Im belgischen Gent wurden die Münchener Philharmoniker wegen ihres israelischen Dirigenten Lahav Shani von einem Festival ausgeladen. Der habe sich nicht von der israelischen Regierung distanziert, lautete die Begründung. So weit. So dumm. Shani ist Musiker und nicht Vertreter der israelischen Armee. Der Protest gegen diese Ausladung ist somit gerechtfertigt.

Nicht gerechtfertigt sind aber die Krokodilstränen, die die Presse (so die NOZ) und Regierungspolitiker vergießen. Denn die Forderung, sich von etwas zu distanzieren, hat sich schon längst eingebürgert, wenn es gegen die geht, die gegen das Verhungernlassen in Gaza protestieren. Auch zuvor wurden in Deutschland und der EU schon alle Register gezogen, um Protest gegen den israelischen Gaza-Feldzug zu ersticken.

Die Vereinigten Staaten von Amerika verhängten Sanktionen gegen Francesca Albanese, UN-Sonderberichterstatterin für die Menschenrechtssituation in den besetzten palästinensischen Gebieten. Für ihre öffentlichen Auftritte in Deutschland wurden den Veranstaltern Räumlichkeiten entzogen. Palästina-Solidaritätsgruppen in Großbritannien und Deutschland wurden verboten. Es gab Entlassungen, wenn jemand den Palästinenserschal trug. Der Slogan „From the River to the Sea“ führte zu Verhaftungen von Demonstranten, strafrechtlichen Verfolgungen und Durchsuchungen von Büros. Der deutsche Journalist Hüseyin Doğru wurde wegen seiner palästinasolidarischen Artikel sogar von der EU sanktioniert. Jede Kritik an der israelischen Politik wird pauschal als antisemitisch verurteilt ohne auf den Inhalt der Kritik einzugehen, sogar wenn sie von jüdischen Organisationen kommt.

Und zuvor nach Beginn des Ukraine-Kriegs 2022 wurde die russische Opernsängerin Anna Netrebko von vielen Operhäusern ausgeladen, auch vom Münchener Opernhaus, weil sie sich nicht von der russischen Regierung distanzieren wollte.

Und davor während der Corona-Epidemie dasselbe: Alle Künstler, die sich nicht aktiv für Grundrechtseinschränkungen in Folge der Anti-Corona-Maßnahmen aussprachen, wurden von deutschen öffentlichen Einrichtungen, von der deutschen Presse und vom deutschen Fernsehen boykottiert.

Und jetzt ist es einmal (in Gent) umgekehrt und die, die oben beschriebene Boykotts und Repressionen ohne Bedenken unterstützten, heulen auf. Jetzt auf einmal verteidigen sie die Freiheit der Kunst, jetzt auf einmal gibt es keine einfachen Antworten auf die israelische Politik, jetzt wird das Erzwingen moralischer Eindeutigkeit beklagt und der Hass auf die Gegenseite (sprich Antisemitismus).

Und natürlich ist das alles richtig und doch so vollständig verlogen, weil umgekehrt genau dieselbe Praxis erfolgt, aber mit der Staatsmacht und der Medienmacht im Rücken.

Natürlich ist der Aufruf zum Israel-Boykott durch die BDS-Kampagne, die sich an den Boykottaktionen gegen die Apartheit in Südafrika orientiert, genauso falsch, wie die gesamte Sanktionspolitik, insbesondere der Nato und der EU, die derzeit das Verhältnis zwischen den Staaten der Welt vergiftet. Nur ist die BDS-Kampagne eine private Meinungsäußerung; die Sanktionen der EU und der Nato sind Realität. Jetzt hat der irische Rundfunk angekündigt, Irland werde nicht am Eurovision Song Contest in Wien teilnehmen, wenn Israel einen Vertreter sende. Die Idiotie geht also weiter.

Weder die Shani-Ausladung, noch die Ankündigung des irischen Senders, noch die BDS-Kampagne ändern irgendetwas an der Situation in Gaza. Aber sie sorgen dafür, die, die schon lange die öffentliche Diskussion durch Repressionen gegen Künstler einschränken, auch noch zu rechtfertigen. [jdm]