Neoliberalismus ist Entwertung und Krieg
Das Sozialstaatsprinzip ist im Grundgesetz als Staatsziel verankert: Nach Artikel 20 und 28 des Grundgesetzes ist der deutsche Staat ein demokratischer und sozialer Bundes- und Rechtsstaat. Das bedeutet, dass sich der Gesetzgeber in der Bundesrepublik auch um soziale Gerechtigkeit und die soziale Sicherheit der Bürger kümmern muss.
Gar nicht gut finden das die Neoliberalen, die den Staat auf eine Institution zum Schutz des Privateigentums an Produktionsmitteln reduzieren wollen. Bekannte neoliberale Politiker sind Margret Thatcher oder Tony Blair, die den Sozialstaat in Großbritannien demontierten, oder Augusto Pinochet, der mit einer Militärdiktatur Chile seine neoliberale Ordnung aufdrückte. Derzeit ist Javier Milei in Argentinien dabei, sein Land an die US-Konzerne auszuliefern und jede soziale Sicherung im Land zu zerstören. Das sind die Extreme.
In Deutschland wird immer noch so getan, als ob der Sozialstaat nicht angekratzt würde, obwohl Gerhard Schröder 2002 schon die neoliberale Wende forcierte. Aber es wird nicht mit offenen Karten gespielt. Die Bahn wurde gezielt mit Streckenstilllegungen und Strukturveränderungen auf wenige profitable Teile reduziert, damit sie für die privatwirtschaftliche Übernahme sturmreif geschossen wird. Dieser Prozess wurde durch die Finanzkrise 2007 unterbrochen, aber derzeit mit der Trennung der Bahninfrastruktur, dem Verkauf von Schenker und dem geplanten Niedergang der DB Cargo wieder verstärkt. Mit dem neuen Postgesetz ist der Staat der Verantwortung für die Postinfrastruktur wieder ein Stück enthoben. Gesundheitsminister Karl Lauterbach verkauft die massenweise Schließung von Kliniken als Qualitätsverbesserung durch Zentralisation. Dabei geht es ihm nur darum, den privaten Krankenhauskonzernen Platz für ihre Ausbreitung durch Untergang der Konkurrenz durch öffentliche Kliniken zu schaffen.
Dass diese Camouflage funktioniert, zeigt sich daran, dass nicht einmal die Gewerkschaft Ver.di sich traut, die von Lauterbach vor sich hergetragene Absicht zu hinterfragen. Louisa Riepe von der NOZ-Chefredaktion musste sich in ihrer Kolumne angesichts der Krankenhausmisere in Osnabrück/Emsland mit dem Thema beschäftigen. Geschenkt, dass sie die offizielle Begründung (Qualitätsverbesserung) einfach schluckt: Zentralisation verbessert angeblich immer die Qualität, aber jeder macht privat ganz andere Erfahrungen.
Und dann kommt das Argument: “Und auch von dem Argument, Gesundheitsversorgung dürfe nicht an wirtschaftlichen Maßstäben gemessen werden, halte ich wenig. Anhand der Spieltheorie lässt sich leicht herleiten, dass Einzelne versucht sein könnten, mehr Leistungen in Anspruch zu nehmen als nötig, wenn sie unabhängig von den Kosten entscheiden könnten – was langfristig zu höheren Kosten für alle führen würde.“ Das ist nichts anderes, als der verklausulierte Grundsatz des Neoliberalismus „Der Markt regelt alles besser.“
Obwohl es jedem klar sein muss, dass ein Krankenhauswesen, das auf Marktmechanismen verwiesen wird, das machen wird, was am meisten Geld bringt. Keine Frau ist scharf auf eine Totaloperation – aber wenn diese OP viel Geld bringt, werden die Ärzte diese OP bei allen möglichen Anlässen empfehlen. Keiner möchte eine Rücken-OP, wenn eine konservative Behandlung sicherer anschlägt. Aber der Klinik bringt eine OP nun mal mehr Geld, als die Empfehlung für eine angepasste Physiotherapie.
In ihrem neuen Newsletter spricht sich Riepe gegen Subventionen im Kulturbereich aus. Sie hat nichts gegen Kultur – Gott bewahre! –„Auch der wirtschaftliche Effekt, der durch die Besuche entsteht, ist nicht zu verachten. Insbesondere Gastronomie und Hotellerie profitieren, wenn Gäste von außerhalb angezogen werden.“ Hier formuliert sie den nächsten neoliberalen Glaubenssatz: Alles ist nur etwas wert, wenn es den Geschäften (dem Markt) dient.
Um mit ihrem Plädoyer anzukommen, werden bei ihr aus Subventionen für die Kultur „kommunale Zuschüsse in Freizeiteinrichtungen“. Und seine Freizeitgestaltung soll bitte schön jeder selbst bezahlen.
Dass kulturelle Einrichtungen in der Regel – vor allem, wenn sie auch noch die Menschen vor Ort miteinbeziehen – nicht profitabel sind, ist allgemein bekannt. Die VHS, die öffentlichen Büchereien, kleine Theater, Jugendzentren, Pflege der plattdeutschen Sprache und vieles mehr sind auf kommunale Unterstützung angewiesen.
Neoliberale Haltungen schleichen sich mit rational klingenden Scheinargumenten in unser Leben. Doch sie wollen alles, was nicht profitabel ist, aber die Menschen in ihrem sozialen und kulturellen Erleben brauchen, vernichten und durch profitable Formen, sprich kommerzielle Formen ersetzen. Dass in einer solchen Gesellschaft, in der nur der Profit zählt und nur der wahr genommen wird, der Profit bringt, der soziale Zusammenhalt schwindet, dürfte nachvollziehbar sein. Die Entwertung der sozialen und menschlichen Werte durch die Anbetung des Marktes hat zur Folge, dass Menschen sich dieses Weltbild vollkommen zu eigen machen und in ihrem Weltbild alles „Unwerte“ ausmerzen wollen. Das rechte Weltbild der AFD unterscheidet sich dann nicht mehr wirklich von dem „zivilisierten“ Weltbild der bürgerlichen Mitte. Es geht dann nur mehr um die Formen und um Geschmacksache.
Wer menschliches Leben, z. B. von Migranten, behinderten Menschen, Arbeitslosen, Obdachlosen, Alten, sofern sie nicht reich sind, was selten der Fall ist, als unprofitabel betrachtet und ausgrenzen möchte, findet auch nichts mehr dabei, das Geld, das für den sozialen und kulturellen Bereich benötigt wird, in Waffen und allgemein Aufrüstung zu investieren. Zumal die Waffenherstellung und deren Verwendung zwar vollkommen sinnlos sind, aber den Rüstungskonzernen fabelhafte Gewinne bringen. Und bezahlt wird die Rüstung ausschließlich durch die Steuerzahler – das sind vor allem die Arbeiter und Angestellten.
Und damit sind die neoliberalen Anbeter des Marktes auch tatsächlich diejenigen, die jeden Krieg in der Welt befürworten, der ihren Markt erweitert. [jdm]