Zu wenig Arztausbildungen in Deutschland – Deutschlands Abwerbepraxis verschlechtert Stuation im Globalen Süden
Der niedersächsische Gesundheitsminister Dr. Andreas Philippi sagte bei der SPD-Veranstaltung in Sögel, dass in diesem Jahr 80 neue Studienplätze für Ärzte geschaffen worden seien. 60 Studienplätze in Niedersachsen seien für Studierende reserviert, die sich verpflichten, sich 10 Jahre an einem beliebigen Ort in Deutschland, an dem ein Arzt fehlt, niederzulassen.
Philippi beklagte, dass ausgebildete MedizinerInnen sich nicht immer als Ärzte im Lande niederlassen würden, sondern wenn ein gut bezahlter Job in der Pharmaindustrie winke, auch dort blieben und somit die Arztmisere nicht verminderten. Und das, obwohl der Staat 400.000 € in deren Ausbildung investiert habe. Es sei rechtlich vermutlich nicht durchsetzbar, aber eigentlich plädiere er dafür, dass Ärzte, die nicht als Ärzte tätig werden und der Allgemeinheit somit nichts zurückgäben, dem Staat ihre Ausbildungskosten ersetzen müssten.
Mit diesem Appell für eine Gemeinwohlorientierung konnte er billig Applaus einfangen, wobei sich die meisten Applaudierenden wohl nicht darüber im Klaren waren, dass sie damit den Anfang vom Ende einer freien Universitätsausbildung für alle beklatschten.
Philippis Appell ist angesichts seiner Beihilfe, das Krankenhauswesen auf Profitorientierung auszurichten, mehr als seltsam. Dadurch, dass viele kleine Krankenhäuser geschlossen werden und oder sie wichtige Abteilungen verlieren, gehen auch die von ihnen angebotenen Ausbildungsplätze verloren. Die Pflegekräfteausbildung ist zumeist verbunden mit kleinen Fachbereichen in den örtlichen Berufsbildenden Schulen. Auch diese schulischen Kapazitäten gehen verloren. Die geplanten Mega-Krankenhäuser werden diese Ausbildungsplätze nicht ersetzen (können).
Und noch seltsamer wirkt Philippis Klage angesichts der Tatsache, dass überall aus dem globalen Süden Gesundheitsfachkräfte mithilfe des Arbeitsamtes nach Deutschland gelotst werden – eine Abwerbung aus Gesundheitssystemen von sehr armen Staaten, die Schwierigkeiten haben, Personal auszubilden und zu halten.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze (SPD) waren Anfang Februar 2023 in Ghana und in der Elfenbeinküste. Heil reiste ebenfalls 2023 mit der damaligen Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nach Brasilien. Mit Nigeria wurde ein Migrationsabkommen geschlossen. Dabei stand die Anwerbung von Fachkräften für das Gesundheitswesen im Vordergrund.
Deutsche Politiker haben also keine Probleme damit, die Ressourcen der ärmsten Länder der Welt für die Versorgung mit medizinischem Personal auszunutzen.
Die Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat laut Deutschem Ärzteblatt schon 2010 einen Verhaltenskodex für die internationale Rekrutierung von Gesundheitspersonal beschlossen, den auch Deutschland unterschrieben hat. Demnach sollen wirtschaftlich stärkere Länder schwächeren Staaten helfen, die benötigten Ausbildungen zu schaffen. Aktive Abwerbung in den Ländern, in denen es bereits einen kritischen Mangel gibt, solle unterlassen werden.
Dafür gibt es die WHO-Liste mit 55 Ländern. Ghana sowie die Elfenbeinküste – die Reiseziele von Heil und Schulze – stehen dort mit drauf. Brasilien nicht – allerdings hat die WHO-Liste sowie der Kodex eine Schwäche: Es wird nicht nach dem Stadt-Land-Gefälle von Gesundheitseinrichtungen unterschieden. So ist zu vermuten, dass auch in Brasilien in ländlicheren Regionen Gesundheitsfachkräfte rar sind.
Philippis Anregung, Ausbildungskosten zu ersetzen, ist also einen Gedanken wert, wenn auch ganz anders, als er es populistisch gefordert hat: Wie wäre es, wenn der deutsche Staat den Ländern des globalen Südens die Ausbildungskosten für die Ärzte und Pflegekräfte ersetzen würde, die Deutschland dort abwirbt. Das ist übrigens eine Forderung des WHO-Verhaltenskodexes.
Ein Feature im Deutschlandfunk beschreibt die Ursachen, aber auch die Folgen der Abwerbung von Ärzten und Pflegern aus Afrika. Deutschland bildet nicht genug PflegerInnen und ÄrztInnen aus und holt sich stattdessen diese Kräfte dort her, wo ohnehin zu wenig sind.
Das Deutschlandfunk-Feature beschreibt, dass diese Form des Braindrains (die Emigration besonders ausgebildeter oder begabter Menschen aus einem Land) auch sehr stark durch die USA und Großbritannien betrieben wird.
Im Feature wird aber auch über ein zukunftsweisendes Projekt der Hochschulen aus Nairobi und Koblenz gemeinsam mit dem Caritas-Krankenhaus Bad Mergentheim berichtet, das dem Fachkräftemangel in Deutschland entgegenwirken und jungen Kenianerinnen und Kenianern neue Perspektiven bieten will. In diesem Projekt werden nicht ausgebildete und erfahrene Pflegekräfte aus Kenia abgeworben, sondern Menschen, die in Kenia keine Berufsperspektive haben, angeworben, um sich in Deutschland zu Pflegekräften ausbilden zu lassen. Hierbei verliert tatsächlich niemand, sondern es gewinnen alle Beteiligten. [jdm]