Der Lingener Landtagsabgeordnete Christian Fühner wurde nach einem Bericht der NOZ auf dem Landesparteitag der CDU von den Delegierten für seinen Leitantrag zum Thema Bildung gefeiert. Ein zentraler Begriff im Leitantrag ist die Chancengerechtigkeit, ein zweiter zentraler Begriff ist Leistungsorientierung. Beide bilden den Rahmen für ein rückwärtsgewandtes Bildungsverständnis.

Die Forderung nach Chancengerechtigkeit soll suggerieren, dass Probleme der Sozialstruktur und der sozialen Ungleichheit durch individuelle Bildungsmaßnahmen gelöst werden können. Auf einen Hundert-Meter-Lauf übertragen bedeutet Chancengerechtigkeit, dass der Einbeinige, der Achzigjährige und der topfitte 18jährige die gleichen Chancen haben, weil keinem der Dreien Hindernisse in den Weg gelegt werden.

Zwar spricht der Leitantrag davon, dass Kindern unabhängig von ihrer sozialen Herkunft die besten Entwicklungsmöglichkeiten geboten werden sollen. Praktische Vorschläge beziehen sich aber ausschließlich auf die Sprachförderung (gegen die nichts zu sagen ist), womit implizit migrantische Kinder als Hauptproblemträger identifiziert werden.

Dass es auch andere Bildungshindernisse geben könnte, z. B. dass Eltern aus Familien mit niedrigem Einkommen ihren Kindern nicht die Zeit widmen können, die sie brauchen, dass diese Kinder in ihrer Freizeitgestaltung abgehängt sind, dass der durch die finanzielle Situation ausgelöste Stress und die soziale Ausgrenzung eine Rolle spielen, wird im CDU-Leitantrag nicht thematisiert.

Stattdessen macht sich der Leitantrag unter dem Titel „Leistungsorientierung“ Gedanken, wie die soziale Ausgrenzung durch eine Stärkung des gegliederten Schulsystems in eine Bildungs-Ausgrenzung überführt werden kann.
Um den Gymnasien eine Exklusivität zu schaffen, sollen sie die Möglichkeit von Aufnahmeprüfungen erhalten, um in einem standardisierten Verfahren eine Auswahl vornehmen zu können. Das gegliederte Schulsystem nach der Grundschulzeit will die CDU im Schulgesetz verankern. Keine Schulform solle priorisiert werden, womit praktisch gemeint ist, dass das Gymnasium geschützt werden soll.

Die CDU möchte die Gründung von Kooperativen Gesamtschulen (KGS) wieder ermöglichen und deren Möglichkeiten und Regelungen denen der IGS angleichen. Das könnte man – wenn man es nicht besser wüsste – als Versuch werten, die Unterschiede zwischen den Schulformen zu verringern und die Schüler der verschiedenen Schulformen zumindest teilweise zusammenzubringen. Aber genau das möchte die CDU nicht: Schulformübergreifende Kerncurricula für die Sek. I soll es nicht mehr geben, „da diese curriculare Vereinheitlichung u.a. dem besonderen Auftrag des Gymnasiums – der Vorbereitung auf die Anforderungen der gymnasialen Oberstufe bzw. des Abiturs – nicht gerecht“ werde.

Um alle Schüler fördern zu können, bräuchte es kleinere Klassen und mehr Personal. Das ist eine Binsenweisheit. Aber genau da möchte die CDU sparen. „Insbesondere in der Ferienbetreuung sollen die gesetzlichen Anforderungen des SGB VIII im Bereich der Personalanforderungen nicht verpflichtend sein.“ Für die Ganztagsschule setzt man wie zu Zeiten von Kultusminister Busemann auf Quereinsteiger und Ehrenamtliche.

Ob Schüler – oder Kinder und Jugendliche überhaupt – derartig viel mit ihren Handys und sozialen Netzwerken beschäftigt sein sollten, wie es derzeit der Fall ist, ist sicher diskussionswürdig. Fühners CDU-Konzept setzt hier aber der Einfachheit halber auf Verbote. „Handys und andere mobile Endgeräte sollen außerhalb des Unterrichts verboten werden und Schulen dadurch wieder zu „Inseln der Konzentration und des Dialogs im Alltag“ werden.“ und „Soziale Netzwerke sollen mithilfe von wirksamen Kontrollmechanismen für Jugendliche unter 14 Jahren verboten werden.“ Ob das nur im Bereich der Schule oder generell gelten soll, wird in der Formulierung nicht ganz klar.

Auf der anderen Seite sollen die Schüler aber verstärkt mit Computern traktiert werden – natürlich zur Stärkung der digitalen Kompetenz. Unterricht soll gern auch mal „ab Jahrgang 8 durch hybride oder digitale Formate erweitert werden“. Die Erfahrungen der Coronazeit lassen grüßen.

Von der Persönlichkeitsentwicklung durch kreative Angebote oder durch Sport ist an keiner Stelle des Leitantrags die Rede. Dafür aber viel von Medienkompetenz, den MINT-Fächern und der optimalen Vorbereitung „auf ihre berufliche Zukunft in einer sich stark veränderten Gesellschaft und Arbeitswelt“. Es geht also darum, die Bildung auf die Wünsche zukünftiger Arbeitgeber auszurichten, und nicht darum, den Kindern zu helfen, die Welt in ihrer Vielschichtigkeit zu begreifen.

Die Demokratieförderung soll als Bildungsauftrag gefestigt werden. Deshalb sollen die Kinder in der Sekundarstufe I einen verpflichtenden Besuch einer niedersächsischen Gedenkstätte planen und durchführen, so dass alle Schülerinnen und Schüler im Laufe ihrer Schulzeit mindestens eine Gedenkstätte besucht haben. Das hört sich gut an. Weniger gut ist die Absicht die aktuelle Sicherheitspolitik oder das Erstarken von extremen Parteien im Politikunterricht behandeln zu lassen. Das hört sich nach Indoktrination an, zumal der Begriff der „extremen Parteien“ nicht inhaltlich definiert wird (z. B. faschistisch, friedensgefährdend, chauvinistisch, fremdenfeindlich).

Es ist zu vermuten, dass die CDU die Kinder zu kriegslüsternen Soldaten erziehen möchte. „So wollen wir im Schulgesetz festlegen, dass die Bundeswehr durch ihre Jugendoffiziere im Laufe der Sekundarstufe I in Schulen eingeladen wird.“ Diese Soldaten erzählen den Kindern dann etwas über das lustige Kameradenleben, wo am Joystick Drohnen auf echte Menschen gelenkt werden können. Über das elendige Sterben und Verkrüppeltwerden werden die Jugendoffiziere wohl eher nicht aufklären. [jdm]