit. In Joint Ventures mit ukrainischen Rüstungsfirmen soll die Produktion von Waffensystemen nun auch in ukrainischen Werken stattfinden. Damit geht ein Technologie-Transfer einher. Dass sie in dem aktuellen Krieg den Russen in die Hände fallen könnten und ihnen bei der Vorbereitung auf einen großen Krieg gegen die NATO nützlich sein werden, danach fragt niemand.

Medien – Nützliche Einfältigkeit

Vor einigen Tagen fand auf dem Fliegerhorst Jagel in Schleswig-Holstein ein militärisches Ereignis statt. Der offizielle Name lautete: SNAP 2025 (Significance of National Air Power = Wichtigkeit Nationaler Luftmacht). Für die teilnehmenden Besatzungen und Soldaten war es Ausbildung, dessen Inhalte zum täglichen Brot gehören. Sie dient dazu, einen vorgeschriebenen Einsatzstatus zu erlangen bzw. sicherzustellen. Die Medienberichte darüber, von der regionalen Presse bis hin zu Fachzeitschriften wie der Flugrevue, bedienten sich in der Mehrzahl der offiziellen Bundeswehr-Verlautbarung, und der war getreu der Übungsnamensgebung auf militärische Großartigkeit angelegt. Im Einleitungstext von NDR-Online wird es deutlich: In Jagel bei Schleswig steigen heute Nachmittag Kampfjets, Hubschrauber und Transportflugzeuge der Bundeswehr in die Luft. Hintergrund ist eine groß angelegte Übung - sie soll auch Stärke demonstrieren. Tatsächlich dauerte die praktische Übung 1 Stunde. Als offizielle Zuschauer hatte man 100 Teilnehmer eines Generalstabslehrgangs der Führungsakademie herangekarrt, um ihnen ein "praktisches Verständnis für die Fähigkeiten der Luftwaffe" zu vermitteln. Seien Sie versichert, sie haben nichts Neues gesehen. Es war ein Spektakel, wie die Überschrift in der Schleswiger Zeitung es erfrischend nannte. So wird in diesen Tagen Deutschland weit über das Normale Alltägliches aus dem Bundeswehr-Alltag berichtet. Eine Kommandeursübergabe, Truppenbesuche von Politikern oder ein Tornado im Tiefflug über einer Kleinstadt werden dazu benutzt, um einer Verteidigungspolitik das Wort zu reden. Eine kriegsunfähige Bundeswehr, die es aufzurüsten gilt, soll der Bevölkerung als Garant für unsere Sicherheit schmackhaft gemacht werden. Das erhöht nicht zuletzt die Auflage und gibt Clicks.

Es ist keine Verschwörung

Politiker, Militärs, Rüstungsindustrie und Medien scheinen sich verbündet zu haben, um unser Land in der Sicherheitspolitik auf einen Konfrontationskurs zu führen. Was wie eine Verschwörung aussieht, es ist keine. Die Partialinteressen sprechen dagegen. Der letzte Absatz über die Medienberichterstattung ist nicht ohne Grund länger geworden. Wie nicht zuletzt die Reaktionen in den sozialen Netzwerken belegen, zeigt der Glaube an It is, as you tell it seine größte Wirkung beim Bürger. Den in einer Demokratie für eine kriegerische Außenpolitik gewinnen zu können, ist schlimm. Diesen Glauben zu entlarven ist die Absicht dieses Artikels. [Ulrich Scholz, erstveröffentlicht auf Ulrichs Newsletter]

Die NATO – Störer eines europäischen Friedens

Alternative Geschichte, oder was hätte sein können

Wolkenwirbel über Europa

Militärs gehen rückwärts in die Zukunft

Ulrich Scholz

NATO Hauptquartier NORTH in Stavanger 1995. Eine Gruppe russischer Journalisten war zu einem Informationsbesuch gekommen. Nachdem man ihnen das Standard-Briefing des Hauptquartiers präsentiert hatte, durften Fragen gestellt werden. Eine Information hatte die Besucher irritiert. Der Vortragende, ein norwegischer Offizier, hatte den Besuchern die norwegische Verteidigungsorganisation als Bestandteil der NATO erklärt. Dazu gehörte, dass neben dem NATO-Hauptquartier in Stavanger noch ein zweites Hauptquartier in Nordnorwegen etabliert ist. Es diene besonders dazu, die „Nordflanke“ des Bündnisses zu schützen. Ein Journalist legte den Finger auf die Wunde. Er fragte: Wer ist denn der Feind, gegen den sie die Nordflanke der NATO schützen wollen? – Jedem der Anwesenden war die Peinlichkeit der Frage sofort bewusst. Der NATO-Commander, ein norwegischer Admiral, rettete die Situation, indem er das Wort nahm. Er sagte: Sie sehen, wie verhaftet wir Militärs im Denken von gestern sind. Bis vor Kurzem galt Russland als Bedrohung für NATO-Europa. Die hehren Ziele von Herrn Gorbatschow, Glasnost (Offenheit) und Perestroika (Umgestaltung), gelten eben nicht nur für Russland, sondern genauso für uns. - Seine Worte bekamen spontan Beifall, nicht nur von den Besuchern, sondern auch von den anwesenden NATO-Offizieren. Um die Brisanz dieses kleinen Intermezzos zu verstehen, ist es wichtig, die vorangegangenen politischen Ereignisse zu kennen. Hier ist eine verkürzte Zusammenfassung. (Wikipedia)

Die Wende des ehemaligen Feindes

Durch die Weitsicht des damaligen Parteisekretärs der Sowjet Union, Michael Gorbatschow, kam es zu einem Umdenken in der russischen Führung. Er war Wegbereiter für ein neues europäisches Russland und beendete den Anspruch Russlands als Führer eines kommunistischen Weltreichs. Am 31. März 1991 erklärten die Mitgliedstaaten des Warschauer Vertrages, des kommunistische Militärbündnis unter der Führung der Sowjet Union, für aufgelöst. Vorausgegangen waren die sogenannten 2 plus 4 Gespräche zwischen der Bundesrepublik Deutschland (BRD), der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und den 4 Siegermächten des 2. Weltkriegs, USA, Sowjet Union, Großbritannien und Frankreich. Das Ergebnis war ein Vertrag, der am 12. September 1991 in Moskau unterzeichnet wurde. Er beinhaltete u.a. die Wiedervereinigung Deutschlands, der Abzug der sowjetischen Truppen aus Deutschland und die Obergrenze der Truppenstärke eines vereinten Deutschland als Mitglied der NATO. Letzteres Zugeständnis hatte bei Beratern des damaligen russischen Außenministers Schewardnadse Unverständnis ausgelöst. Der argumentierte die sowjetische Konzilianz mit folgenden Worten.

„Wir sind außerstande, Deutschlands Vereinigung zu stoppen, es sei denn mit Gewalt. Doch das käme einer Katastrophe gleich. Wenn wir uns einer Beteiligung an diesem Prozess entziehen würden, so würden wir vieles einbüßen. Wir würden keine Grundlagen für das neue Verhältnis zu Deutschland schaffen und die gesamteuropäische Situation beeinträchtigen.“

Auf der Suche nach einem neuen Feind

Die Entwicklung der gesamteuropäischen Situation hat, wie wir heute wissen, einen tragischen Verlauf genommen. Eine Ursache ist die Beibehaltung der NATO als ein Militärbündnis, das eben nicht europäischen, sondern vornehmlichen amerikanischen Interessen diente. Die Einführung des „Out of Area“ Konzepts der USA in die NATO 1993 ist schlagender Beweis dafür. Das militärische Engagement von NATO-Ländern außerhalb der Landesverteidigung - auf dem Balkan, in Afghanistan, im Irak, in Libyen, in Syrien und in Afrika – diente vornehmlich geostrategischen Interessen der USA. Ob sie europäischen Interessen gedient haben, muss man bezweifeln. Das Echo war und sind Flüchtlingswellen nach Europa und Terroranschläge. Die lassen sich nicht durch militärische Stärke verhindern, sondern nur durch eine weise Außenpolitik. An der hat es bei der großen Wende in Europa nach 1991 gefehlt. Die Beibehaltung der NATO nach der großen Veränderung in Russland, insbesondere nach der Auflösung des Warschauer Paktes, war in diesem Sinne nicht im Interesse Europas. Wie wäre die Entwicklung gelaufen, wenn die NATO sich als militärisches Verteidigungsbündnis gegen Russland aufgelöst hätte?

Was hätte sein können

Man hätte sich unter den europäischen Staaten (einschließlich Russland) auf eine nationale Militärstruktur einigen können, die Angriffswaffen wie Panzer, Bomber und Raketen ausschließt. Man hätte supra-nationale europäische Verbände (einschließlich Russland) aufstellen können, die regelmäßig gemeinsam üben, um im Auftrag der UN zu Friedensmissionen eingesetzt werden. Man hätte den Europäischen Rat um Russland erweitern können und diesem die Autorität übertragen, über militärische Einsätze europäischer Truppen zu entscheiden. Die USA hätten in diesem Rat Beobachter, Ratgeber und Unterstützer sein können, wenn es um Fähigkeiten geht, die die Europäer nicht haben. Europa muss nicht das Rad neu erfinden, wenn ein guter Freund mit seinen Möglichkeiten helfen kann. Die viel beschworene Atlantische Gemeinschaft hätte sich nicht mehr geopolitisch verstanden, sondern als Kulturgemeinschaft, in der Geschichte, Identität und Werte die Klammer ist und nicht irgendwelche nationale „vitale“ Interessen. Ein solches Europa hätte als Blaupause für die Charta der Vereinten Nationen dienen können, so wie sie 1945 unter der Ägide der USA aufgeschrieben wurde.

Frieden durch Umarmung

Das Argument „Werte“ wird heute gerade gegenüber Russland benutzt, um wieder das „Trennende“ in den Vordergrund zu schieben. Dabei wird die Geschichte dieses Landes unterschlagen, die maßgeblich das Denken und Handeln seiner Führung bis heute bestimmt. Wenn wir Europäer Veränderung in dieser Richtung wünschen, dann geht das nicht über den Blick in die Mündung eines Gewehres, sondern nur durch Umarmung. Die europäische Familiengründung hat so funktioniert. Man hätte auf diese Weise Russland in die Familie holen können. Die NATO hat dies durch die Fortschreibung ihrer Existenz verhindert. Ein militärisches Bündnis braucht einen Feind, um seine Existenz zu begründen. - Wer weiß? – Hätte man damals mit der Auflösung des Warschauer Pakts die NATO ebenfalls abgeschafft und eine europäische Lösung, wie skizziert, für die militärische Sicherheit Europas angestrebt, Angst voreinander wäre heute Geschichte. Eine nachhaltige kulturelle und wirtschaftliche Annährung wäre möglich gewesen. Der Krieg in der Ukraine wäre nie passiert. [Ulrich Scholz, erstveröffentlicht auf Ulrichs Newsletter]

Simplicissimus – Über den Geist der Einfältigkeit

Ulrich Scholz
Affen

Die Simpel und ihre Frontleute im Westen glauben tatsächlich an Verhandlungen mit Russland, in denen Putin “mea culpa” sagt und die Rückgabe der besetzten Gebiete verspricht.

Ihnen wäre es am liebsten, wenn solche Verhandlungen in Den Haag geführt werden würden und wollen Putins friedliche Absichten daran messen, ob er zustimmt.

Die eigenen friedlichen Absichten wollen die Drehbuchautoren im Westen dadurch bekunden, dass sie ihr Stück “Regime Change in Moskau” nun doch endlich absetzen.

US-Präsident Trump bemüht sich gerade, den letzten Akt umzuschreiben. Das scheitert aber an den Einfältigen und ihren Frontleuten im Westen und nicht zuletzt an der Eitelkeit des Hauptdarstellers Putin.

Alle sind sie vom Endsieg beseelt, und den bekommt man bekanntlich nur durch einen totalen Krieg mit bedingungsloser Kapitulation.

Gottseidank haben wir es mit Einfältigen zu tun. Die kennen keine Geschichte. Es besteht durchaus die Chance, dass sie sich nicht wiederholt. [Ulrich Scholz, erstveröffentlicht auf Ulrichs Newsletter]

Was Sinn macht

Krankheit ist die gesunde Reaktion, an der Norm zu zweifeln - Adolf Muschg, Schweizer Schriftsteller und Dichter

Prolog

„Das macht Sinn“ und „das macht keinen Sinn“, wie oft hören wir diese beide Sätze und benutzen sie auch immer wieder selbst. Eigentlich müssten wir sie jedes Mal ergänzen mit „für mich“. Ansonsten würden wir nämlich für 8,1 Milliarden Menschen sprechen. Diese scheinbare Semantik kann sehr schwer wiegen, wenn dahinter dogmatische Einstellungen stehen, die mit Macht verbunden sind. Sie machen nämlich jede Kritik an Aussagen und Handlungen, die auf diese Weise als alternativlos alimentiert werden sollen, mundtot und führen allzu oft zur Diffamierung des Andersdenkenden. Als Beispiele seien die Auseinandersetzungen um die Corona-Politik genannt oder um die Frage, ob die Unterstützung von Krieg in der Ukraine und im Palästina-Konflikt legitim sei. Diese scheinbar abgehobenen Beispiele für die Sinnfrage - abgehoben deswegen, weil sie im politischen gestellt werden – haben meines Erachtens nach einen direkten Bezug zu der Sinnfrage, vor die jeder einzelne immer wieder persönlich steht. Sie stellt sich meistens unbewusst und findet gleichzeitig in verschiedenen Sphären statt, die unzertrennbar miteinander verbunden sind. Das gilt für alle Menschen in der Gesellschaft, insbesondere für unsere Kinder. Über mangelnde Sinnfindung bei Kindern habe ich in meinem Buch „Menschenführung“ geschrieben und folgendes Modell benutzt.

Modell Sinn

Es ist eine Binsenweisheit, dass Sinn nicht von außen kommt, sondern jeder Mensch für seine Sinngebung zuständig ist. Die offenbart sich in drei miteinander verbundenen Phänomenen. Erstens, in der Dominanz des Dinglichen in unserem Leben. Dazu gehört ein unbeirrbarer Glaube an die Wissenschaften und an die Wahrheit der Zahlen. Die lügen bekanntlich nicht. Zweitens, in dem wenig ausgeprägten Misstrauen gegenüber dogmatischem Denken. Richtig und Falsch gibt es nur in der Mathematik. Alles andere ist Ansichtssache. Und Drittens, im fehlenden Glauben an eine transzendentale Kraft, die jedem Menschen innewohnt und die ihn über sich hinauswachsen lässt. –

Das Modell soll dazu dienen, die sinngebenden Sphären deutlich zu machen und noch mehr, auf deren Schieflage in unserer Gesellschaft hinzuweisen, in der ich die Hauptursache für unmenschliche Entscheidungen sehe. Das sind solche, die die Würde des Menschen verletzen, indem sie ihn verdinglichen und damit krank machen und im schlimmsten Fall umbringen (Stichworte: Human Resources, Burnouts, innere Kündigung, verhaltensauffällige Kinder und Erwachsene, Krieg als Mittel der Politik u.a.).

Intelligenz ohne Zweifel ist dumm

Befürworter und Gegner in einem Interessenkonflikt argumentieren mit wissenschaftlichen Erkenntnissen. Beide Seiten führen Statistiken ins Feld. Sie sind Zahlen-Modelle, die suggerieren sollen, dass sie ein Abbild der Realität sind. Im Bereich der Technik ist das realitätsgetreue Anfertigen von Modellen statthaft und nützlich. Maschinen wie Flugzeuge sind komplexe Systeme. Komponenten und deren Zusammenwirken sind bekannt. Ein realitätsechter Nachbau im Modell ist möglich und aus unterschiedlichsten Gründen wünschenswert. Der Nachbau menschlicher Intelligenz mit dem Anspruch auf deren Perfektionierung (Stichwort: Künstliche Intelligenz) muss wegen der Kompliziertheit des Menschen als biologisches, fühlendes, denkendes und spirituelles Lebewesen bezweifelt werden. Was ihr fehlt, ist die Geisteshaltung des Zweifelns. Die sollte man nicht noch so versierten Programmierern überlassen. Täte man es, wäre der Manipulation Tür und Tor geöffnet.

Beide Phänomene, die Verdinglichung alles Menschlichen und Geist ohne den Zweifel, würden nicht nur jede menschliche Lösung von Aufgaben und Konflikten verhindern, sondern letztlich auch Sinngebung zu einem erfüllten Leben unmöglich machen. Die Lösung sehe ich in der Hinwendung zum dritten Phänomen. Es ist die Erkenntnis, dass der Mensch mehr ist als ein biologisches Wesen mit einem intelligenten Hirn. Was das Mehr ist, entzieht sich jeder wissenschaftlichen Betrachtung und entfaltet dennoch eine Kraft, die Angst nehmen kann, Mut macht und gerade in der Not Menschen über alle Differenzen zusammenbringt.

Die größte Kraft im Universum

Vor einigen Jahren hatte ich auf einer Autobahnraststätte ein bemerkenswertes Erlebnis. Ich hatte gerade eingeparkt, als aus dem Auto neben mir ein Mann und eine Frau gesetzten Alters ausstiegen. Anstatt in Richtung Eingang zu gehen, trafen sie sich vor der Motorhaube und nahmen sich in den Arm. Für einige Sekunden sahen sie sich wortlos in die Augen. Dann fasten sie sich bei der Hand und gingen in die Raststätte. Ein anderes Paar, dass sich anschickte, in ihren Wagen zu steigen, hatte die Szene ebenfalls mitbekommen. Die Frau sagte: „Schau mal, ist das nicht wunderbar?!“ Der Mann brummelte so etwas wie: „Muss Liebe schön sein“. Dann stiegen sie ein und fuhren davon. Die Frau wie der Mann hatten mir aus der Seele gesprochen.

Ich bin überzeugt davon, dass zum Menschsein die Sphäre der Seele gehört und dass sie der Ursprung dessen ist, was wir Liebe nennen. Ihre Existenz ist weder messbar noch wissenschaftlich nachweisbar. Man kann das Wirken ihrer universellen Kraft nur erfahren. Es ist unerheblich, aus welcher Quelle ein Mensch diese Kraft schöpft, ob über die persönliche Erfahrung des Lieben und geliebt Werdens oder über den Glauben an Gott oder über spirituelle Naturverbundenheit oder über leuchtende Persönlichkeiten der Geschichte wie Gandhi oder Martin Luther King. Wichtig allein ist, dass Menschen, besonders in Notzeiten, wieder lernen, auf diese Kraft zu vertrauen. Das bedeutet, über alle Lager-Mentalität hinweg den anderen mit Achtsamkeit begegnen, dessen Ängste ernst nehmen und vor allem ihn bildlich und wörtlich in den Arm nehmen. In einer solchen Solidarität wären Infrage stellen und Diskurs möglich, die zu einem gesunden Weg aus jeder Krise führen könnten. „Wer nicht liebt, der lebt nicht“, schrieb der US-amerikanische Professor der Pädagogik, Leonardo Buscaglia, in seinem Buch „Liebe“. Ich möchte ergänzen, der wird krank. So gesehen ist die Einbeziehung der größten Kraft im Universum in sein Leben der beste Schutz vor Krankheit. Sie würde nämlich den Geist dazu bringen, die krank machende Dominanz des Dinglichen zu beenden. Die Sphären der Sinngebung wären in Harmonie. Oder wie der griechische Philosoph Aristoteles sinngemäß gesagt hat: Glücklich ist der, der in Allem sein eigenes Maß findet. [Ulrich Scholz/erstveröffentlicht auf Ulrichs Newsletter]

Politik – Die Kunst des Menschlichen

Ein US -Präsident schickt Truppen, um seine Bürger zu disziplinieren. Wo wird das hinführen? - Eine implodierende USA ist nicht gut für das Land, nicht gut für uns und nicht gut für die Welt.

Gleichzeitig haben sich Israel und der Iran in einen Luftkrieg verbissen, ohne dass ein politisches Ziel zu erkennen ist.

Die USA und GB verlegen militärische Kräfte in die Region. Wie weit wird die Eskalation gehen? - Krieg der „“Weltgemeinschaft“ gegen den Iran mit dem Ziel „Regime Change“? -

Wann wird der erste Nuke explodieren? -

Die islamische Welt ist ein Pulverfass, und die Lunte brennt. Es könnte uns allen um die Ohren fliegen.

Unseren Politikern fällt nichts anderes ein, als Mantra-artig das Recht Israels zur Selbstverteidigung zu beschwören, einseitig zu verurteilen und ansonsten die Kriegsparteien zur Deeskalation aufzufordern.

Politik ist die Kunst des Möglichen, soll Otto von Bismarck gesagt haben. Der Satz hat eine Blutspur durch die Geschichte gezogen. Er enthält nämlich den Persilschein zu Krieg.

Politik sollte eigentlich die Kunst des Menschlichen sein. Dazu braucht es Führungspersonen wie Charles de Gaulle, Willi Brandt, Yitzhak Rabin und Yassir Arafat.

Politikern, die wiedergewählt werden wollen, fehlt dazu anscheinend der Verstand und noch mehr das Gewissen. [Ulrich Scholz/ erstveröffentlicht auf Ulrichs Newsletter]

Unnötige Kriege

Die Historie

Winston Churchill

Der britische Premierminister Winston Churchill nannte den zweiten Weltkrieg einmal den unnötigen Krieg. Im Vorwort zu seinen Memoiren schreibt er:

„Eines Tages sagte mir Präsident Roosevelt, dass er die Öffentlichkeit um Anregung ersuche, wie der Krieg benannt werden soll. Ich erwiderte sofort: ´Der unnötige Krieg`. Niemals hätte sich ein Krieg leichter verhindern lassen als dieser, der soeben alles vernichtet hat, was von der Welt nach dem vorangegangenen Kampf noch übriggeblieben war. Die menschliche Tragödie erreicht ihren Höhepunkt darin, dass wir nach allen Mühen und Opfern von Hunderten von Millionen Menschen und nach den Siegen der gerechten Sache noch immer nicht Frieden oder Sicherheit gefunden haben, und dass wir uns inmitten von Gefahren befinden, die noch schlimmer sind, als die überwundenen.“ – Winston Spencer Churchill, Churchill Memoiren Band I., 1948, S. 15

Wie die Geschichte gezeigt hat, sind die meisten Kriege unnötig. Sie sind unnötig, weil ihre Ursache im Menschlichen zu finden ist und wir sie daher vermeiden bzw. beenden könnten. Wenn wir das nicht tun, dann lauern auf uns Gefahren, „die noch schlimmer sind, als die überwundenen“. Churchill schrieb diese warnenden Worte nach dem Ende des zweiten Weltkriegs, der 65 Mio Menschen das Leben gekostet und Europa in Schutt und Asche gelegt hatte. Bei der Aufarbeitung der Geschichte ging es ihm nicht in erster Linie darum, Aggressoren zu brandmarken oder eigenes Handeln zu rechtfertigen, sondern darum, Fehler der eigenen Seite zu benennen, die zum Ausbruch des Krieges beigetragen hatten. Eine solche Haltung unterscheidet den Staatsmann vom Politiker, der wiedergewählt werden will.

So bezeichnete der einstige britische Premier die gegen Deutschland verhängten Wirtschaftssanktionen des Versailler Friedensvertrages von 1919 als “böse und töricht”. Er zitierte den französische Marshall Foch, der zur Unterzeichnung des Versailler Vertrages bitter bemerkt hatte:” Das ist kein Friede. Das ist ein Waffenstillstand für zwanzig Jahre.” - Die Diktate der Sieger gegenüber Deutschland entsprachen einem Zeitgeist, dessen Ursachen anscheinend universellen Charakter haben, wie die heutige Politik des Westens gegenüber Russland beweist. Die Ursache lautet: Mangelnde Empathie. Und die wiederum hat auch ihre Ursache: Die weitverbreitete Unfähigkeit bzw. Verweigerung, ganzheitlich zu fühlen und denken und sich auch selbst in Frage zu stellen. Churchills Beschreibung des Zeitgeistes in Großbritannien nach Ende des ersten Weltkrieges spricht für sich:

“Die breiten Massen hatten von den einfachsten wirtschaftlichen Tatsachen keine Ahnung, und die Parteiführer wagten mit Rücksicht auf ihre Wähler nicht, sie darüber aufzuklären. Die Presse besprach und unterstrich nach altem Brauch die vorherrschenden Ansichten.” – Ebda, S. 22

Die Gegenwart

Wie Sie unschwer erkennen können, hat Churchills Erkenntnis eine erschreckende Aktualität. Die Politik des Westens gegenüber Putins Russland zeugt von einer Empathielosigkeit, die ebenfalls von einer gleichgeschalteten vorherrschenden Ansicht in weiten Teilen der Bevölkerung sowie bei Politikern und Journalisten getragen wird. Als besonders erschreckend ist zu bemerken, dass diejenigen, die sich um Empathie bemühen, als “Russlandversteher” beschimpft werden. Den Konfliktgegner verstehen heißt doch nicht, damit einverstanden zu sein, was er tut.

Sicher ist: Die Konflikt-Protagonisten haben Interessen, und Moral und Gesetz gehören nicht dazu, wie deren Realpolitik immer wieder zeigt. Sie werden als Mittel zum Zweck missbraucht. Sicher ist auch, dass Krieg nicht im Interesse von Staaten sein kann, wenn sie Globalisierung zum Wohl aller ernst meinen. Es gibt immer divergierende Interessen. Die müssen auf den Tisch und fair ausbalanciert werden. Moral und Recht dürfen nicht dazu gehören. Mit ihnen lässt sich nämlich jeder Krieg begründen. Juristen und Selbstgerechte schaffen das leicht. Dabei können sie in einer multi-kulturellen Welt einzig allein Werte sein, die ausschließlich das eigene Handeln bestimmen dürfen. Ihre normative Kraft bringt sie zum Wirken, nicht Soldaten und Panzer. Sie meinen, dass sei blau-äugig? – Hier ist ein Beispiel für „Normative Power“ aus der neueren Geschichte.

Das Hinrichten von Gesetzesbrechern war bis in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts weltweit eine legitime Form der Bestrafung – auch in Europa. Als im politischen Einigungsprozess unseres Kontinents der Europarat sich weltweit vehement für eine Abschaffung dieser unmenschlichen Bestrafungsform einsetzte und in der Folge die EU diese formal zur Bedingung für eine Mitgliedschaft machte, änderte sich sukzessive das Verhalten der meisten Staaten. Sie schafften die Todesstrafe ab oder vollstreckten nicht mehr. In 142 Staaten von den insgesamt 195 Staaten der Welt wird nicht mehr hingerichtet. Niemand hatte sie gezwungen. Wer Nähe zu uns haben will, der tut gut daran, unsere Normen zu beachten. Aus aktuellem Anlass ein bemerkenswertes Detail. In Russland gibt es formal immer noch die Todesstrafe. Die letzte Vollstreckung war 1999 ( Die Amtseinführung Putins als Präsident der Russischen Föderation war am 31.12.1999)

Bleibt zu hoffen, dass sich diese Vernunft endlich weltweit durchsetzt, wenn es darum geht, politische Ziele durch Krieg erreichen zu wollen. Die zeigt sich darin, dass man dem Konflikt-Gegner Empathie entgegenbringt. Das gilt für Politiker, Journalisten und Bürger gleichermaßen. Empathisch sein ist letztendlich eine menschliche Regung. Im Privaten wissen wir es schon längst. Sie wirkt nicht dadurch, dass man sie vom anderen fordert, sondern dadurch, dass man selbst empathisch ist. Wenn die politisch Verantwortlichen das beherzigen würden, der Ukrainekrieg wäre morgen beendet. Es gäbe nicht nur keine unnötigen Kriege mehr, der Krieg wäre endgültig Geschichte.

Nachtrag

Rüsten, Kriegsvorbereitung und Moralisieren, die die heutige Agenda unserer Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmen, sind irrational. Auf der einen Seite unterstellt man Putin Großmachtswahn, der darauf aus ist, Europa militärisch zu unterwerfen. Auf der anderen Seite rechnet man mit seiner Rationalität, wenn man meint, ihn durch militärische Stärke abschrecken zu können. Die Irrationalität gipfelt in dem Glauben, eine militärische Konfrontation mit einem atomar gerüsteten Russland in Europa siegreich bestehen zu können, falls die Abschreckung versagt. Man verweigert den rationalen Schluss, dass der Frieden, der danach folgt, ein Friedhofsfrieden sein wird. [Ulrich Scholz/esrtveröffentlicht auf Ulrichs Newsletter]

Lasst Blumen sprechen

Wussten Sie, dass Länder ihre eigene nationale Blume haben? - Was für ein buntes Unterscheidungsmerkmal! - Anstatt des phantasielosen EU-Symbols könnte man seine Landesblume als Sticker an seinem Auto führen. - In den USA macht man ja schon ähnliches. Staaten haben Beinamen, die auf den Nummernschildern Autos geschrieben stehen. Florida ist der Sunshine State, Kansas der Sunflower State und Texas der Lone Star State. - Die nationale Blume könnte in allen Bereichen der Gesellschaft als Identitätsmerkmal dienen.

So zum Beispiel auf den Trikots von Sportlern und auf Fahnen und Schals der Fans. Für Mode und Werbung täten sich unzählige Möglichkeiten auf, nationale Wir-Gefühle zu fördern und natürlich auch den Umsatz. - Sogar für den Frieden könnte man die nationale Blume Nutzen.

Sie sollte als nationales Symbol der Streitkräfte an der Außenhülle von Panzern, Kampfjets und Kriegsschiffen klar erkennbar sein. Entsprechendes gilt für Kampfanzüge der Soldaten. Wer mit einer Blume in den Krieg zieht, auf den schießt man nicht gern. Sollte es doch noch zu einem Krieg kommen, käme es zum letzten Dienst einer nationalen Blume. Die Soldatengräber mit den weißen Kreuzen könnte man entsprechend der Nationalität der Gefallenen mit ihrer nationalen Blume bepflanzen. Das würde das Zählen einfacher machen und Aufschluss darüber geben, wer gewonnen hat. [Ulrich Scholz, erstveröffentlicht bei Ulrichs Newsletter]

Die Allmacht der Information

Information als Kriegstreiber in der Geschichte der USA

Ulrich Scholz

“You furnish the pictures, and I'll furnish the war." (Sie liefern mir die Bilder, und ich liefere den Krieg) – Diesen berühmten Satz kabelte William Randolph Hearst, Besitzer und Herausgeber des New York Journal, an seinen Angestellten, einem Maler, der für ihn auf Cuba Bilder zeichnen sollte, die das brutale Besatzungsregime der spanischen Kolonialmacht belegten. Dieser hatte ihm zuvor gemeldet, dass alles friedlich und ruhig sei. Es gäbe nichts zu tun, und er wolle wieder nach New York zurückkehren. Der Hearst Angestellte wollte nach Hause, also bekam sein Chef die Bilder, die er brauchte. Als dann das US-Kriegsschiff, die USS Maine, bei einem Aufenthalt im Hafen von Havanna explodierte (15. Februar 1898), machten die Kriegsbefürworter in den USA Spanien für diesen Angriff verantwortlich (später stellte sich heraus, dass ein Schwelbrand in einem der Kohlebunker die Explosion ausgelöst hatte). Die aggressive Anti-Spanien Berichterstattung der Hearst-Presse tat ihr Übriges. Eine in der Mehrheit auf Frieden gestimmte amerikanische Öffentlichkeit und die auf Mäßigung ausgerichtete US-Administration schwenkten um. Man erklärte Spanien den Krieg (25. April 1898). Er dauerte 10 Wochen und endete mit dem Friedensvertrag von Paris. Die USA bekamen die spanischen Kolonien Kuba, Puerto Rico und die Phlippinen in ihren Besitz. Dieses historische Beispiel ist ein Schlüsselloch. Wenn man hindurchschaut, bekommt man eine Sicht auf die Allmacht von Information, die nicht einfach daherkommt und auftragsgemäß von einer freien Presse veröffentlicht wird, sondern immer schon von Interessengruppen gezielt benutzt wurde, um Ziele zu verfolgen. Beim Militär hieß es früher Information Warfare. Wenn der Gegner sich ihrer bedient, nennt man es Spionage, Propaganda und Zersetzung, auf der eigenen Seite spricht man von Aufklärung, Nachrichten und psychologischer Kriegführung.

Information, die Kriege verlieren lässt

Nach dem Vietnamkrieg (1965-1973), der von den USA an der Informationsfront verloren wurde, begriffen die Amerikaner „Information“ als einen Kriegsraum der besonderen Art. Der Gegner, das kommunistische Nordvietnam, hatte immer wieder verlustreiche Kriegsoperationen in Szene gesetzt, um die amerikanischen Bevölkerung durch die damals noch ungefilterte Berichterstattung vom Leiden und Sterben, die ihr Abend für Abend im Fernsehen gezeigt wurde, zu schockieren. Sie taten ihre Wirkung. Der Druck der öffentlichen Meinung hat die US-Regierung gezwungen, ihr Kriegsengagement über Verhandlungen zu beenden. In der Folge haben Thinktanks des US-Militärs Information als Waffe wissenschaftlich untersucht. Das Ergebnis ist die US-Militär Doktrin „Information Operations“. Die NATO hat sie in ein eigenes Dokument übernommen. In den Kriegsoperationen der USA, anderer NATO-Länder und der der NATO (Irak, Libyen, Afghanistan, der Falklandkrieg, Drohnenkrieg) kamen sie voll zur Anwendung. Menschliche Leiden der Kampfhandlungen wurden nicht gezeigt. Der Ukraine-Konflikt ist das aktuelle Beispiel dafür. Er zeigt, dass „Information Operations“ nicht nur im Krieg zur Anwendung kommen, sondern ein integraler Bestandteil politischen (und wirtschaftlichen) Handelns geworden sind. Wenn man die US/NATO Doktrin studiert, wird das konkrete Handeln der USA und ihrer NATO-Verbündeten gegenüber Russland im Informationsraum offensichtlich.

Information als universelle Waffe

„Information Operations“ besteht eben nicht nur aus dem militärischen Ausspähen des Gegners mittels Satelliten, Drohnen und geheimdienstlicher Nachrichtengewinnung sowie durch den physischen Einsatz gegen dessen Aufklärungssysteme (stören und zerstören), sondern hat auch und vor Allem darin das Ziel, die Hirne von Menschen zu beeinflussen. Man will nicht nur auf den Gegner Einfluss nehmen, sondern auch auf die politische und öffentliche Meinungsbildung im eigenen Lager. Das ist in einer Demokratie mit einer freien Presse nur möglich, wenn man moralisch/ethische Argumente ins Feld führt und Angst schürt. Wenn das gelingt, kann man auch demokratische Gesellschaften für Krieg und Aufrüstung gewinnen. In diesem Sinne erleben wir gerade eine Wiederauflage des US-spanischen Krieges, wie eingangs vorgestellt. Dabei geht es immer nur um Interessen! – Geo-politische Interessen von Staaten und denen der Nutznießer, wie zum Beispiel der Rüstungsindustrie, dem militärischen Establishment (hier der Bundeswehr) und einer Presse, die sich über Clicks im Internet wichtig machen will. Ein Beispiel von deren „Information Operations“ wird an folgendem aktuellen Beispiel offensichtlich.

Information im Ukrainekrieg

In einem Artikel von FOCUS vom 27.04.2025 mit dem Titel „Generalinspekteur beklagt deutsche Realitätsverweigerung“ wird von einer Sicherheitstagung des Bundesamt für Verfassungsschutzes berichtet. Beiträge des Sicherheitsdienstes wie Drohnensichtungen über Kasernen und Industrieeinrichtungen, die Verschmutzung der Wasserversorgung eines deutschen Kriegsschiffes, das Hacken des Handys eines Soldaten, der in der Ausbildung von ukrainischen Soldaten tätig war, versuchte Brandanschläge auf kommerzielle Einrichtungen in Litauen und Polen und Hackerversuche gegen Behörden und sicherheitspolitische Veranstaltungen werden durchaus als kriminelle Einzeltaten vermutet, die es kriminaltechnisch zu untersuchen gilt. Diese Einzeltaten sind dem Phänomen einer aufheizten Atmosphäre wie dem Ukrainekrieg geschuldet. Die Motivation von politischen Wirrköpfen und kriminelle Energie haben dazu geführt. Die Presse hat von Anfang an durch ihre „Kriegsberichterstattung“ dazu ihren Beitrag geleistet. Wenn jetzt der Generalinspekteur der Bundeswehr dabei geht und sie instrumentalisiert und diese Ereignisse zu einem Informationspaket schnürt, um eine russische Bedrohung zu konstruieren, dann ist das ein klassisches Beispiel für „Information Operation Operations“. Russische „Information Operations“ haben, ähnlich die der USA, andere effektivere Möglichkeiten, um in einem Krieg zu ihrem Vorteil Informationen zu sammeln und zu nutzen. Die vorgetragenen Beispiele sind dabei eher zu ihrem Nachteil. Warum sollte Herr Putin auf der „Mülleimerebene“ so agieren?

Information, Hure für Partialinteressen

Der Generalinspekteur der Bundeswehr will keinen Krieg. Ihm geht es um die politische und öffentliche Bereitschaft zu mehr Rüstung. Die braucht er, um seiner Bundeswehr zu mehr Wachstum zu verhelfen und nicht zuletzt seinem Prestige zu dienen. Herr Hearst ist guter Gesellschaft. Mir ging es darum, deutlich zu machen, dass Interessen das treibende Element für Informationspolitik sind. Die ist nicht zufällig, sondern folgt der Doktrin von „Information Operations“. Es gibt noch mehr Beispiele dafür, auch aus der zivilen Welt. Darüber zu informieren habe ich vor einigen Jahren eine Präsentation aufgelegt. Wenn es Sie interessiert, können Sie sie buchen. [Ulrich Scholz, erstveröffentlicht auf Ulrichs Newsletter]

Denken – Es ist nicht das, was Sie denken, dass es ist

Ulrich Scholz

Wenn Menschen in der Schule Denken gelernt hätten, es gäbe weniger Konflikte in der Gesellschaft, klügere Entscheidungen in Wirtschaft und Politik und ziemlich sicher auch weniger Kriege. Diese Aussagen haben keinen wissenschaftlichen Anspruch, sondern sind allein Schlussfolgerungen meines eigenen Denkens. Das ist geprägt von verstehen wollen, dem Bemühen um ganzheitliche Sichtweisen, der Lust, Neues mit Altem zu verknüpfen und dem Mut, Althergebrachtes zu zerschlagen, um dem Neuen eine Chance zu geben. Alles viel zu theoretisch, werden Sie vielleicht denken. Es könnte auch sein, dass Ihnen spontan konkrete Beispiele einfallen, wie zum Beispiel das Denken über den Ukraine-Krieg oder den Klimawandel oder die nächste Pandemie oder den Lehrermangel oder die zukünftige US-Außenpolitik der Trump Regierung. Sie könnten aber auch ein privates oder ein Wirtschafts-Thema dem angebotenen Denken aussetzen. Dazu sollten Sie wissen, was Denken eigentlich ist und wie man es lernen kann. An der folgenden kleinen Geschichte einer Geografie-Stunde in einer 8. Gymnasial-Klasse soll beides deutlich werden.

Die Muster der Schule

Der Pausengong signalisierte das Ende einer Unterrichtsstunde. Ich stand mit der Karte von Russland bewaffnet vor dem Klassenraum der 8d und wartete darauf, dass die Tür aufging. Fünf Minuten vergingen, und es ertönte wieder der Gong, der den Beginn der nächsten Unterrichtsstunde verkündete, in diesem Falle meiner Stunde Geografie. Nun ist Latein zwar Hauptfach und Geografie nicht, aber ich wollte trotzdem nicht länger warten und öffnete laut vernehmlich die Klassenzimmertür. Kollegin „Latein“ war gerade dabei, die Hausaufgaben an die Tafel zu schreiben. Sie sah mich. „Ich bin gleich fertig!“ Die Schüler schauten etwas erschöpft drein. Ein Mädchen fragte mich, ob sie schnell noch auf die Toilette gehen dürfte. Ich Schickel die gesamte Klasse in eine 5 Minuten Pause. „Entschuldige bitte, aber das musste sein,“ sagte meine nette Kollegin. „Sie waren etwas langsam, und ich musste heute meinen Unterrichtsstoff auf jeden Fall durchkriegen. Am Freitag schreiben wir eine Klassenarbeit.“ – Obwohl ich wusste, dass sie ein typisches Lehrerverhalten zeigte, war ich trotzdem sprachlos. Lehrer lernen in der pädagogischen Ausbildung, dass das Implantieren von Wissen in ein Hirn neuro-biologisch nicht möglich ist. Trotzdem geben sie sich nach wie vor alle Mühe, die Inhalte des Lehrplans mittels des Nürnberger Trichters in die Köpfe ihrer Schüler einzupauken. Die eigentliche Aufgabe von Schule ist schon längst eine andere. Welche, bringt ein Zitat des einstmaligen Rektor der TH Dresden, Prof. Dr. phil., Dr. theol. H. c., Dr.-Ing. E. h.Cornelius Gurlitt auf den Punkt. Er sagte: Man soll Denken lehren, nicht Gedachtes.

Die Muster des Hirns

Was Denken ist, wie man es Kindern beibringt und welche Vorteile es hat, wenn sie denken können, darüber möchte ich in der folgenden Geschichte erzählen. Die Erkenntnisse, die ich gewonnen habe, stammen nicht aus irgendwelchen Büchern, sondern sind allein Ergebnisse eigenen Denkens. Was Denken ist, darüber gibt die operationelle Struktur des Hirns Auskunft. Um nicht im Chaos unendlicher Daten, die zu jeder Sekunde das Nervensystem überfluten, zu ertrinken, bildet das Gehirn Muster. Daten werden nach Funktionalitäten sortiert. Die meisten Muster laufen unbewusst ab (z.B. Körperfunktionen und Überlebensreflexe). In der Welt des Bewusstseins reagiert der Mensch genauso. Er sortiert die Datenmenge, die über seine Sensoren ins Gehirn gelangen, über Muster. Wissenschaftliches Arbeiten ist dafür ein klassisches Beispiel. Die Schulfächer und deren Inhalte spiegeln diese Musterbildungen. Die Fachbereiche Mathematik, Physik, Biologie, Chemie, Philosophie, Geschichte, Sprachen und Geografie sind Konstruktionen, die das Verstehen der Umwelt und nicht zuletzt des Menschen ermöglichen sollen, um daraus vernünftiges Handeln abzuleiten. Hieraus ergibt sich die wahre Bedeutung des Denkens. Es geht darum, diese Muster kennenzulernen und zu verstehen und mehr, sie miteinander verknüpfen zu können. Kurzgefasst: Denken ist der geistige Umgang mit Mustern.

Die Muster der Welt

Wie man Kinder Denken lehrt, möchte ich an einem praktischen Beispiel aus meinem Alltag als Vertretungslehrer deutlich machen. Das Thema des letzten Schulhalbjahres war in den 8. Klassen „Eine Welt – Viele Welten“. In der Einführungsstunde hatte ich eine Fotomontage der Erde bei Nacht auf das Smartboard projiziert und die Schüler gefragt, was sie sehen. Sie zählten die Kontinente auf. Dann sagte jemand, er sehe Lichter. Es begann ein kleiner Wettbewerb. Sie wetteiferten im Erkennen von Ländern und Städten. Ich fragte sie nach den dunklen Flächen. Sie identifizierten die Ozeane, die Sahara und das Amazonas-Gebiet. Was sagen euch Lichter und Dunkelheit noch, habe ich sie gefragt. Der berühmte Domino-Effekt setzte ein. Ich kam mit dem Tafelanschrieb kaum hinterher. Strom, Energie, Verschwendung, Reichtum, Armut, Hafenstädte, Handel … sie zoomten denkend in das Bild hinein, um im nächst Moment wieder in die Totale zu gehen. Sie zerlegten das Nachtbild der Erde in Muster. Wir haben sie über eine Mindmap sortiert. Jeweils zwei Schüler durften sich ein konkretes Thema formulieren, dass sie zu einem bestimmten Tag auf dem Kalender vorbereiten und präsentieren sollten, um im Anschluss darüber zu diskutieren. Von der illegalen Migration armer Mexikaner in die USA über Kinderarbeit in Bangladesch bis hin zum Kampf der Kulturen … jede Geografiestunde war spannend. Als die Schüler begriffen, dass es nicht darum ging, es mir recht zu machen, begannen sie mit Mustern zu spielen. Sie abstrahierten, reduzierten, substituierten und assoziierten, ohne dass es ihnen bewusst war. Irgendwann habe ich ihnen dann die Muster des Denkens vorgestellt und sie darüber gelobt, wie gewandt sie mit ihnen umgehen. Sie waren stolz wie die Spanier und benutzen seitdem die Denkbegriffe sinngemäß, wenn sie diskutieren. Sie tun es auch zu Hause, wie mir erstaunte Eltern berichtet haben.

Die Muster in mir

Ich bin sicher, dass „meine Kinder“ auch in anderen Fächern angefangen haben zu denken. Man könnte diese Fähigkeit potenzieren, wenn der Prozess des Denkens Fächer- und Jahrgänge-übergreifend orchestriert werden würde. Anstatt eines Lehrplanes sollte jede Schule einen Lernplan haben, dessen Inhalt nicht Wissen, sondern die Kunst des Denkens ist. Ach ja, Sie werden jetzt fragen, wo die Kinder Wissen herbekommen. Nun, das geschieht so gut wie von selbst. Wenn Schüler ein Thema vorbereiten, das sie interessiert, werden sie sich alle nötigen Informationen besorgen, manchmal aus Büchern, meistens aus dem Internet. Denken wird zum Spiel und erzeugt nebenbei auch noch Wissen. Kinder, die durch eine Schule des Denkens gegangen sind, haben es leicht in jeder Folgeausbildung, sind im späteren Berufsleben versierte Aufgaben- und Problemlöser und sind bestens darauf vorbereitet, die Zukunft zu meistern. Ausbildungen, komplexe Aufgaben– und Problemstellungen und das Unbekannte erscheinen uns immer in Form von Mustern. Und wenn wir keines finden, machen wir uns ein eigenes … vorausgesetzt, wir haben Denken gelernt. [Ulrich Scholz, erstveröffentlicht auf Ulrich’s Newsletter]

Über die Verlogenheit der „Gerechten“

Ulrich Scholz
Gut-Böse-Uhr

Die seit Beginn des Ukrainekrieges öffentliche Diskussion bei uns wird von den selbsterklärten „Gerechten“ dominiert. Für jeden, der einen Funken Geschichtsbewusstsein hat und zum selbstständigen Denken fähig ist, müsste sie eigentlich unerträglich sein. Man verurteilt Russland für etwas, dessen die Westmächte genauso schuldig sind. Die größte Schuld ist die, dass wir im Westen Moral und Recht predigen und deretwegen Kriege führen und gleichzeitig unterschlagen, dass es eigentlich Interessen sind, die unser Handeln bestimmen. Das kann man nur verlogen nennen. An Beispielen aus der Vergangenheit und nicht zuletzt am Ukrainekrieg soll diese Verlogenheit deutlich werden.

Die USA erkennen den Internationalen Gerichtshof nicht an

Wussten Sie, dass die USA den Internationalen Gerichtshof in Den Haag nicht anerkennen, wenn dessen Ermittlungen gegen amerikanische Interessen gerichtet sind? – So hatte der Staat Nicaragua beim Gerichtshof gegen Aktivitäten des CIA in dessen Hoheitsgebiet geklagt, bei denen nicaraguanische Fischerboote versenkt wurden. Man hatte Aktivitäten der „Contras“, einer militärischen Organisation von ehemaligen Militärs und Machthabern gegen die demokratisch gewählte sozialistische Regierung, unterstützt, indem man Häfen Nicaraguas vermint hatte. Die Fischerboote waren auf solche Minen aufgelaufen. Die nicaraguanische Regierung klagte beim Gerichtshof auf Schadensersatz. Der urteilte 1986 zugunsten der Anklage. Die US-Regierung ignorierte das Urteil, wie sie jahrelang jede Aufforderung zur Stellungnahme ignoriert hatte. Inzwischen hat man eine Kompensation gezahlt. Regime-Change in Nicaragua wurde für das amerikanische Sicherheitsinteresse nicht mehr als notwendig angesehen. Es wich dem Interesse, als faires Mitglied der Staatengemeinschaft angesehen zu werden. Im Fall der Nichtanerkennung des Internationalen Strafgerichtshofs (auch in Den Haag) wird eine solche Verlogenheit noch deutlicher.

Die USA erkennen den Internationalen Strafgerichtshof nicht an

Die USA lehnen dessen Zuständigkeit für US-amerikanisches Personal kategorisch ab. Zur Ahndung dessen Straftaten sei allein die amerikanische Gerichtsbarkeit zuständig und ausreichend. Die Ablehnung geht so weit, dass Richter des Gerichtshofs persönlich unter Druck gesetzt werden, wenn sie Haftbefehle gegen Personen ausstellen, die amerikanischen Sicherheitsinteressen dienlich sind, wie der israelische Regierungschef Netanjahu. Gleichzeitig scheut man sich nicht, unliebsame globale Gegenspieler wie Herrn Putin vor diese Gerichte bringen zu wollen, die man für sich selbst ablehnt. Besonders verwerflich wird diese Verlogenheit, wenn Kriege unter Berufung auf Internationales Recht geführt werden (Kosovo, Afghanistan, Irak, Libyen). Man bemüht UN-Resolutionen, und wenn solche politisch nicht zu bekommen sind, bemüht man Juristen, die Legitimität und Legalität sicherstellen, indem man neue moralisch aufgeladene Begriffe wie „Humanitarian Intervention“ und „Responsibility to Protect“ erfindet. Man argumentiert mit Moral und Internationalem Recht und meint eigentlich immer nur die Durchsetzung eigener Interessen. Welche das in den genannten Kriegen waren, darüber gibt es hinreichend Literatur und soll an dieser Stelle nicht ausgeführt werden. Im Fall des Ukrainekrieges hat US-Präsident Trump jetzt unverblümt sein Interesse an Friedensverhandlungen offenbart, indem er vorab russische Sicherheitsinteressen anerkannt hat.

Afghanistan und unsere Unfähigkeit zum Lernen

Europäische Regierungen und noch mehr unsere Öffentlichkeit zeigen sich entsetzt. Spätestens nach dem Desaster Afghanistan muss doch allen klar gewesen sein, dass es nicht um Moral und die Durchsetzung von Internationalem Recht ging, sondern allein um die Interessen der Regierung in Washington. Als die Erreichung politischer Ziele (die Ausschaltung der Taliban und ein demokratisches Afghanistan) illusorisch wurde und der Krieg zu teuer, haben sie sich umgedreht und sind gegangen und ihre europäischen Verbündeten ganz leise gleich mit. Nach 20 Jahren Krieg, der 70 000 Zivilpersonen und 90 000 Kämpfern und Soldaten das Leben gekostet hat, herrschen in Afghanistan nun wieder die Taliban. Unter der Fahne von Moral und Recht waren die „Gerechten“ Europas mit den USA in diesen Krieg gezogen. Interessen ihrer Führungsmacht hat sie wieder abziehen lassen. Dieser ungeheure Vorgang wird bei uns in Politik und Öffentlichkeit bis heute totgeschwiegen. Vor diesem Hintergrund muss die kompromisslose Kriegsbereitschaft der Europäer um die Ukraine nachhaltig hinterfragt werden. Wieder ist man unter dem Banner von Moral und Recht der westlichen Führungsmacht USA in einen Krieg gefolgt. Dieses Mal blutet man nicht selbst, sondern lässt andere bluten. Bei den Interessen schaut man bei uns geflissentlich weg. Das nenne ich verlogen. Donald Trump hat sie jetzt gezwungen hinzuschauen und damit die Chance eröffnet, den Krieg zu beenden.

Die Ukraine - Es war kein Überfall

Nun ist das Eingeständnis, dass der Krieg wegen Interessen geführt wurde, eine Haltung, die einem „Gerechten“ fremd ist. Um der Moral und des Rechts wegen wollen die Europäer, dass die Ukrainer diesen Krieg bis zum Sieg weiterführen. Sie gehen noch weiter und erklären Russland als das Böse schlechthin und betreiben eine Milliarden teure Aufrüstung, um die vermeintliche Bedrohung für Europa in Schach zu halten. Was nicht gesehen wird (nicht gesehen werden will) ist, dass Herr Putin für russische Interessen steht, genauso wie die USA für ihre. Erstere werden in der öffentlichen Diskussion als Ausrede hingestellt, um den Angriffskrieg gegen einen friedlichen Nachbarn zu rechtfertigen. Man unterstellt, dass der russische Einmarsch in die Ukraine ein Überfall war, der zum Ziel hatte, das Land einem russischen Imperium einzuverleiben. Die Fakten widersprechen dieser Ansicht. Die Ukraine und der Westen wussten, was Russlands Reaktion sein würde, als die Verhandlungen vor dem Krieg gescheitert waren. Die Definition für „Überfall“ straft sie Lügen. Im Lexikon des Online Juraforum heißt es zum militärischen Überfall:

Im Militärwesen bezieht sich der Begriff "Überfall" auf ein Unternehmen gegen einen unvorbereiteten Gegner. In solchen Fällen erfolgt die militärische Aktion überraschend, um einen strategischen oder taktischen Vorteil gegenüber dem Gegner zu erlangen. Dabei kann es sich beispielsweise um eine plötzliche Invasion oder einen Angriff handeln.

Die Ukrainer und der Westen wussten, dass Putin militärisch reagieren würde, nachdem man russische Sicherheitsinteressen bei den Verhandlungen vor dem Krieg ignoriert hatte. Die perfekte Aufklärung der Amerikaner, nicht zuletzt durch ihre Weltraumfähigkeiten, hatte den Aufmarsch der russischen Streitkräfte minutiös verfolgt und treffend analysiert. Für eine Eroberung der Ukraine reichten die Kräfte nicht aus. Wie man ein Land erobert, hatten die Amerikaner im Irak vorgeführt. Die Russen hätten die militärischen Fähigkeiten gehabt, es genauso zu tun. Ihr Aufmarsch und die folgenden begrenzten Operationen bestätigten das politische Ziel Putins, den NATO-Beitritt der Ukraine zu verhindern. Um Verhandlungen zu erzwingen, wollte er die Macht Selenskys an ihrem Schwerpunkt aushebeln. Es galt, die ukrainische Armee zu stellen und ausschalten. Dass die russischen Operationen in einem blutigen Abnutzungskrieg einmünden würden, war nicht geplant. Die massive Hilfe des Westens und die Resilienz der Ukrainer hatten einen schnellen Erfolg verhindert.

Moral und Recht - Was mich denken und handeln lässt

US-Präsident Trump hat jetzt einen Weg aus dem Krieg aufgezeigt. Der ist Interessen getrieben, wen wundert es. Sind damit Moral und Recht auf der Strecke geblieben? – Als Grund, Krieg zu führen, hoffentlich! - Für den Frieden auf der Welt sind sie dennoch unerlässlich. Die Staatengemeinschaft braucht sie, um zu verhindern, dass wegen Interessen Krieg geführt wird. Das geschieht nicht dadurch, dass man die Einhaltung vom anderen fordert, sondern dadurch, dass man sich vor Allem selbst daranhält. Damit wären für mich Grundvoraussetzungen für einen ehrlichen Interessenausgleich gegeben. Das Predigen würde überflüssig werden, und die Verlogenheit hätte ein Ende. [Ulrich Scholz, erstveröffentlicht auf Ulrichs Newsletter]

Ein europäisches Märchen – Sieben auf einen Streich – Wenn die Klugschnacker in der Verteidigungspolitik Primaten wären …

… dann würden sie wissen, dass sie kämpfen müssten, wenn Drohen keine Wirkung zeigt. Genau das tun Gorillas. Wenn eine fremde Sippe ihnen ihre Futtergründe oder Weibchen streitig macht, richten sich die Männchen der heimischen Sippe auf und trommeln mit den Fäusten auf die Brust. Sie drohen. Wagt es nicht, sonst gibt es blutige Köpfe.

In zwischenstaatlichen Beziehungen nennt man das Abschreckung. Genau die predigen gerade Klugschnacker wie Herr Merz, Frau von der Leyen und so mancher Chefredakteur der Mainstream-Medien. Sogar Generäle sind dabei. Es scheinen dieselben zu sein, die Politiker und Journalisten beraten. Eigentlich sollte ein Militär es besser wissen. Noch mehr Milliarden für den Verteidigungshaushalt, noch mehr Soldaten, noch mehr von den besten Panzern und noch mehr von den besten Kampfflugzeugen, für die Rüstungsindustrie und die Bundeswehr würden goldene Zeiten anbrechen. Sicherheit und Frieden werden sie uns nicht bringen. Eher das Gegenteil.

Wer glaubhaft abschrecken will, muss nämlich auch bereit und fähig sein, den Krieg zu führen. Primaten wie Gorillas sind bereit dazu. Am Ende ihres Revierkampfes gibt es einen Sieger und ein paar tote Tiere. Ein Krieg in Europa würde Länder verwüsten, Millionen von Opfer fordern und im schlimmsten Fall sogar den Untergang der Menschheit zur Folge haben. Wären die Klugschnacker der Abschreckung bei uns bereit, diesen Preis zu zahlen? – Ich mache es ein bisschen billiger. Nehmen wir einmal an, dass die Abschreckung, was den Einsatz von Nuklearwaffen angeht, funktioniert. Wäre NATO-Europa, mit oder ohne die USA, bereit und fähig, einen großen konventionellen Krieg in Europa zu führen? -

Stell dir vor, es wäre Krieg
Eine Panzer-Division (15 000 Soldaten) benötigt im Einsatz pro Tag ca. 4500 Tonnen Verbrauchsgüter (Treibstoff, Munition und Wasser). Die Bereitstellung, das heißt Heranschaffung und Lagerung in Depots sowie der Transport zu den Verbänden im Kampfeinsatz müsste im 24/7 Takt sichergestellt sein. Die Transportmittel wären Güterzüge der Deutschen Bahn und LKW. Geht man von einem maximal Bruttogewicht eines Güterzuges von 1600 Tonnen aus (Quelle: Forschungs-Informations-System) und stellt in Rechnung, dass in Mitteleuropa auf NATO-Seite ca. 30 Divisionen (450 000 Soldaten) im Einsatz sein werden, wird sehr schnell klar, dass schon ohne gezielte Luftangriffe des Gegners die Deutsche Bahn an ihre Grenzen kommt. Der Straßentransport per LKW würde sehr schnell durch Millionen von Privat-PKW behindert werden, in denen sich die Bevölkerung aus den Kriegsgebieten (Polen, Baltische Staaten, Tschechien, Slowakei, Ungarn) in Sicherheit bringen will. Das zu erwartende Verkehrschaos wäre weder vom Militär und schon gar nicht von der Polizei zu beherrschen.

Hinzu kämen kollaterale Waffenwirkungen, die vor allen Dingen die Zivilbevölkerung treffen würde. Deren Opferzahlen würden in die Hunderttausende gehen, sollte eine Seite taktische Nuklearwaffen einsetzen. Das zivile Rettungs- und Krankenhaussystem, das schon in Friedenszeiten an seine Grenzen kommt, würde zusammenbrechen. Um solchen Kriegsszenarien Rechnung zu tragen, haben Länder sogenannte „Total Defense Concepts“ geschaffen. Bei uns in Deutschland heißt es „Gesamtverteidigung“. In ihr sind alle militärischen und zivilen Verteidigungs-Maßnahmen integriert - zumindest auf dem Papier. Es werden zwar regelmäßig Übungen durchgeführt, in denen zivile und militärische Stäbe Kommunikationsverfahren und Zusammenarbeit praktizieren. Das Chaos und die Not einer realen Kriegswelt reduzieren sich jedoch auf Lagebeschreibungen im Übungsordner. Reaktionen werden „gespielt“. In der tatsächlichen Welt wird nicht gehandelt. –

Bedrohungen - gefährlich und irrational
Man muss davon ausgehen, dass die verantwortlichen Politiker, Militärs und Experten der europäischen NATO-Länder das alles wissen. Trotzdem beharren sie darauf, dass Russland für Europa als Bedrohung anzusehen ist und setzen auf die Abschreckungskarte. Damit machen sie Krieg zur Bedrohung. Wie gefährlich und irrational ist das?! - Sie halten die von US-Präsident Trump eingeleitete Russland-Politik für gefährlich und irrational.

Der übernimmt jetzt die Argumentation von Herrn Putin von vor dem Krieg. Eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine verletzt vitale Sicherheitsinteressen Russlands. Nimmt man die Geschichte der NATO hinzu, die einmal als westliches Militärbündnis gegen Russland gegründet wurde und sich nach Ende der Ost-West-Konfrontation immer weiter nach Osten Richtung russische Grenze ausgedehnt hat, dann ist die russische Befindlichkeit auf Bestrebungen des Westens, die Ukraine in die NATO zu holen, überhaupt nicht irrational. Da fragt sich, welche Haltung gefährlich und irrational ist. Russland als Bedrohung für Europa hinzustellen und massiv aufzurüsten oder Russlands Sicherheitsinteressen zu respektieren?

Die Bedrohungsversion beinhaltet Krieg als Option und schließt gute Nachbarschaft und Handel aus. Das Berücksichtigen von Sicherheitsinteressen Russlands würde eine Sicherheitsarchitektur mit den NATO-Staaten möglich machen und könnte in der Folge den Handel mit Europa wieder in Gang bringen. Nutznießer wären vor Allem die Staaten Osteuropas, allen voran die Ukraine. Wenn die Europäer das begriffen, das Märchen vom tapferen Schneiderlein würde neu erzählt werden.

Sieben auf einen Streich
Der Krieg in der Ukraine könnte einvernehmlich beendet werden. Die Bedrohung durch Russland wäre verschwunden. Man bräuchten nicht zu rüsten. Ein großer Krieg in Europa wäre abgewendet, Die atlantische Harmonie wäre um eine kontinentale erweitert. Die Einflussnahme auf US-Präsident Trump wäre möglich. Ein europäisches Märchen könnte wahr werden. [Ulrich Scholz, erstveröffentlicht auf Ulrichs Newsletter]

Kompetenz = Wissen x Fähigkeit x Erfahrung – Richtig ist, was funktioniert und was nicht umbringt

Ulrich Scholz

Kompetenz im Alltag
Die Gleichung im Titel des Artikels ist eine Kurzform des pädagogischen Prinzips, nach dem an unseren Schulen heute unterrichtet wird. Lehren ist nicht mehr nur die Vermittlung von Wissen, dessen Lernen man in einem Test überprüft. Vielmehr geht es darum, das erlernte Wissen zu verstehen. Dazu braucht der Lernende die Fähigkeit, es situationsgerecht anzuwenden. Die wird wiederum durch Wiederholung sichergestellt. Die Erfahrung, dass das eigene Denken richtig ist, führt zu der Erlangung von Kompetenz, die nachhaltig ist. Im Täglichen begegnen wir diesem Prinzip besonders, wenn es um das Umgehen mit technischen Gerät geht.

Ein klassisches Beispiel ist der Erwerb des Führerscheins. Man büffelt die Theorie, die bei der Prüfung in schriftlicher Form abgetestet wird. In Fahrstunden erlernt man die Fähigkeit, die Theorie situationsbezogen anzuwenden. Am Ende steht die Fahrprüfung, die, mit einem bisschen Glück, bestanden wird. Hat man damit die Kompetenz erlangt, ein Auto situationsgerecht zu bewegen? - Natürlich nicht. Es fehlt die Erfahrung. Die bekommt man nur über die Zeit und viel Fahrpraxis. Sind Kompetenzerlangung in der Schule und beim Autofahren vergleichbar? – Auf der untersten Ebene des Formalen, ja. Für das Erlernen und Anwenden von Mathematikregeln wie die Prozentrechnung oder die Grammatik einer Sprache gilt die Kompetenzgleichung genauso wie für das vorschriftsmäßige Führen eines Autos. Die Vergleichbarkeit kommt formal zum Ausdruck, indem Kompetenz und Komponenten als ein Produkt dargestellt werden. Wenn in einer Multiplikation ein Faktor gegen Null geht, geht das Ergebnis gegen Null. Lässt sich die Logik dieser Gleichung auf alle Kompetenzen in der Schule, im Beruf, in der Politik, in der Wirtschaft und in der Gesellschaft anwenden? – Ich meine, Nein.

Die Kompetenzlüge
Trotzdem tut man so, als ob es möglich wäre. Damit suggeriert man, dass es ein objektives Wissen gäbe, ein allgemeingültiges Verständnis desselben und zieht Erfahrungen heran, die es scheinbar bestätigen. In der Wissenschaft nennt man diese Denkweise zirkuläre Schlüsse. Sie gelten als „unanständig“). Man unterschlägt, dass Wissen aus Informationen besteht, deren Auswahl, bei allem Bestreben, objektiv zu sein, wegen der persönlichen und kulturellen Prägungen sowie unterschiedlicher Interessen immer subjektiv ist. Man erklärt diese Informationen zu Fakten und sieht nicht, dass sie allein durch ihre Auswahl dazu gemacht werden (Lat. factum = gemacht). Auf diese Weise kam und kommt es immer wieder zu Bewertungen, die nicht gerechtfertigt sind. Ein Beispiel ist die Kritik an Regierungsmitgliedern der Ampel-Regierung. Man zog ihre Fach-Kompetenz in Zweifel, weil sie ja keine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen konnten. Dazu sei bemerkt, dass in jedem Ministerium ein Stab von qualifizierten Mitarbeitern sitzen, die ihren Minister beraten und Entscheidungen vorbereiten.

Die Inkompetenz, die man ihnen vorwerfen muss, ist eine weitverbreitete. Es ist das Blindsein gegenüber der eigenen Blindheit. Sie sehen nicht die Subjektivität ihres eigenen Denkens und noch schlimmer. Sie erklären ihre Sichtweise und damit ihr Handeln als alternativlos. Damit blockt man die demokratische und ergebnisoffene Diskussion um die großen Themen unserer Zeit wie Corona, Klima, Energie, Migration und Krieg. Meinungsfreiheit und nicht zuletzt das Finden des „richtigen“ Weges, der nicht umbringt (physisch, existenziell und geistig), werden dem Dogma der eigenen „Objektivität“ geopfert.

Sie werden jetzt vielleicht einwenden, dass in unserer Gesellschaft die Pluralität von Sichtweisen sehr wohl gepflegt wird. Im Bundestag wird diskutiert. In Polit-Talkshows bieten Medien eine Plattformen für Diskussionen. Lehrer in Schulen bemühen sich, in Unterrichten zu Geschichte, Politik und Gesellschaft Schüler zur Diskussion anzuhalten. Man diskutiert an Stammtischen und in der Familie. Alle diese „Demokratieübungen“ lassen eines außeracht. Das gelernte Dogma im Denken.

Menschenwürdige Kompetenz
Einer der prominentesten Philosophen des 20. Jahrhundert schreibt dazu:
„Aber mein Weltbild habe ich nicht, weil ich mich von seiner Richtigkeit überzeugt habe, auch nicht, weil ich von seiner Richtigkeit überzeugt bin, sondern weil es der überkommende Hintergrund ist, auf welchem ich zwischen wahr und falsch unterscheide.“ Und weiter: „Wir lernen die Praxis des empirischen Urteilen nicht, indem wir Regeln lernen. Es werden uns Urteile beigebracht und ihr Zusammenhang mit anderen Urteilen. Ein Ganzes von Urteilen wird uns plausibel gemacht.“ (Paul Waztlawick „Wirklichkeitsanpassung oder angepasste Wirklichkeit“ aus dem Buch „Einführung in den Konstruktivismus“ Seite 94)

Wittgensteins Beobachtungen werden erschreckend deutlich, wenn sie die Geschichtsbücher unserer Kinder lesen. Als Vertretungslehrer in diesem Fach hatte ich mir vorgenommen, dieses Denkschema aufzubrechen. Die Gelegenheit bot sich, als das Thema Russland war. Als ich die Kinder fragte, was sie über Russland wissen, bekam ich die Stereotype des Zeitgeistes. Putin, der im Wahn eines neuen Zaren, seine Nachbarn überfallen hatte und jetzt uns alle in Europa bedroht. Ich habe ihnen eine Karte von Russland gezeigt, um die Größe des Landes und Entfernungen deutlich zu machen, die von Moskau aus regiert werden muss. Ich habe ihnen die Geschichte des letzten Zaren Nikolaus II erzählt, von den gesellschaftlichen Verhältnissen in Russland, von Lenin und von der Revolution. Bilder von der Ermordung der Zarenfamilie hatte sie sehr bewegt. Ich habe ihnen die Ideen von Marx erklärt, die sie als gerecht empfanden. Zum Schluss habe ich ihnen einen Cartoon-Clip von Peter und der Wolf gezeigt und ihnen den Komponisten Prokofjew vorgestellt, einem Russen, der in der Ukraine geboren wurde. Am Ende der Vorstellung hatte ich ihnen angeboten, anstelle einer verlangten Klausur (wegen der Note) zu zweit eine Präsentation zum Thema Russland zu geben. Zwei Mädchen fragten mich, ob sie über Putin vortragen dürfen. Natürlich durften sie. Der Vortrag zeigte, dass sie Informationen recherchiert hatten, die ein anderes Wissen und eine andere Sichtweise über Putin und Russland erzeugt hatte. Eine Klassenkameradin mit russischen Wurzeln hat sich anschließend bei ihnen bedankt. Sie fühlte sich als Russin verstanden und angenommen. Da ich in der Klasse auch Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Philosophie unterrichtet habe, waren natürlich die aktuellen Ereignisse um den Ukrainekrieg immer wieder ein Thema. Die Diskussionen darüber waren aber nicht mehr dogmatisch, sondern zweifelnd.

Liegt hier nicht die Kompetenz, die einer Demokratie Sinn im Inneren und Einfluss im Äußeren verschafft? – Den Zeitgeist und sich selbst immer wieder zu hinterfragen und seine Handlungen danach auszurichten, ob sie für das Wohl aller „funkionieren“, was ausschließt, dass sie mich und andere umbringen. [Ulrich Scholz]

Damit Erziehung, Bildung und Demokratie gelingen können: Sich bemühen, den anderen zu verstehen und sich selbst in Frage zu stellen

Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht durch Hiobsbotschaften aus unseren Schulen aufgeschreckt werden, Gewalt durch Schüler gegenüber Lehrern und manchmal auch umgekehrt, ein dramatischer Leistungsabfall bei den Schülern, Burnouts bei Lehrern und ein sich immer mehr ausbreitender Unwille, den einstigen Traumberuf ein ganzes Berufsleben lang ausüben zu wollen. Ich möchte diese Hiobsbotschaften um meine Beobachtungen aus zehn Jahren als Seiteneinsteigerlehrer mit eine grundsätzliche Beobachtung ergänzen. Es gibt eine latente Aversion bei Schülern gegenüber Schule, die ursächlich ihr passives und aktives Verweigerungsverhalten erklärt und in der Folge Lehrern immer wieder die Motivation nimmt, ihrer Erziehungs- und Bildungsaufgabe mit Freude nachzukommen. Die Verantwortlichen auf allen Ebenen versuchen, dagegenzuhalten.

Mehr Schulbegleiter für Problem-Kinder, mehr Schulpsychologen an den Schulen, strengere Schulordnungen, konsequentere Durchsetzung, Einbeziehung der Eltern bei der Disziplinierung ihrer Kinder u.a. sollen einen reibungslosen Unterricht sicherstellen. Sogar die Forderung nach Einrichtung eines Sicherheitsdienstes an Schulen wird laut. Sie mögen im Einzelfall ihre Wirkung tun, sind aber nur Symptombekämpfung. Gilt es doch, den Kindern das Schulleben so „schmackhaft“ zu machen, dass sie gerne kommen und lernen wollen. In diesem Sinne sind Schulleitungen bemüht, die Hygienefaktoren zu verbessern. Dazu gehören u.a. kleinere Klassenstärken, Mitspracherecht der Schüler bei der Unterrichts- und Arbeitsplatzgestaltung, WIR-Veranstaltungen und nicht zuletzt ein reichhaltiges Kantinenangebot (spätere Schulbeginn-Zeiten und längere Pausen zwischen Unterrichten gehören leider nicht dazu). Nun ist bekannt, dass Hygienefaktoren nicht im Positiven wirken, sondern nur im Negativen. Wenn sie nicht zufriedengestellt werden, ist man unzufrieden, schimpft und geht hin, weil man muss. Es gibt ja schließlich eine Schulpflicht. Ihre Erfüllung bedeutet aber nicht, dass Kinder und Jugendliche motiviert werden zu lernen und zu leisten. Da fehlt etwas.

Dieses Fehl erzeugt nicht nur die Unruhe an unseren Schulen, sondern pflanzt sich fort, im Berufsleben bis hin zum demokratischen Verhalten in unserer Gesellschaft. Schließlich sind die Schüler von heute die Arbeitnehmer, Chefs und Politiker von morgen. Was fehlt ist Beziehungsfähigkeit, die mehr ist als die Ausrichtung auf Funktionalität in der Schulausbildung und im Wirtschaftssystem und nicht zuletzt auf demokratische Normen. In meinem Buch „Menschenführung“ schlage ich diesen Bogen an konkreten Beispielen. Was sich ändern muss und wie man dieses Fehl an unseren Schulen zum Besseren ändern kann, darüber soll es in diesem Artikel gehen.

In meiner letzten Verwendung als Offizier war ich Dozent für Führung und Management an der Führungsakademie der Bundeswehr. Meine Eröffnungsveranstaltung zum Thema „Führungsstile“ begann ich mit der Frage: Was ist der richtige Führungsstil? – Nachdem alle bekannten Führungsstile genannt und diskutiert wurden (kooperativ, autoritär, laissez faire u.a.), kam dann die erlösende Antwort: Es kommt darauf an. Man diskutierte trefflich Situationen, die die Relativierung deutlich machten. Auf die menschliche Seite dieser Frage kam kaum jemand. Ich habe ihnen dann einen Clip vorgestellt. Die französische Geigerin Marina Chiche spielte das Stück von Massenet „Meditation“. Im Anschluss habe ich gefragt, was sie wahrgenommen hatten. Man war verunsichert und fragten sich (und mich), was ich hören wollte. Schließlich ist der Lehrgang prüfungsrelevant. Ich war ihr Beurteilender. Irgendwann trauten sie sich. Sie äußerten Gefühle zur Musik, zur Atmosphäre der Umgebung und nicht zuletzt der Mimik und Gestik der hübschen Geigerin. Die Gefühle, die sie äußerten, waren überhaupt nicht einmütig. Einige hatten sich in ihr Gefühl hineinfallen lassen, andere waren skeptisch. Was hat das mit meinem Job als U-Boot Kommandant zu tun oder Staffelchef einer Tornado-Staffel? – Die Frage, die dieses Beispiel aufwirft, ist, was haben menschliche Gefühle mit der Funktionalität des Jobs zu tun? – Meine Antwort: Das eine ist ohne das andere nicht möglich. Dabei geht es nicht mehr nur um Zielerreichung, sondern um das Gefühl des anderen, als Mensch mit seinen Nöten und Gefühlen wahrgenommen zu werden. Der abgedroschene Begriff „bedingungslose Liebe“ passt hier sehr schön. Die allein schafft die Basis für Lernen und Leisten. Ohne sie wird Lernen und Leisten zu einem Dressurakt. Wie man den im Alltag transportieren will, geht nicht über Checklisten. Auch das noch so ausgefeilte Lehrerstudium hilft da nicht weiter, um zum Ausgang des Themas zurückzukommen. Hier sind ein paar Beispiele von Menschenführung aus meinem Alltag als Vertretungslehrer, wie ich sie verstehe.

Wenn ein Schüler zu spät kommt, dann gibt es keinen Eintrag ins Klassenbuch und eine Predigt. Ich sage ihm: Schön, dass Du da bist. Wenn ein Schüler im Unterricht heimlich isst, dann frage ich ihn, ob er schon gefrühstückt hat. Die Antwort ist meistens: Nein. Ich frage die Klasse, wer noch Hunger hat. Finger gehen hoch. Ich unterbreche den Unterricht und mache eine Ess-Pause.

Wenn Schüler im Mathe-Unterricht nach vier zurückgelegten Unterrichtsstunden „abbrechen“, lege ich einen Clip auf. Einen Flashmob mit „I wanne marry you“ von Hugo Mars. Ich tanze dazu. Im nu tanzt die ganze Klasse. Mit meinem Verhalten stelle ich die Regeln des Systems in Frage und damit meine Autorität als Lehrer. Was ich gewinne, ist menschliche Zuneigung.

Von Kindern Einsicht in Schule und deren Normen zu erwarten oder gar sie über ein Disziplinierungssystem zu zwingen zu leisten ist vergebliche Mühe. Was sie erreicht, ist bedingungslose Liebe. Wenn diese Beziehung greift, kann man Schüler mit den pädagogischen Fähigkeiten eines Lehrers leicht zum Lernen, Leisten und Befolgen von Regeln bewegen. Und nicht nur das. Es besteht die Chance, dass sie diese Einstellung für das weitere Leben im Privaten, im Beruf und nicht zuletzt als Staatsbürger in der Demokratie übernehmen. Gewalt an Schulen, Intoleranz in der Gesellschaft und nicht zuletzt Kriege würden der Vergangenheit angehören. Das gilt für den Umgang mit renitenten Schülern, mit unbequemen Mitarbeitern und unfähigen Vorgesetzten, mit dem politischen Gegnern einschließlich der AfD und nicht zuletzt mit aggressiven Nachbarn wie Herrn Putin. Wer gelernt hat, den anderen zu verstehen und sich selbst in Frage zu stellen, der hat begriffen, dass das Problem nicht der andere ist, sondern immer nur man selbst. [Ulrich Scholz, erstveröffentlicht auf Ulrichs Newsletter]

Wenn die Tröte vom Kessel fliegt

Dampfpfeife
Ulrich Scholz

Weit bevor es Kaffeemaschinen gab, hat man Kaffee in einer Kanne aufgegossen. Das Wasser dazu wurde in einem Kessel zum Kochen gebracht. Dessen Gießöffnung wurde mit einer Tröte (Pfeife) verschlossen. Wenn das Wasser kochte, entwich der Überdruck im Kessel durch einen Spalt in der Tröte. Der durch den so erzeugten laute Pfeifton zeigte das Kochen des Wassers an. Wenn man den Kessel nicht schnell vom Feuer nahm, passierte es, dass der Überdruck die Tröte vom Kessel herunterschleuderte. Dieses Bild wird heute immer wieder gern als Metapher benutzt.

Wenn Menschen den psychischen und physischen Druck der Umstände nicht mehr ertragen können, kommt es zu Kurzschlusshandlungen. Die Tröte fliegt vom Kessel. Was kennzeichnet diese Umstände? – Angst. – Was kennzeichnet Kurzschlusshandlungen? – Flucht, Aggression oder Lähmung. – Es sind archaische Instinkte, auf Angst zu reagieren. Man läuft entweder weg oder, wenn das nicht möglich ist, greift man an. Das letzte Mittel ist dann sich totstellen. Nach Freud sind sie nach wie vor im Menschen präsent. Sie äußern sich kaum noch in reinster Form, sondern verkleiden sich in kulturelle Verhaltensnormen der jeweiligen Zeit. Ein Alltagsbeispiel soll das verdeutlichen.

Wenn ein Schuldner, der Angst vor der Insolvenz hat, seine Post nicht mehr öffnet, ist das Flucht. Wenn er den Ehepartner und seine Kinder wegen Nichtigkeiten anschreit, ist das Aggression, und wenn er sich jeden Abend betrinkt, ist das Lähmung. Die Tröte ist vom Kessel geflogen. Mit dieser Sichtweise werden Ihnen sicherlich eigene Beispiele einfallen.

Im Folgenden möchte ich den Fokus aufziehen und zwei aktuelle Beispiele aus Gesellschaft und Politik vorstellen, auf die die Kessel-Metapher ebenfalls anwendbar ist. Schülergewalt an unseren Schulen und die Bereitschaft, Kriege zu unterstützen und sogar führen zu wollen. In beiden Beispielen reagieren die Verantwortlichen scheinbar rational, sehen aber die eigentliche Ursache nicht. Angst. Man argumentiert und handelt wissenschaftlich, um Störer zu „reparieren“ bzw. juristisch/moralisch/militärisch, um Störer auszuschalten.

Schülergewalt

In meinem Buch „Menschenführung – Liebe, LaOla der Vernunft“ schildere ich u.a. meine Erfahrungen als Vertretungslehrer in Hamburg und Schleswig-Holstein. Ich habe an Gymnasien gearbeitet, deren Schüler aus gutbürgerlichen Familien kamen und an Gesamtschulen in sogenannten Brennpunkt-Stadtteilen mit einem großen Anteil von sogenannten Migrationskindern. Was alle Kinder gemeinsam hatten, waren Pubertät und die Prägung durch das Elternhaus. Letzteres war ausschlaggebend für ihr soziales Verhalten. Ich bin, wie jeder Lehrer, in Konflikte hineingelaufen. Wenn die Aggression von Kindern verbal war, habe ich weggehört und abgelenkt. Die Tröte sollte nicht vom Kessel fliegen. Ich habe dem Störer Wichtigkeit gegeben. Anstatt das Mathe-Thema durchzuziehen, habe ich ihn gefragt, woher er kommt. Albanien. Ich habe eine Karte und Bilder von seiner Heimat auf dem Smartboard eingeblendet und ihn gebeten, über sein Land zu erzählen. Er sprang an. Als er fertig war, gingen die Finger hoch. Andere Kinder wollten von ihrer Heimat erzählen. Wenn Konflikte unter Schülern ausbrachen, die manchmal auch drohten, in körperliche Gewalt auszuarten, habe ich Pause gemacht und die Streithähne gebeten, mit meiner Border Collie-Hündin Anni, die in meinen Unterrichten immer dabei war, auf den Sportplatz zu gehen und sie mit einem Ball zu bewegen. Wer sie an der Leine nach draußen und später wieder hineinführt, war nur ein kurzer Konflikt. Sie haben sich untereinander geeinigt. Ich bin natürlich mitgegangen. Sie waren begierig, meinen Anweisungen im Umgang mit dem Hund zu folgen und haben sich ohne Konflikt gegenseitig korrigiert. Sie begannen, mit mir zu kommunizieren und haben von zuhause erzählt und natürlich darüber, welche Lehrer sie mögen und welche nicht und warum. Physische Aggression habe ich nie erlebt. Sie wissen eigentlich, was sich gehört. Was sie bewegt hat, war vordergründig der Hund. Eigentlich war es die Erfahrung von bedingungsloser Liebe, von der sie nicht genug bekommen hatten.

Kinder brauchen keine Erziehung, sondern eine liebevolle Beziehung. Gilt nicht das Gleiche auch für Konflikte auf der politischen Ebene? – Wenn wir wollen, dass die anderen von ihrer Gewalt ablassen, dann ist Gegengewalt keine Lösung. Sie erzeugt kein Lernen, sondern entfacht immer nur noch mehr Feuer unter dem Kessel. Bedingungslose Liebe, die mit Empathie beginnt, ist der einzige Weg, der das Feuer unter dem Kessel zu einem produktiven Köcheln verwandeln kann. Produktives Köcheln heißt, die eigenen Wahrnehmungen und die des anderen gewinnbringend für alle kreativ zu nutzen. Gewinnbringend und kreativ heißt, Werte und Interessen aller im Sinne einer wahren Weltgemeinschaft voranzubringen. Das Zauberwort heißt Diplomatie. Die Kriege, die gerade geführt werden, sind ein Irrweg.

Kriege
In der Ukraine und in Palästina ist die Tröte vom Kessel geflogen. Rüsten und die Androhung von noch mehr Gewalt wird den Druck im Kessel noch weiter erhöhen. Es gibt keine Tröte mehr, die uns vor dem Überdruck warnt. Was jetzt nur noch hilft, um eine Explosion des Kessels verhindert, ist die Einsicht, dass Angst das Feuer ist, was den Druck hochtreibt. Angst vor Identitätsverlust eines Russen, der ein Kind seiner leidvollen Geschichte ist (Napoleon, Hitler). Angst eines Ukrainers, der sich durch die Übermacht seines russischen Nachbarn in seiner Existenz bedroht fühlt. Die Angst der Europäer, die ihre Demokratien durch das aggressive Verhalten der Russen bedroht fühlen, die Angst der Amerikaner, die ihre geo-strategischen Interessen durch ein starkes Russland gefährdet sehen und nicht zuletzt die Angst in Westasien, die im Wechselspiel der Aggressionen unter den regionalen Völkern zu einem „perpetuum bellum“ (nie endenden Krieg) pervertiert ist. Jede politische Lösung, die von allen wohlmeinenden angestrebt wird und zum Ziel hat, das Leiden aller betroffenen Menschen zu beenden, kann nur dann zum Erfolg führen, wenn man die eigene Wahr-Nehmung und die des Konfliktgegners als Angst- und damit als Aggressionsauslöser begreift. –

Die Lösung
Sie werden sich fragen, was die Gewalt an unseren Schulen mit den Kriegen der Neuzeit zu tun haben. Die lapidare Antwort ist, dass es gilt zu lernen, Angst in ihren destruktiven Ausprägungen als dominierende Bestimmtheit im eigenen Verhalten und im Verhalten anderer zu verstehen. Kinder, die sich gegen die Regeln unserer Kultur, politische Gegner auf der großen Weltbühne und nicht zuletzt wir alle brauchen diese Erfahrung, dass es ohne bedingungslose Liebe nicht geht. Vielleicht braucht es mehr Border Collies, um den Druck aus dem explodierenden Kessel herauszunehmen. [Ulrich Scholz, erstveröffentlicht auf Ulrichs Newsletter]

Trump ist ein Ziegelstein der Enttäuschten im Fenster der Etablierten

Ulrich Scholz
Ulrich Scholz

Ein amerikanischer Blogger schrieb diese Worte, um den Wahlerfolg von Donald Trump zu erklären. Man könnte diese Erklärung auf den Erfolg der Rechtsparteien in Europa anwenden. Die meisten vorgetragenen Argumente in den verschiedenen sozialen Netzwerken kann man nachvollziehen. Sie getrennt nach Wirtschaft, Interessen und Werte vorzutragen, wird jedoch dem Problem nicht gerecht. Man kann man sie nicht voneinander trennen.

Aus der Familientherapie stammt der Satz „Wenn man ein Problem lösen will, muss man sich manchmal vom Problem lösen“. - In diesem Geist plädiere ich dafür, sich auf die Philosophie zu besinnen.

Aristoteles hat gesagt, dass es wichtig sei, in Allem das rechte Maß zu finden. Ich meine, dass das nicht nur für das eigene Leben gilt, sondern auch für Gesellschaften, insbesondere für die Politik.

Der neue Präsident wird mit seiner Mannschaft die nächsten 4 Jahre die Geschicke der Welt maßgeblich mitbestimmen. Die USA sind eine Hyperpower. Mit ihnen kann man in dieser Welt viel erreichen, gegen sie nicht viel. Mit den USA auf Konfliktkurs zu gehen, schadet unserer Wirtschaft, unseren Interessen und macht es uns fast unmöglich, unsere Werte weltweit zur Geltung zu bringen. Das heißt nicht, nicht Kritik zu üben und eigene Positionen zu korrumpieren. Für mich heißt es, Nähe zu suchen, das Gemeinsame in den Vordergrund zu rücken und vor Allem persönlichen Kontakt zu den Führungspersonen und ihren Beratern zu pflegen. Wenn man sich kennt und wertschätzt, ist die Chance auf Einflussnahme am größten.

Ein klassisches Beispiel ist der einstige US Präsident Reagan, dessen Wahl hier in Europa mit Mißtrauen kommentiert wurde. Ein ehemaliger Schauspieler in Western-Filmen sollte jetzt die Geschicke dieser Welt bestimmen. Der hatte die Sowjet Union das Reich des Bösen genannt und, von seinen Falken-Beratern„aufs Pferd gesetzt“, das Programm „Krieg der Sterne“ ins Leben gerufen. Satelliten gestützte Laserwaffen sollten die USA in die Lage versetzen, einen Nuklearangriff der Sowjetunion abzuwehren. 1986 traf Reagan zum ersten Mal mit dem damaligen Sowjetführer Gorbatschow in Reykjavik auf Island zusammen. Eine formale Begegnung endete in einem mehrstündigen Gespräch, an dessen Ende beide vor die Presse traten und verkündeten, sie wollten alle Atomwaffen abschaffen. Die beiden Führer der Weltmächte verstanden und vertrauten sich. Sie hatten das Verbindende in den Vordergrund gestellt und nicht das Trennende.

Wenn wir unserer Wirtschaft, unseren Interessen und nicht zuletzt unseren Werten dienen wollen, dann geht es bei der Mächtekonstellation auf der Welt nur über den friedlichen Ausgleich. Wer sein Maß aller Dinge kompromisslos vor sich herträgt, der darf sich nicht wundern, wenn die Lösung am Ende Krieg bedeutet. In diesem Sinne sind der Krieg in der Ukraine, in Palästina und nicht zuletzt die Konflikte im inneren unser Gesellschaften Ziegelsteine in unserer aller Fenster.

Wie wir miteinander umgehen ist das Problem, nicht die Durchsetzung der “richtigen“ Lösung. [Ulrich Scholz, erstveröffentlicht auf Ulrichs Newsletter]

Fighterpilots do it better – Psychogramm eines Glaubensbekenntnisses

Ulrich Scholz

Man könnte den Text in der Überschrift das Motto aller Kampfjetpiloten der NATO von einst bis heute nennen. Überall dort, wo Ausbildungs- und Einsatzstaffeln stationiert sind, werden Sie immer wieder am Heck von Autos einen weißen Aufkleber finden, der in großen blauen Lettern diese „Wahrheit“ verkündet. Fighterpilots do it better. Er war einst genauso gemeint, wie er klingt. Elitär und sexistisch. Wer als Militärpilot Bomber, Aufklärer, Transporter oder Hubschrauber fliegt, wird niemals fähig sein, seine Maschine so zwischen Himmel und Erde zu bewegen, wie ein Fighterpilot. Daraus hat man in der einstigen Männerwelt der Kampfjetpiloten scherzhaft abgeleitet, dass sie auch beim Sex die besten sind. Nun könnte man meinen, dass solch extrovertierte Selbstdarstellung typisch für jüngere Männer sei. Dass dem nicht so ist, beweist die Realität.

Ein Kampfjetpilot ist nicht automatisch eine Führungspersönlichkeit

Das Lebensalter von Kampfjetpiloten in der Luftwaffe liegt zwischen 25 und 40 Jahren. Bei den Generalen der Luftwaffe jenseits von 40 Jahren mit einer Kampfjetpilotenvergangenheit wird immer noch großen Wert draufgelegt, als Fighterpilot zu gelten. Dienstreisen werden im Rahmen einer fragwürdigen Inübunghaltung (der Einsatzwert ist gegen Null) mit dem Kampfjet gemacht. Die übliche Kleidung für ein Dienstgeschäft (Konferenz, Besprechung, Pressetermin u.a.) ist die blaue Luftwaffenuniform. Nicht so für „Fighterpilot“–Generale. Die erscheinen in Fliegerkombi. Das war schon immer so und gilt auch noch heute. Der Inspekteur der Luftwaffe ist ein Paradebeispiel dafür. Sie werden den Inspekteur der Marine, der einmal Schnellboote geführt hat, nie im Bord-und Gefechtsanzug bei Dienstgeschäften auftreten sehen, genauso wenig, wie den Inspekteur des Heeres, der aus der Heeresfliegertruppe kommt, in einer Hubschrauberkombi. Warum „Fighterpilot“-Generale zu dieser juvenilen Extrovertiertheit neigen, hat vielleicht auch etwas mit einer narzistischen Persönlichkeit zu tun und gibt nicht zuletzt einen Einblick in die Personalführung der Luftwaffe.

An dieser Stelle muss ich alle diejenigen enttäuschen, die meinen, das mit dem Fliegen eines Eurofighters oder eines Tornados eine besondere Führungsfähigkeit daherkommt. Das ist ein Aberglaube. Flugpsychologen wissen das. Mein damaliger amerikanischer Fluglehrer auf der F4 Phantom und Vietnamveteran wusste es auch. Er sagte immer: You can teach a monkey how to fly. You just need to take enough bananas. (Man kann einem Affen das Fliegen beibringen. Man muss nur genug Bananen mitnehmen). Heute bin ich mir sicher. Er wollte nicht Fähigkeiten und Leistung eines Fighterpilots in Frage stellen, sondern Führungsoffiziere, die wegen des Nimbus „Fighterpilot“ in Führungspositionen aufgestiegen waren und sich als total unfähig erwiesen hatten. Überhaupt begründet sich dieses besondere Ansehen (Bedeutung von Nimbus) in keinster Weise auf Fähigkeiten und Leistung im Cockpit.

Kampfjets sprechen das Gefühl an

Fighterpilots do not do it better. Was sie elitär macht, ist ihr Arbeitsgerät selbst, der Kampfjet. Martialisch aufgerüstet und doch schnittig im Aussehen rollen sie zum Start. Cleared for take-off. Die Triebwerke drehen hoch. Infernalisches Getöse, wenn die Nachbrenner zünden und den über 20 Tonnen schweren Koloss die Startbahn hinunter beschleunigen. Lift-off. Scheinbar leicht wie eine Feder hebt er ab. Von den ersten Starts der Starfighter des Jagdgeschwaders 71 Richthofen, denen ich als junger Leutnant zugeschaut habe, bis heute, die Faszination, die Kampfjets beim Start ausstrahlen, ist immer noch dieselbe. Der Pilot erlebt den Start ganz anders. Schubhebel auf Volllast. Entferntes Fauchen der Triebwerke. Instrumentencheck. Bremsen loslassen und Nachbrenner anwählen. Beschleunigung, ein leichter Anpressdruck in den Sitz. Nach 1000 Metern Abheben. Der Kampfjet bewegt sich weich wie eine Feder in die Luft und reagiert auf den kleinsten Steuerdruck. Wenn man die Grundzustände beschreiben sollte, die in einem solchen Moment, ja eigentlich während des gesamten Fluges bis zur Landung, in einem schwingen, fallen mir diese drei ein: Kontrolle, Macht, Unbesiegbarkeit.

Kampfjets vernebeln den Verstand

Ich bin überzeugt, dass Menschen, die von außen solche Starts erleben, unterschwellig ähnliches empfinden. Das gilt im Besonderen für Politiker und Medienvertreter, die mit Außen- und Sicherheitspolitik zu tun haben. Wenn diese starken Grundwahrnehmungen noch durch aktuelle Luftkriegserfolge des Westens (1999 gegen Serbien, 1991 und 2003 gegen den Irak und 2011 in Libyen) bestätigt und verstärkt werden, dann entsteht ein Glaubensbekenntnis, dass da heißt: Kampfjets können Kriege gewinnen. Das Fatale daran ist, das es nicht nur gegen jeden Widerspruch gefeit ist, sondern von der Bevölkerung gern übernommen wird, verspricht es doch Sicherheit gegen äußere Bedrohungen. Der Glaube an die Allmacht von Kampfjets geht sogar so weit, dass man sie im großen Stil in ein Kriegsgebiet, hier an die Ukraine, liefert, um den Aggressor, die Großmacht Russland, zu besiegen. Warum das nicht gelingen kann, darüber schreibe ich u.a. in meinem neuesten Buch „Krieg – eine Beleidigung der menschlichen Intelligenz“.

Kampfjets und Landesverteidigung

Der Glaube, über eine Aufrüstung der Luftwaffe mit modernen US-Kampfjets wie die F35 mit entsprechender Bewaffnung abzuschrecken bzw. einen Verteidigungskrieg siegreich zu bestehen, ist absurd. Abgesehen, dass ein solcher Krieg Europa verwüsten würde, hätte er zur Folge, dass die Luftwaffe in wenigen Tagen keine Kampfjets und kaum noch Fighterpilots hätte. Attrition (Abnutzung) nennt man im Militärjargon die Verluste, die man im täglichen Kampfeinsatz hinnehmen muss. Kampfjets und ihre Besatzungen gehören auch dazu.

Kampfjets und Bündnistreue

Was bleibt, sind Kampfeinsätze im Rahmen globaler US-amerikanischer Kriege. Stichwort: Bündnistreue. Sie moralisch zu begründen ist ebenfalls absurd. Mit der militärischen Allmacht der USA kann man sie gewinnen, wie obige Beispiele zeigen, aber nicht den Frieden. Ganz im Gegenteil. Instabile Staaten und Flüchtlingsströme sind die Folge. Beide erhöhen nicht unsere Sicherheit, sondern gefährden sie.

Kampfjets und wofür sie gut sind

.Wer jetzt noch eine Luftwaffe mit modernen Kampfjets begründen will, dem bleibt nur noch das Argument der Souveränität. Flagge zeigen beim Eskortieren von Präsidenten-Flugzeugen, die zu einem Staatsbesuch einfliegen und Showvorführungen, die Politikern, Medien und der eigenen Bevölkerung das Gefühl vermitteln sollen, dass die Landesverteidigung in den Händen unserer Fighterpilots in guten Händen ist. Das klingt flach und ist es auch, genauso wie das vorgestellte Glaubensbekenntnis.

Kampfjets dienen nicht unserer Sicherheit. Sie dienen den Interessen gestriger Politiker, denen Bündnistreue zu den USA über alles geht. Sie dienen Führungspersonen in der Luftwaffe, die die Wichtigkeit ihrer Organisation und damit ihr eigenes Fortkommen sichern wollen, und sie dienen nicht zuletzt dem Profitdenken der Rüstungsindustrie. In diesem Sinne würde ich den flachen Spruch im Titel dieses Artikels gern umändern. Nicht „Fighterpilots do it better“, sondern „Fighterpilots see it better“. Wer Antoine de Saint-Exupéry gelesen hat, der weiß, was ich meine. [Ulrich Scholz, erstveröffentlicht auf Ulrich’s Newsletter]

„Krieg“ von Ulrich Scholz erschienen

Buchcover Krieg von Ulrich Scholz
Ulrich Scholz

Seine Blog-Beiträge werden auf Hallo-Wippingen.de schon seit langem verlinkt, weil hier ein Militärfachmann immer wieder gegen den Krieg anschreibt. Denn Ulrich Scholz ist der Auffassung, dass der Krieg eine Beleidigung der menschlichen Intelligenz darstellt. und so lautet auch der Untertitel seines Buches "Krieg", in dem er u. a. Texte aus seinem Blog versammelt.

In dem Buch geht es um Aufklärung über drei Ursachen, die es möglich machten, dass Deutschland zur Kriegspartei im Ukraine-Krieg wurde: Die Unkenntnis über Krieg, naive Technikgläubigkeit und die Unfähigkeit zur Empathie.

Das Buch ist bei epubli erschienen und kann dort auch für 12 € bestellt werden. [jdm]

Entweder/Oder – Ein Scheißspiel

Ulrich Scholz

Müssen wir uns immer für ein entweder-oder entscheiden? Es gibt prinzipiell entscheidbare und prinzipiell unentscheidbare Fragen. Eine prinzipiell entscheidbare Frage ist dadurch gekennzeichnet, dass die Antwort durch ein allgemein anerkanntes System, wie der Mathematik oder der Physik, festgelegt ist. Die einzigen Fragen, über die wir entscheiden können, sind die prinzipiell unentscheidbaren Fragen. Wenn wir dies anerkennen, bekommen wir Freiheit und Verantwortung. Mehr im neuen Blog-Beitrag von Ulrich Scholz. [jdm]

Die Dritte Schuld – Was brauchen wir noch ein Gewissen, wir haben ja Juristen

In seinem Buch „Die zweite Schuld oder Von der Last, ein Deutscher zu sein“ schildert der Autor Ralph Giordano, wie das Versagen der deutschen Gesellschaft nach dem Nationalsozialismus die politische Kultur der Bundesrepublik geprägt hat (wörtlich aus Wikipedia). Er konzediert, dass es nach dem Krieg in der Bundesrepublik Deutschland viele Prozesse gegeben hat, in denen die Handlanger, die die tägliche blutige Arbeit des Völkermordes verrichtet hatten, zur Verantwortung gezogen worden sind. Die „Schreibtischtäter“ blieben jedoch nicht nur weitgehend unbehelligt, sondern gelangten in dem neuen demokratischen Deutschland wieder in exponierte Stellungen der Gesellschaft. Das galt im besonderen Maße für Juristen. So wurde der einstmals Verwaltungsjurist im Reichsinnenministerium Hans Globke Kanzleramtschef bei Konrad Adenauer (1953-1963). Ein anderes Beispiel: Der bei den Nazis als Marine-Richter tätig gewesene Kurt Georg Filbinger machte nach dem Krieg eine politische Karriere in der CDU. Er wurde sogar Ministerpräsident von Baden-Württemberg (1966-1978).

Während eines Gerichtsprozesses, den dieser gegen einen Kritiker angestrengt hatte, kamen Gerichtsakten ans Tageslicht, die bewiesen, dass er als Marinerichter während der Nazi-Zeit an Todesurteilen gegen Soldaten wegen Fahnenflucht beteiligt war, in einem Einzelfall sogar persönlich (bis zum Geben des Feuerbefehls an das Erschießungskommando, heißt es bei Wikipedia) betrieben hatte. Die folgende gerichtliche Aufarbeitung löste eine juristische Debatte über die Rechtmäßigkeit von Urteilen aus, die in dem verbrecherischen System der Nazis gefällt und vollstreckt wurden. Dass diese „Schreibtischtäter“ im neuen Deutschland wieder in Amt und Würden kommen konnten, war nicht das Thema. Es wurde von einigen Kritikern und Medien aufgegriffen, ließ aber das Gros der Gesellschaft unberührt. Im Bewusstsein der „ersten Schuld“, des Holocaust, und des Leids der Opfer dieser „Schreibtischtäter“ hätte es ein Thema sein müssen, so Ralph Giordano. Er bezeichnete diese Gleichgültigkeit als „die zweite Schuld“. – Im Folgenden möchte ich auf eine „dritte Schuld“ aufmerksam machen. Bevor ich das tue, ist es notwendig, dass ich den Begriff „Schuld“ erkläre, so wie ich ihn verstehe.

Es geht nicht um die Schuld im juristischen Sinne, sondern vielmehr um eine moralische Schuld. Sie ist nicht einforderbar, sondern kann nur von jedem einzelnen empfunden werden oder auch nicht. Entscheidend sind allein die Moral- und Wertevorstellungen, die das Handeln, persönlich und als Gesellschaft, bestimmen. Man bezeichnet das als Ethik. Wenn gegen sie verstoßen wird, sind nicht mehr Juristen zuständig, sondern allein das Gewissen. Die Schuld, die ich meine, ist das Ignorieren dieser letzten Instanz im eigenen und gesellschaftlichen Handeln.

Ich nenne meinen Artikel Die „dritte“ Schuld, weil sie allein mich und die Gesellschaft betrifft, in der ich lebe und die meine kulturelle und politische Identität ausmachen. Betreffen die erste und zweite Schuld das mangelnde Bewusstsein in der deutschen Gesellschaft um die menschliche Seite der Nazi-Verbrechen, bekümmert mich das mangelnde Bewusstsein bei uns um die menschliche Seite von Krieg.

Der bisher schlimmste aller Kriege, der zweite Weltkrieg, wurde von unserer Gesellschaft verbrochen. Millionenfach wurden Menschen getötet, verstümmelt und traumatisiert. Die Liste der Gewalttaten ist endlos und in ihren Ausprägungen nicht mehr vorstellbar. Für unsere Gesellschaft hätte es eigentlich der letzte aller Kriege sein müssen. Ein gesellschaftliches Gewissen war im Konsens darüber. Wiederbewaffnung und Abschreckung im Bündnis, die der bipolaren Welt geschuldet waren, wurden nicht als Widerspruch gesehen. Das änderte sich nach Ende des Kalten Krieges.

Das „Out of Area“-Konzept, das die USA für die NATO vorgesehen hatten, wurde nach schwacher gesellschaftlicher Gegenwehr in die deutsche Außenpolitik übernommen. Die Teilnahme Deutschlands an Kriegen war nun keine Entscheidung des Gewissens mehr. Die hatte man Juristen überlassen. Töten/getötet werden, verstümmeln/verstümmelt werden und traumatisieren/traumatisiert werden waren legitim, wenn sie nur legal waren. Bei der Herstellung von Legalität war man nicht kleinlich. Zuerst war es nur eine Resolution des UN-Sicherheitsrates, die Krieg erlaubte. Später hat man dann andere „Legalisierungen“ erfunden. Beispiele:

Der Luftkrieg der NATO unter Beteiligung deutscher Tornados gegen Rest-Jugoslawien um den Kosovo (1999). Wegen des zu erwartenden Veto Russlands erfand man die Begriffe „Responsibility to Protect“ und „Humanitarian Intervention“. Der Luftkrieg kostete 500 Zivilpersonen das Leben. Er wurde bei uns als Erfolg gefeiert. Unsere Tornados hatten sich bewährt. Von Gewissen keine Spur.

Die Verbrechen von Al Kaida am 11. September 2001 wurden als Angriff auf die USA erklärt. Die NATO erklärte den Verteidigungsfall. Die USA beriefen sich auf den Artikel 51 der UN-Charta (Recht auf Selbstverteidigung) und erklärten den „War on Terror“. Das legitimierte den Krieg in Afghanistan, an dem die Bundeswehr mit Truppen und Tornado-Flugzeugen teilnahm. Der Krieg dauerte 20 Jahre und endete ergebnislos mit dem Abzug von NATO und US-Truppen.  Die Opfer: 70 000 Zivilpersonen und 90 000 Kämpfer und Soldaten, die meisten davon Afghanen. Der Krieg wird in unserer Gesellschaft bis heute totgeschwiegen. Von Gewissen keine Spur.

Das letzte und erschütterndste Beispiel für die dritte Schuld ist für mich der Ukraine-Krieg. Er wird in unserer Gesellschaft als notwendig begrüßt und tatkräftig durch Waffenlieferungen unterstützt. Wer sich für eine bedingungslose Beendigung des Krieges durch Verhandlungen einsetzt, wird diffamiert. Die Befürworter des Krieges argumentieren mit juristischen Positionen und was ich für besonders infam halte, mit Menschlichkeit. Die armen Ukrainer. Wenn sie es mit ihrem Gewissen ernst meinten, müssten sie sagen: Die armen Menschen, die in diesem Krieg leiden müssen. Soldaten auf beiden Seiten, genauso wie Zivilisten, die zwischen die Kämpfe geraten sind.

Es gibt immer „gewichtige“ Gründe für einen Krieg. Für unsere Gesellschaft dürfen sie nicht gelten. Das heißt nicht, vor einem Aggressor zu kapitulieren. Den militärisch zu besiegen, würde aber nur den Grundstein für den nächsten Krieg legen. Auf militärische Stärke zu setzen ist ein Auslaufmodell, zumindest der deutschen Geschichte. Unsere Stärke liegt heute in der normativen Kraft unsere Werte. Die braucht keine Armeen und keine Juristen, sondern am Ende allein das Gewissen, das uns handeln lässt. Sie wird nicht immer Kriege verhindern oder beenden können. Aber sie würde unsere Gesellschaft daran hindern, wieder schuldig zu werden. [Ulrich Scholz, Dieser Artikel wurde erstveröffentlicht auf Ulrich's Newsletter]

Wer nicht fragt, bleibt dumm … und wird zum willigen Mitläufer in jedes Kriegs-Verbrechen

Welche Fragen sagt uns der Text des wunderbaren Kinderliedes aus der Sesamstraße. „Der, die, das, wer, wie, was, wieso, weshalb, warum, wer nicht fragt bleibt dumm.“ – In Vorbereitung auf einen Krieg tut ein militärischer Planungsstab nichts anderes.

Im neuen Blogbeitrag wendet Ulrich Scholz diese Fragen auf den Ukrainekrieg an. Wer ist der Gegner, was ist seine Absicht, welche militärischen Fähigkeiten hat er, und wie geht er vor? -  Demgegenüber werden die eigenen Fähigkeiten untersucht und Vorgehensweisen abgeleitet. Das Ganze ist ein nüchterner Prozess, der der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Was die wissen soll, wird in dem parallel stattfindenden Information Operations Planungsprozess entschieden. Mehr in Ulrichs Newsletter....

Das wichtigste Ziel im Ukraine-Krieg

In diesen Tagen haben ukrainische Drohnen die Radarstation Armawir in der südwestlichen russischen Region Krasnodar angegriffen. Für die operative Kriegsführung der Ukrainer ist dieser Angriff nutzlos. Er wird die Überlegenheit der Russen in der Ost-Ukraine nicht gefährden. Warum haben dann die Ukrainer diesen Angriff durchgeführt? - Die einzig plausible Antwort finden sie, wenn sie nach Interessen fragen, sagt Ulrich Scholz.

Die Befürchtung, dass dieser Angriff eine Vorbereitung der USA für einen Atomschlag gegen Russland sei, hält Scholz für Unsinn. Er hält den Angriff für eine „Information Operation“ der USA. Was darunter zu verstehen ist und wer damit beeindruckt werden soll, versucht Scholz in seinem neuesten Blog-Beitrag darzustellen. [jdm]

Churchill hätte Putin verstanden

Ein bisschen Weiterbildung in Sachen neuzeitliche Geschichte und Politikwissenschaften kann nicht schaden. Sie wäre so wichtig, um den Kriegs-Wahnsinn unserer Regierung zu stoppen. Sie wäre mindestens genauso wichtig, um Redakteure der Medien in die Lage zu versetzen, einer echten Bürger-Opposition ein Sprachrohr zu geben.

Empathie ist die Fähigkeit, sich in Gedanken und Gefühle anderer hineinversetzen zu können. Im neuen Blog-Beitrag von Ulrich Scholz beschreibt er Churchills Gedanken, wie es zum Aufstieg der Nazis und zum 2. Weltkrieg kommen konnte. Mehr im Blog-Beitrag ... .[Ulrich Scholz]

Von Kanarienvögeln und Kindern

„Das erste Wirkende ist das Sein des Erziehers, das Zweite, was er tut, das Dritte, was er redet.“ – Romano Guardini (1885-1968) römisch-katholischer Priester und Philosoph.

Im 19. Jahrhundert war es unter den Bergleuten der Silberminen im Harz Usus, einen Kanarienvogel mit untertage zu nehmen, nicht, um sich bei der Arbeit an ihrem Gesang zu erfreuen, sondern als Lebensversicherung. In 800 Meter Tiefe war es heiß und die Atemluft sehr schlecht. Es kam immer wieder zur Bildung von giftigen Gasen wie das geruchlose Kohlenmonoxyd. Wenn eingeatmet konnte es sehr schnell zum Tode führen. Die Vögel reagierten auf das Gas. Zuerst fingen sie an, unruhig zu flattern und wurden dann apathisch, bevor sie ohnmächtig von der Stange fielen und starben. Für die Bergleute, die die Vögel immer wieder beobachteten, war das das Signal, sich in Sicherheit zu bringen. – Obwohl alle Beispiele hinken, wie es so schön heißt, sehe ich in der Geschichte eine Metapher, die uns alle betrifft. Unsere Kinder sind unsere Kanarienvögel. Weiter in Ulrichs Newsletter ... [Ulrich Scholz]

TAURUS – Es gibt keine Verschwörungen, nur narzisstische Dummheit

Die Dummheit, die ich meine, ist systemimmanent. Das von den Russen veröffentliche Telefongespräch zwischen Luftwaffenoffizieren über den Einsatz der deutschen Abstandswaffe “TAURUS” im Ukrainekrieg, das seit Tagen die veröffentlichte Meinung erregt, ist ein klassisches Beispiel dafür. Die Verschwörungstheorien, die sich darum ranken, mögen für Polit-Talkshows, in Bundestagsdebatten und an Stammtischen unterhaltsam sein und für Unruhe in der westlichen Anti-Putin Phalanx gesorgt haben, was sicherlich Absicht der Russen war, als sie das Gespräch veröffentlichten. Ein Beweis, dass es sich um eine Verschwörung handelte, gibt es nicht. Meine Theorie ist, dass wir es mit einer Kungelei zwischen Flieger-Kumpels zu tun haben.

Im Folgenden möchte ich Ihnen diese einfache und für einen Laien ungeheuerliche Feststellung näher erklären. Die Argumente, die ich vorbringe, basieren auf meiner langjährigen Erfahrung als Tornado-Pilot/Lehrer und Mitverantwortlicher bei der Einführung des Waffensystems an der Nahtstelle zwischen der Luftwaffe und der Rüstungs-Industrie. Allem voran aber steht mein Selbstverständnis als Offizier in einer Demokratie, in der das Prinzip der Souveränität der Politik über das Militär gilt. Lassen Sie mich mit dem Letzteren beginnen. Weiter auf Ulrich’s Newsletter.. [Ulrich Scholz]

Man soll Denken lehren, nicht Gedachtes

Der Kybernetiker und Philosoph Heinz von Förster nannte Schulen einst Trivialisierungseinrichtungen. Kinder werden vorhersagbar gemacht, wie Kaffeemaschinen.Es gibt einen Input (Lehren), hier Kaffeepulver und heißes Wasser. Wenn eine Münze eingeworfen wird (Test), kommt der vorhersagbare Output (Ergebnis). Es fällt ein Pappbecher heraus und wird maßgerecht mit Kaffee gefüllt.

Auf diese Weise bekommt man angepasste Arbeitnehmer und brave Bürger. Wenn wir das nicht wollen, muss sich Schule ändern. Nicht mehr Wissensvermittlung darf das Ziel sein, sondern die Fähigkeit zum Denken. Im neuesten Blogbeitrag von Ulrichs Newsletter gibt es eine praktische Anleitung dazu. [Ulrich Scholz]

Cui Bono – Wem nutzt es?

Wer in diesen Zeiten diese Frage stellt, riskiert, als Verschwörungstheoretiker gebrandmarkt zu werden. Ich habe sie trotzdem gestellt und dafür plädiert, dass jeder mündige Bürger sie stellen sollte. Warum? Weil die Politik dieser und vergangener Bundesregierungen dem deutschen Volk nicht genutzt, sondern geschadet hat. Wem hat sie dann genutzt?

Die Antwort auf diese Frage ist zweitrangig. Erstrangig ist, dass wir sie stellen. Vielleicht bekommen wir dann einmal eine Regierung, die sich an das Versprechen im Amtseid des Bundeskanzlers hält "…. dem Deutschen Volk seinen Nutzen mehren und Schaden von ihm wenden …" Mehr im neuesten Blog-Beitrag von "Ulrichs Newsletter" [Ulrich Scholz]