Innerhalb von 7 Tagen haben über eine halbe Million Menschen das „Manifest für den Frieden“ unterschrieben. Wie erwartet hat sich die gesamte Presse dagegen ausgesprochen, die TAZ geiferte, der Aufruf sei „amoralisch“ und die AufruferInnen seien „Bagatellisierer*innen der Putin’schen Aggression“. Gelesen hat der TAZ-Autor Jan Feddersen, ein Ex-Maoist, der aus seinem früheren Antisowjetismus ohne Reibungsverluste eine Russophobie gemacht hat, das Manifest, in dem immerhin von einer von „Russland brutal überfallene(n) ukrainische(n) Bevölkerung“ die Rede ist, wohl nicht.

Auch bei Spiegel-Online ist man des Lesens nicht mächtig – oder hat keine Lust Texte zu lesen – und schreibt stattdessen einfach mal, dass es sich bei dem Manifest um einen Text handele, „als wäre es vom Pressesprecher des Kremls persönlich verfasst worden“. Auch der Tagesspiegel witterte „moralische Verkommenheit“.

Der Spiegel, die TAZ, die Öffentlich-Rechtlichen und viele mehr sind es nach ihrer Corona-„Bericht“erstattung und einem Jahr Krieg so gewohnt, nichtregierungskonforme und nicht-nato-konforme Meinungen moralisch zu verteufeln und zu verdammen, dass sie gar nicht mehr auf die Idee kommen, einfach zu berichten. Es wird nicht berichtet und für oder gegen etwas argumentiert. Damit wird jede demokratische Diskussion unmöglich gemacht.

Die Ems-Zeitung gehörte wenigstens zu den wenigen Zeitungen, die die Aussagen des Manifestes nicht gleich verzerrten und sie ließ Sahra Wagenknecht in einem Interview selbst zu Wort kommen. Die bunte Mischung der Erstunterstützer und die schnell steigende Zahl der Unterschriften, machten es der Presse aber auch etwas schwerer, ihre Einheitssicht der Dinge durchzusetzen. Auch, dass trotz der medialen Dauerpropaganda für Waffenlieferungen aller Art immer noch konstant eine Mehrheit der Bundesbürger dagegen ist, macht den Durchmarsch der Moralisierer schwerer.

So wird derzeit wieder die zweite Strategie gefahren, die bei der Diskriminierung von Gegnern der überzogenen Corona-Maßnahmen so viel Erfolg hatte: Den UnterstützerInnen des Manifests wird mal wieder mangelnde Abgrenzung gegen rechts vorgeworfen. Dass der AFD-Chef Chrupalla den Aufruf nach eigener Aussage unterstützt, soll ein Hinweis auf Zusammenarbeit sein? Sahra Wagenknecht kontert diesen Vorwurf heute in einem Zeitungskommentar: „Und wen stärkt man, indem man populäre Forderungen nach Frieden und Diplomatie als AfD-nah diffamiert? Lassen wir uns nicht beirren vom »bellizistischen Tenor einer geballten veröffentlichten Meinung«, wie ihn Habermas bezeichnet hat. Lassen wir nicht länger zu, dass unsere Forderungen oder Aktionen von rechts gekapert werden.“

Margot Käßmann, eine weitere Erstunterzeichnerin schrieb in einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Rundschau“, sie habe zwar auch Verständnis für den Ruf nach Waffen. „Aber in einer Demokratie nehme ich mir das Recht heraus, bei meiner Position zu bleiben. … Kurzfristige Lösungen, den entsetzlichen Angriffskrieg auf die Ukraine zu beenden, hat die Friedensbewegung nicht. Aber die Bellizisten und Waffenlobbyisten haben sie auch nicht“, schrieb sie.

Der Erstunterzeichner Prof. Dr. Johannes Varwick hat seine Unterschrift zurückgezogen, aber nicht weil er inhaltlich nicht mehr übereinstimme, sondern weil „bei den inzwischen rd. 500.000 Unterzeichnern (…) jedoch zunehmend Personen dabei (sind), mit denen ich nicht gemeinsam genannt werden möchte.“ Varwick hat sich seit Beginn des Krieges für Deeskalation eingesetzt und wurde als Fachmann für Internationale Beziehungen auch immer wieder interviewt. Dabei zeigte er sich als mutigen Mann, der auch gegen den Strom schwimmen konnte. Unter den ErstunterzeichnerInnen ist er einer der wenigen, deren Karrieren noch nicht beendet sind oder nicht als Selbständige oder als Verbandsvertreter vor Druck gefeit sind. Seine veröffentlichte Erklärung lässt zwar eine gewisse Verärgerung über Frau Schwarzer erkennen, aber erklärt seinen Rückzug nicht wirklich.

In einem Interview mit dem MDR, das heute Abend gesendet wurde, erklärte er, bevor der Krieg unhaltbar eskaliere, müssten Sicherheitspolitik und Diplomatie … wohl oder übel auf Interessenausgleich mit, statt auf Sieg gegen Russland setzen. [jdm]