Über 250 Menschen folgten am letzten Montag den Ausführungen von Rechtsanwalt Reinhold Hohage (zum Download der Präsentation) zu den Auswirkungen des Bundesteilhabegesetzes für die vollstationären Bewohner des St. Lukasheims (siehe Bericht auf Homepage des St. Lukasheims).

Hohage versuchte den Eltern und Angehörigen der behinderten Bewohner des St-Lukasheim-Heimbereiches die Angst vor den Folgen zu nehmen. Er verhehlte aber nicht, dass das Gesetz, das den Anspruch hat, Leistungen nicht länger institutionszentriert, sondern am Bedarf des behinderten Menschen orientiert zu gewähren, sich zunächst als „bürokratisches Monster“ präsentiert. Die Änderungen werden in Niedersachsen zum 1.01.2020 wirksam.

Bisher wurden die Kosten für einen Heimplatz vom Landkreis direkt an das Lukasheim gezahlt (unter Einsatz des Vermögens und Einkommens des behinderten Menschen). Der Heimbewohner bekam vom Landkreis ein Taschengeld und das Bekleidungsgeld. Jetzt wird der Hilfebedarf in seine Einzelteile aufgesplittet: Es gibt die behinderungsbedingten Hilfeleistungen des Heims (Teilhabebedarf genannt) und es gibt die reinen Unterkunftskosten und als Drittes die Kosten für Ernährung, Bekleidung und Sonstiges (Regelbedarf genannt).

Weil der behinderte Mensch im Sinne des Inklusionsgedankens fiktiv als autonome selbständig handelnde Person gedacht wird, dessen Leistungen sich am persönlichen Bedarf orientieren und personenbezogen ermittelt werden sollen, wird vom Hilfebedürftigen eine Antragstellung erwartet. Für den Teilhabebedarf (die Hilfeleistungen des Heims) muss ein Antrag gestellt werden. Für die Unterkunftskosten und die reinen Lebenshaltungskosten muss ab jetzt einmal jährlich ein Grundsicherungsantrag gestellt werden. Grundsicherung ist im Grunde die Sozialhilfe für erwerbsunfähige Menschen mit zu geringem Einkommen (z. B. Niedrigrenten, Stichwort Altersarmut). Die Hilfebedürftigen brauchen jetzt auch ein Konto, weil die Grundsicherung ja selbst verwaltet werden muss.

Das Heim heißt jetzt nicht mehr „Heim“, sondern „besondere Wohnform“. Auf den ersten Blick ändert sich für den Heimbewohner nichts; er hat nicht mehr Geld, sondern muss die Unterkunftskosten und die Kosten für die Lebensmittel, für die Reinigungsmittel usw. an das Heim zahlen, weil dieses ja auch die Wohnung, das Essen oder das Wäschewaschen zur Verfügung stellt. Übrig bleibt letztlich dann eine Summe in Höhe des bisherigen Taschengeldes und Bekleidungsgeldes.

Für die Angehörigen oder die Betreuer, die in der Regel die finanziellen Angelegenheiten der Hilfebedürftigen erledigen, kommt somit ein Haufen neuer bürokratischer Aufwand zu, ohne dass sich etwas verbessert.

Hohage und der Geschäftsführer des St. Lukasheims und der Caritas-Werkstätten nördliches Emsland GmbH Heinz-Bernhard Mäsker versicherten, dass das Lukasheim den Bewohnern bzw. deren Angehörigen alle Hilfen und Informationen zur Verfügung stellen wollten, um die Umstellung ohne Probleme bewältigen zu können. Außerdem gebe es eine unabhängige Teilhabeberatung, sowie den gesetzlichen Auftrag an den Landkreis, zu beraten.

Hintergrund der ganzen Entwicklung ist die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die die Verbesserung der Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen erforderlich machte. Für die politischen Akteure von Bund und Land war von vornherein klar, dass diese Verbesserungen kein Geld kosten sollten. Außerdem gab es schon lange die Forderung, die Kommunen von den steigenden Kosten der Eingliederungshilfe zu entlasten.

Die ersten Gesetzesvorschläge ließen Schlimmes erahnen und führten bundesweit zu breiten Protesten, zu denen seinerzeit auch die Caritas und das Lukasheim aufriefen.

Verschiedene Modelle zur Entlastung der Kommunen führten schließlich zu der Idee, dass man den behinderungsbedingten Bedarf, den die Länder und Kommunen zahlen, abtrennen könne. Diese Hilfe bekommen alle, die den Bedarf haben.

Behinderte Menschen ohne oder mit nur geringem Einkommen werden anderen einkommensschwachen Menschen gleichgestellt und müssen für den Lebensunterhalt die Grundsicherung, die vom Bund gezahlt wird, beantragen. So hat man eine neue Verteilung der Kosten zwischen Bund und den Ländern bzw. Kommunen erreicht.

Nur bedeutet das neben der Bürokratie für die Betroffenen auch sehr viel Bürokratie im Hintergrund. Alle Heime müssen jetzt herumrechnen, ob der Flur in der Wohngruppe zum Wohnraum gehört oder – weil er rollstuhlgerecht besonders breit ist – zu den Kosten der Eingliederungshilfe gehört. Wäschewaschen gehört zum Lebensunterhalt, also Grundsicherung, aber bei dem Inkontinenten ist dies öfter erforderlich – also Eingliederungshilfe. Die Grundsicherung zahlt Unterkunftskosten nur bis zu einer bestimmten Höhe – wer zahlt dem Heim jetzt die Pflege des Parks rundum (z. B. bei ehemaligen Krankenhäusern wie dem Haus St. Marien Lathen)?

Aktuell verhandeln und rechnen alle beteiligten Einrichtungen und Behörden herum und versuchen nur die Kuh vom Eis zu bekommen. Noch ist die Rechnung einfach: Das ganze Geld abzüglich Taschengeld und Bekleidungsgeld geht ans Heim. Aber in Zukunft wird es keine gesetzliche Anpassung von Taschengeld mehr geben, weil es kein Taschengeld mehr gibt.

Auch die Hilfen vom Heim sollen individueller gestaltet werden können. Dann kann es sein, dass der behinderte Mensch es nicht mehr mit einem Heimträger zu tun hat, sondern mit verschiedenen Tochterfirmen des Trägers: mit einer Cateringtochter, die fürs Essen sorgt, der Pflegefirma, der Reinigungsfirma, dem Vermieter, usw. und mit jedem muss ein Vertrag geschlossen werden. Und weil nicht mehr Geld als jetzt vorhanden ist, besteht die Gefahr, dass dem behinderten Menschen plötzlich das Geld nicht mehr reicht. Denn die Bürokratie kostet auch dem Träger Geld. Und wie im Pflegebereich wird es plötzlich auch neue Anbieter geben, die durch Schmalspurangebote Geld machen wollen.

Das Teilhabegesetz ist für einen kleinen Teil der behinderten Menschen, die über ein gutes eigenes Einkommen verfügen, z. B. körperbehinderten gut versicherten Unfallopfern, eine Verbesserung, weil sie über ihre Hilfen besser mitentscheiden können. Für die Masse der mittellosen behinderten Menschen bleibt das Bundesteilhabegesetz das „bürokratische Monster“ mit großem Potential, übers Ohr gehauen zu werden. Für ihre Angehörigen und gesetzlichen Betreuer, aber auch die Mitarbeiter der Heime, ist es eine Quelle für sinnlose Mehrarbeit und Frustration. [jdm]