Larissa Cosentino berichtet, wie sie das Erdbeben in Bulgarien am 22.05.2012 erlebt hat - 22.05.2012

Eine echt interessante Erfahrung - Halluziniere ich etwa?

Bulgarien ist selten in den Nachrichten, noch weiß ich nicht, dass sich das gleich ändern wird. Es ist der 22.05.2012, in etwa halb drei Uhr morgens, ich liege in meinem Bett, in meiner Wohnung in Plowdiw, die faszinierende, bulgarische Stadt in der ich mich derzeit aufhalte.

Lang ist es her, dass ich schlaflose Nächte hatte, doch heute scheint es wieder so weit zu sein. Seit ich mich hingelegt habe, kreisen meine Gedanken, lassen mir keine Ruhe und werden immer absurder. Vermutlich sollte ich aufstehen, denn Schlaf findet man in einem solch unruhigen Zustand sowieso nicht, doch noch kann ich mich dazu nicht überwinden. Seltsam ist meine Laune... Die Unruhe wird immer stärker, doch warum nur bin ich so aggressiv? Als hätte mich plötzlich etwas wütend gemacht, öffne ich die Augen und fühle mich kampfbereit. „Etwas stimmt in diesem Zimmer nicht!“, denke ich aus einem seltsamen Instinkt heraus. „Das ergibt eigentlich keinen Sinn“, sagt der vernünftige Teil von mir und fragt sich, ob ich vielleicht gerade in einem Sekundenschlaf einen Albtraum hatte. Mein Körper gehorcht jedoch keiner Vernunft: Ich sitze in meinem Bett und versuche trotz der Dunkelheit in meinem Schlafzimmer eine Gefahr zu erkennen, die ich spüre, obwohl sie gar nicht vorhanden sein dürfte. Plötzlich balle ich die Fäuste, denn es entsteht ein unangenehmer Druck in meinem Schädel. Es ist kein Schmerz, nur ein Druck, als würde jemand mit beiden Händen mein Gehirn zusammen drücken. Ich leide nicht unter Migräne, doch meine Großmutter tat es... Bekomme ich jetzt etwas auch welche? Kurz darauf fühle ich eindeutig ein leichtes Rütteln an meinem Bett. Nein, das kann nicht sein! Hier ist doch niemand außer mir! Halluziniere ich etwa? Was passiert hier? Ich versuche mich zu beruhigen, mir einzureden, dass was ich spüre, nicht existiert. Mein Schlafzimmer wirkt jedoch so irreal! Das rütteln an meinem Bett wird immer stärker! Es ist, als ob jemand am Fußende stehen würde und mit ganzer Kraft versucht das Bett auseinander zu reißen! Die Wände scheinen sich zu bewegen... nein, nicht die Wände, der Boden auch! Endlich erinnere ich mich, endlich weiß ich wieder, was ich gelesen und doch gleich wieder vergessen hatte: Bulgarien ist ein Erdbebengebiet! Ich träume nicht, halluziniere nicht! Ich muss hier raus, sofort!

Ich springe aus meinem Bett, will das Licht anmachen, doch der Strom ist ausgefallen. Ich denke kaum noch nach, finde auch im Halbdunkeln meine Jeans, mein Sweatshirt und eile Richtung Flur, um Schuhe zu finden. Hier ist es aber noch dunkler, ich finde keine! Ich reiße die Tür zum Wohnzimmer auf, in der Hoffnung es würde genug Licht aus den Fenstern hineinströmen, um auch den Flur zu beleuchten. Als ich durch das große Fenster sehe, beruhige ich mich jedoch schlagartig... Es hat aufgehört zu beben... es ist still.... Wird es gleich wieder anfangen? Gibt es so etwas wie Vorbeben? Ich versuche mich zu erinnern, was ich über Erdbeben weiß und merke, es ist nicht viel. Das Thema habe ich nie vertieft... Wie dumm von mir! Ich starre weiterhin aus dem Wohnzimmerfenster, aber erst jetzt wird mir bewusst, was ich eigentlich betrachte. Das fünfstöckige Gebäude gegenüber ist zwar auch in Dunkelheit getaucht, doch ich sehe Lichtkegel von Taschenlampen. Meine Nachbarn sind also nicht hinausgerannt... Die meisten von ihnen sind sicherlich Bulgaren, sie kennen sich mit Erdbeben aus und offensichtlich suchen sie nur ihre Wohnungen nach Schäden ab... Es dürfte also vorbei sein. Ich entscheide mich dafür, mein Verhalten an dem meiner Nachbarn anzupassen. Da ich keine Taschenlampe besitze, zünde ich eine Kerze an. Zur Sicherheit hole ich mir ein Paar Schuhe und ziehe sie an... Ich beobachte die Lichtkegel gegenüber, ein Nachbar öffnet das Fenster, lehnt sich hinaus... Ja... Ein wenig frische Luft atmen würde auch mir jetzt gut tun. Ich öffne die Tür zum Balkon, mache einen Schritt und bleibe wie angewurzelt stehen. Fast wäre ich hinausgegangen, doch in letzter Sekunde entscheide ich mich dagegen: sollten Risse am Gebäude entstanden sein, wäre ein Balkon vermutlich als erster betroffen und ein gefährlicher Platz. Ich gehe also zum Fenster, öffne es und lehne mich hinaus. Jetzt sehe ich, dass in den Treppenhäusern überall Licht brennt! Wie kommt das? Ist es eventuell auch in meinem Gebäude so? Zurück zum Flur... Ich sperre die Wohnungstür auf. Es strahlt mir ein blasses Licht entgegen, grüne beleuchtete Pfeile deuten in Richtung Ausgang. Die Notbeleuchtung des Gebäudes hatte ich zuvor nie bemerkt. Eigenartig, was man alles übersieht... Kurz darauf springt das Licht wieder an. Kehr jetzt einfach die Normalität zurück? Es ist drei Uhr morgens vorbei, vielleicht sollte ich einfach schlafen gehen...

Das versuche ich auch, doch eigentlich bin ich hellwach, so bekomme ich auch den Nachbeben um 04:30 Uhr mit. So kurz und schwach ist dieser Beben, dass ich nicht einmal Zeit habe mich anzuziehen. Es ist vorbei. Das weiß ich. Ich bin plötzlich erschöpft... Es bellen ein Paar wilde Hunde... Ja, das ist hier Normalität. Jetzt kann ich einschlafen.  

Erst am nächsten Tag erfahre ich, dass der Beben 5,6 auf der Richterskala zeigte, 5,9 bei anderen Zeitungen. Epizentrum war bei Sofia, ich kontaktiere also eine meiner Freundin dort... Sie fand witzig, wie ihr „Ofen versuchte aus der Küche zu hüpfen“, wie sie sagte. Ansonsten seien auch bei ihr keine Schränke verrutscht, geschweige denn umgefallen oder zusammengebrochen.

Später erfuhr ich von einer anderen Freundin, die in einem Erdbebengebiet gelebt hat, dass der Luftdruck sich bei einem Beben ändert. Es kann daher sein, dass man es als Kopfschmerzen oder Druck im Schädel wahrnimmt... Das habe ich nicht überprüft, ich glaube es ihr einfach. Ich habe mich dafür entschieden, mir zwar eine Taschenlampe zu kaufen, aber nichts über Erdbeben zu lesen. Auch Anhand von allem, was man über den stärkeren Beben in Italien liest, ist mir eines klar: Wenn es losgeht, kann man ohnehin nichts tun. Es nutzt alles Wissen nichts, wenn es bebt.


Larissa Cosentino, 23.05.2012

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