Die Sanktionen gegen Russland und die Dünger-Exportbeschränkungen aus Russland haben den Mineraldünger sehr verteuert. Aktuell sinken die Preise, betragen aber immer noch ein Mehrfaches des Vorjahrespreises.

Die beschränkte Verfügbarkeit von Mineraldünger hat Bundeslandwirtschaftsminister Özdemir laut „Süddeutscher Zeitung“ zu der Aussage verführt: „Aber ich sag auch mal: Mein Gemüse braucht Tiere“, so Özdemir. Wenn Deutschland weniger mineralischen Dünger verbrauchen wolle, für den Gas aus Russland verbraucht werde, brauche es sogenannten Wirtschaftsdünger, zu dem unter anderem Gülle und Mist gehörten. Zur Kreislaufwirtschaft gehöre in der Landwirtschaft auch die Tierhaltung.

Ist das so richtig? Pflanzen brauchen für ihre Entwicklung Stickstoff, den sie über ihre Wurzeln aufnehmen. Stickstoff war bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts in der Landwirtschaft eine große Mangelware. Die Bauern weltweit nutzten den von Özdemir angesprochenen Abfall aus der Tierhaltung, um damit die Äcker zu düngen. Denn in Kot und Urin findet sich der begehrte Stoff.

An den südamerikanischen Westküsten gab es große Mengen an Vogelkot, den die Inkas und andere indigene Völker abbauten und für ihre Landwirtschaft als Dünger verwendeten. 1806 brachte Alexander von Humboldt die ersten Proben von Guano – so nannte der diesen Stoff, ein anderer Name ist Salpeter – nach Europa, wo er einen Guano-Boom auslöste. Er war nicht nur als Dünger zu gebrauchen, sondern auch als Ausgangsstoff für Sprengstoff. Um den Salpeter führten Bolivien und Chile 1879 bis 1884 sogar einen Krieg.

Stickstoff ist mit 78 % der Hauptbestandteil der Luft. Aber die meisten Pflanzen sind nicht in der Lage, den Stickstoff aus der Luft zu nutzen. Die Chemiker Ende des 19. Jahrhunderts nahmen mehrere Anläufe, den Stickstoff aus der Luft „ chemisch zu fixieren“. Mehrere Verfahren scheiterten an der geringen Ausbeute und an dem hohen Energieverbrauch. Erst der Chemiker und spätere Nobelpreisträger Fritz Haber fand zunächst eine theoretische Möglichkeit, aus Wasserstoff und Stickstoff Ammoniak zu gewinnen. Nachdem er sich mit dem dritten Hauptsatz der Thermodynamik des Physikers Walther Nernst auseinandergesetzt hatte, fand er auch die technische Lösung. Der Wasserstoff musste unter hohen Drücken bei Temperaturen von 300 Grad mit Hilfe eines Katalysators mit Stickstoff zusammengebracht werden. Das erforderte wiederum große maschinenbautechnische Entwicklungen, die letztlich Carl Bosch mit seiner Firma BASF realisierte.

Der Wasserstoff für die Ammoniakgewinnung stammt heute vor allem aus Erdgas, so dass etwa 80 % der Kosten auf die Erdgaskosten entfallen.

Diese Stickstoffproduktion hat die Landwirtschaft weltweit revolutioniert. Und gleichzeitig ein Problem geschaffen.

Kämpften die Pflanzen früher um den Zugang zu Stickstoff, bildet der Stickstoff, der heute als Abfall aus dem Überdüngen, aus der Verbrennung der Fahrzeuge und aus den Emissionen der Stallanlagen sich in der Natur verteilt, ein Überangebot, das zum Verlust der Pflanzenvielfalt, zum Absterben der Flora und Fauna in ganzen See- und Meeresgebieten und zu überhöhten Nitratwerten im Grundwasser führt. Die Stickstoffüberdüngung der Erde wird mittlerweile als ein Problem betrachtet, das von der Tragweite dem Problem des Klimawandels nahe kommt.

Eine Verminderung der Verwendung von Mineraldünger ist also wünschenswert, wird praktiziert und durch verschiedene Düngemittelverordnungen gesetzlich gefordert. Darunter fallen auch die hohen Stickstoffgaben, die aus der Gülle aus der Tierhaltung stammen.

Hat Özdemir also Recht, wenn er – nach Reduktion des Mineraldüngers – die Tierhaltung als Düngerproduzenten lobt? Die Autorin Friederike Schmitz weist auf einen Fehlschluss hin. Die Tierhaltung lebt von dem Futter, das mit Hilfe von Mineraldünger produziert wird. Würde die Menschheit sich direkt aus Pflanzen ernähren, ohne den Umweg Pflanze-Tier-Mensch, würde weniger Dünger für die Tierfutterproduktion verbraucht und weniger Ammoniak aus den Ställen entweichen. Letztlich sei auch im Fleisch selbst der Dünger wieder gebunden und verloren. Die Landwirtschaft mit Tierhaltung ist somit keine Kreislaufwirtschaft. Sie bezeichnet Özdemirs Behauptung als „Düngermärchen“.

Die Ökolandwirtschaft kennt durchaus eine Lösung für das Düngerproblem: Die Hülsenfrüchte. Hülsenfrüchte sind die Pflanzen, die in der Lage sind, mit Hilfe von Bakterien den Stickstoff aus der Luft zu verwerten. Hülsenfrüchte (Erbsen, Linsen, Bohnen, Lupinen) können direkt für die menschliche Ernährung verwendet werden und sie sind eiweißreich.

Der Klee, der als Viehfutter verwendet wird, ist übrigens auch eine Hülsenfrucht und in der Lage, Stickstoff aus der Luft zu „fixieren“. Werden die Wurzeln der Hülsenfrüchte untergepflügt bilden sie die Stickstoffdüngung für die Folgesaat. [jdm]