Larissa Cosentino berichtet, über ein Zusammentreffen mit wilden Hunden in einem Park der bulgarischen Stadt Plovdiv- 08.06.2012

Wilde Hunde in Bulgarien - ein unangenehmes Treffen im Park

Noch nie zuvor habe ich in einem Land gelebt, in dem es wilde Hunde gibt. Wenn ich davon gehört habe, dann stellte ich mir oft arme, ausgesetzte Tiere vor, die halb verhungert am Straßenrand nach etwas Essbarem suchen und nachts irgendwo in einen Unterschlupf kriechen. Nun bin ich in Bulgarien, genauer gesagt in Plovdiv und ich gebe zu, dass ich sehr glücklich bin, dass dies eine Stadt der wilden Katzen ist und nicht der wilden Hunde. Warum ich glücklich darüber bin?

Weil das Zusammenleben mit wilden Hunden doch irgendwie anders ist, als ich es mir in meiner naiven Vorstellung ausgemalt hatte... Die wenigen Hunde die es hier gibt, haben meine Betrachtungsweise stark verändert: von dem verklärten Blick einer Hundeliebhaberin, wie ich ihn einst hatte, ist nicht mehr sehr viel übrig.

Während meines ersten Besuchs in diesem traumhaften Land, hatte ich nur eine kurze Begegnung mit einem sehr niedlichen Hund... Ein Einzelgänger: diese sind äußerst selten gefährlich, wie ich nun gelernt habe...

Jetzt aber wohne ich am anderen Ende der Stadt... In meinem neuen Viertel gibt es eine kleine Gruppe dieser wilden Hunde. Es sind mittelgroße Mischlinge, manchmal sehe ich sie einzeln bei den Mülltonnen nach Essbarem suchen, manchmal sind sie eine Handvoll. Als ich sie zum ersten Mal bemerkte, war es Tag. Sie waren zu zweit und obwohl sie gut genährt aussahen, tat mir vor allem der eine dieser beiden fürchterlich leid, denn sein Hinterbein war derart verkrüppelt, dass er nur noch nutzlos herum hing. Beide irrten in Richtung eines Wohnblocks, blieben eine Weile stehen und schon sah ich, wie jemand ihnen etwas zu essen brachte. Die Hunde blieben auf Distanz und gingen erst essen, als ihr Wohltäter wieder fort war. Ich dachte: „Wenigstens kümmert sich jemand um die beiden“. Die Bewohner von Plovdiv füttern ebenso ihre wilden Hauskatzen, irgendwie funktioniert das Zusammenleben zwischen Mensch und halb verwildertes Tier hier recht gut. Als die beiden satt waren, forderte der Hund mit dem verkrüppelten Bein seinen vierbeinigen Freund auf, mit ihm zu spielen, und ich habe sie eine Weile beobachtet. Es freute mich zu sehen, dass es ihnen offensichtlich gut ging, sogar trotz Behinderung...

Tage später kam ich bei Dunkelheit nach Hause, es war in etwa zehn Uhr abends... Der Weg zu meiner Wohnung führt durch einen Park, nicht weit von dem Häuserblock gelegen, wo die beiden Hunde gefüttert wurden... Ich dachte mir nichts dabei, der Gedanke „Hund“ war nicht präsent... Plötzlich hörte ich es in der Dunkelheit bellen und vier Hunde galoppierten in meine Richtung. Natürlich blieb ich sofort stehen, denn so viel verstehe ich von Hunden, dass ich weiß: Wegrennen wäre verheerend. Sie kamen näher, aus meinem Unbehagen wurde Angst. Als ich sah, dass der vierte Hund des Rudels wegen seines kaputten Beines langsamer als die anderen war, dachte ich: ‚zum Glück ist der eine verkrüppelt, so habe ich nur noch drei richtige Gegner’. So schnell kann sich eine Betrachtungsweise ändern!

Die drei gesunden Hunde waren inzwischen nur noch in etwa vier Meter weit weg, der eine knurrte schon anstatt zu bellen. ‚Zeit zu handeln!’, dachte ich voller Angst. Ich habe sie angesprochen. Was genau ich gesagt habe, weiß ich nicht mehr, es spielt auch keine große Rolle. Allein der Tonfall zählt. Ruhige Autorität ist, was ich versucht habe auszustrahlen. Die drei blieben kurz vor mir stehen, der eine knurrte noch, der mit behinderte Hund blieb auf Distanz aber er bellte aus dem Hintergrund und stachelte die drei anderen an. Mir lief ein Schauder über den Rücken, wohl wissend, dass eine solche Pattsituation für mich sehr schnell schlecht enden konnte. Erneut habe ich etwas gesagt... unschicke Worte wie „Haut ab ihr Trottel, ich will Euch ja nichts Böses!“ Sie liefen daraufhin ein wenig umher, unschlüssig, was es zu tun galt... Ich habe langsam meinen Weg fortgesetzt, natürlich habe ich sie dabei in meinem Blickfeld behalten, zum Glück, denn kaum da ich mich bewegte, waren sie wieder auf Angriff... Drei Mal bin ich noch stehen geblieben, obwohl ich nur in etwa 20 Meter bis Parkende zurückzulegen hatte. Ich habe es zum Glück geschafft, sie jedes Mal durch Einsatz der Stimme wieder auf Distanz zu bekommen. Endlich war ich auf der Straße und sie folgten mir nicht mehr.

Mein Herz raste noch immer, als ich endlich die Tür zu meinem Gebäude aufgesperrt habe und aufatmen konnte.

Seitdem habe ich viel über wilde Hunde gelernt... Ich weiß, dass Hunde in Sofia vor einigen Wochen einen alten Mann tot gebissen haben... es stand in den Zeitungen, natürlich nur in den Bulgarischen, das Thema „Gefahr durch wilde Hunde“, ist nicht so populär wie das Thema „Misshandlung von wilden Hunden“. Der Mann war ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann, der gerade aus den USA zurückkam, um sich in seine Heimat zu Ruhe zu setzen. Das Thema „wilde Hunde“ flackerte in der Regierung auf, doch wie es seit etlichen Jahren schon der Fall ist, wurden Schuldige gesucht, nicht gefunden, Maßnahmen vorgeschlagen, doch nicht ergriffen. Die Hardliner verlangen das Töten der wilden Hunde, die Tierschützer verlangen nach Tierheimen. Während die eine Lösung aus Tierschutzgründen nicht möglich ist, ist die andere Lösung aus Geldmangel nicht möglich. In Sofia, wo es viele Hunde gibt, bleibt das Problem also nach wie vor bestehen. Inzwischen sterben Menschen oder erleiden Bisse. Vor allem Kinder und ältere Leute werden angegriffen... Die Rudel dort sind um einiges größer, ein Rudel von über zwanzig Tieren ist keine Seltenheit, da nutzt das Zureden sicherlich nicht mehr viel.

Dieses Hunderudel, das einem Mann das Leben kostete, wurde von einem der Bewohner eines nahe liegenden Hauses gefüttert. Aus einem noch nicht geklärten Grund angeblich mit rohem Fleisch, was natürlich Aggressionen noch mehr schürt... Ich denke da an meine kleine Hundegruppe... Auch diese Hunde werden gefüttert. Ich nehme an, dass sie ihren Futterplatz als ihr Revier ansehen und es nachts schützen wollen... Ich meide seitdem den Park bei Nacht, mache Umwege, aber bin dadurch außerhalb der Gefahrenzone. Gut, mein Problem ist gelöst... Dank eines schon seit Jahren andauernden Einsatzes sind nämlich die meisten Hunde in Plovdiv kastriert und vermehren sich nicht mehr. Der Vorgang zur Kastration ist nicht immer sehr fein: Hunde einfangen, kastrieren, mit einer Plakette am Ohr markieren, freilassen... Nicht unbedingt schön, so aus Hundesicht... Kostenintensiv, aber noch immer günstiger als alle Tiere in angemessenen Heimen unterzubringen. Langfristig eine Lösung... Kurzfristig betrachtet, ist dies keine Lösung, denn dieselben Hunde sind für die Dauer eines Hundelebens noch immer da und sicherlich nach einem solchen Vorgang den Menschen nicht unbedingt wohl gesonnener...

Das Problem ist wohl nur mit viel Geld zu lösen, denn aus Tierschutzgründen kommen vermutlich nur Heime in Frage. Sie viel Geld darin zu investieren, in einem Land, in dem Geld dringend auch woanders benötigt wird, würde trotz der Dringlichkeit des Problems in der Öffentlich wohl wenig Unterstützung finden.

Jetzt frage ich mich plötzlich, wie hätte die Ukraine das Problem lösen können? Das Land kann sich sicherlich keine Schlagzeile erlauben, in dem über einem tot gebissenen Fußballfan berichtet wird... Jetzt hat das Land allerdings Schlagzeilen, weil die Massentötungen derer Hunde wegen einzelner, unmoralischer Menschen ausarten... Am Ende stehe auch ich ohne Lösung da...

Ja, ich bin glücklich, in einer Stadt der wilden Katzen zu leben... in einer Stadt, die das Problem der wilden Hunde kannte, doch sich Zeit für eine langfristige Lösung genommen hat... Mein Rudel ist hier eine Ausnahme, mit der ich durchaus leben kann.


Larissa Cosentino, 08.06.2012

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