Stimmungsumschwung im Emsland: Alle Ställe sind verpönt

Stimmungsumschwung im Emsland: Alle Ställe sind verpönt – Späte Veredelung

www.marktplatz-emsland.de, 04.12.2010

Die Hähnchenmast sorgte für einen Boom. Wie hier in Werpeloh entstanden in den letzten zehn Jahren 20 Mio. neuer Stallplätze.Das Emsland ist Bauernland. Selbst der für die landschaftlich reizvollen Touren an der Ems die Radfahrer umwerbende Tourismus behauptet das. Bei der Analyse der lokalpolitischen Schlagzeilen kommen aber erhebliche Zweifel auf. Den Landwirten werden neuerdings bei der Durchsetzung der Privilegierung des Bauens im Außenbereich gar „mafiöse Strukturen" unterstellt, wie junge Landwirte monieren. „Wir sind entsetzt", meinen Hendrik Schmunkamp aus Wippingen und Matthias Schmitz aus Groß Berßen. Ihre Zukunft sei im Emsland stark gefährdet.

Es ist nicht einmal lange her, da saßen in fast allen emsländischen Räten Landwirte, die selbstverständlich der CDU angehörten, an der Spitze. Die Bauern beherrschten die Politik und die Dörfer. Heute hat selbst die Zwei-Drittel-Partei CDU Probleme bei der Durchsetzung ihrer hauptamtlichen Bürgermeisterkandidaten. In Papenburg, Rhede, Nordhümmling. Herzlake, Twist und Emsbüren und jüngst gar in Lingen ging selbst das daneben.

Dabei hatte das Emsland nach dem Geflügelpestzug fein die Kurve genommen. Statt die aus den Niederlanden geholten Hähnchenküken hier zu mästen und dann zur Schlachtung erneut über die Grenze zu transportieren, löste das Unternehmen Rothkötter diese Problematik mit einer eigenen Brüterei in Dohren, die mit der dritten Erweiterung die Erzeugung mittlerweile auf über 100 Mio. Küken erhöhte, und schlachtet die von emsländischen Bauern gemästeten Hähnchen in Haren. Die Emsland-Frischgeflügel erlebte jährliche Umsatzsteigerungen bis zu 90 Prozent, überholte Heidemark (Garrel) und rückt Sprehe (Lorup) und Stolle (Visbek) auf die Geflügelpelle.

Die Rothkötter-Entwicklung ging natürlich einher mit dem Bau von zusätzlichen Hähnchenmastställen im Emsland, bis Rothkötter selbst die Leine zog und jetzt auch in Wietze im fernen Celler Land 60 Mio. Euro in einen ersten Bauabschnitt einer neuen Schlachtanlage investiert.

Aber im Emsland liegen im Kreisbauamt noch aktuell 230 Anträge auf neue Mastställe vor; so könnten zu den 32 Millionen Hähnchenmastplätzen elf Millionen hinzukommen. So wie der Kreis Vechta zur Eier- und der Kreis Cloppenburg zur Putenhochburg Deutschlands wurden, so wurde das Emsland in der Hähnchenmast führend.

Der Landkreis verhängte daraufhin einen Quasi-Stopp für Großmastställe und kündigte eine drastische Verschärfung von Auflagen an. So sollen Antragsteller künftig in einem Gutachten detailliert nachweisen müssen, dass in einem Brandfall die Tiere rechtzeitig zu retten sind. Dass demnächst so verfahren werde, teilte Landrat Hermann Bröring (CDU) dem für das Baurecht zuständigen Sozialministerium und dem mit Brandschutz befassten Innenministerium mit. Auch das Landwirtschaftsministerium begrüßte aus tierschutzrechtlicher Sicht das Drängen auf zusätzliche Brandschutzgutachten. Das sei ein „praktikabler Ansatz", betonte eine Sprecherin von Ministerin Astrid Grotelüschen (CDU).

Außerdem ordnete der Landkreis an, dass beim Bau größerer Mastanlagen auch ein so genanntes Keimgutachten beizubringen ist. Wenn jemand in einem bestimmten Radius um eine Wohnbebauung einen Maststall errichten will, muss er nachweisen, dass es zu keiner zusätzlichen Belastung durch Keime kommt. Diese Restriktionen dürften nach Ansicht von Fachleuten den Bau neuer Großmastanlagen erheblich erschweren und in vielen Fällen unattraktiv machen. Es wird sogar eine Ausdehnung dieser Initiative auf ganz Niedersachsen gefordert.

Politisch „volle Rückendeckung für den Landkreis Emsland" signalisierte Justizminister Bernd Busemann. Der emsländische CDU-Kreisvorsitzende sagte, die Dichte der Massentierhaltungsanlagen gefährde zunehmend die Entwicklung von Dörfern. Um diese Gefahr zu mildern, bestehe landes- und bundesweit Handlungsbedarf.

Stallbauten sind verpönt im Emsland. Selbst in rein landwirtschaftlich orientierten Dörfern stoßen sie auf Kritik.Sögels Bürgermeister Günther Wigbers berichtete, wie Polizeibeamte in Zivil eine Ratssitzung in Spahnharrenstätte verfolgen mussten, weil es Drohbriefe gegen Gemeinderatsmitglieder gegeben habe. Landrat Hermann Bröring (ebenfalls CDU) steigerte dieses mit der Aussage: „Jetzt nimmt die Landwirtschaft die Steuerung in den Dörfern vor, und die Kommunen sind machtlos".

Mancherorts wird gar das Instrument der „Eignungs- oder Sondergebiete" benutzt; vernachlässigend, dass hier jeder, auch der der Landwirtschaft ferne Investor, seinen Stall bauen kann. Es wird polarisiert, ein paar tausend neue Schweinemastplätze werden als die lokalen Grenzen sprengendes Problem dargestellt.

Die Lobby der Landwirtschaft wehrt sich kaum vernehmlich. „Wir wollen keinen Druck erzeugen", meint Hermann Wester, der Kreislandwirt aus Wesuwe. Die Gegenwehr bleibe in der Harmonie; „denn auch in Zukunft werden Baugenehmigungen erteilt". Heftiger wehrt sich da schon Ulrich Kirschner (Meppen), einst in der Schweine- und heute in der Hähnchenmast involvierter Lokalpolitiker. „Allein durch die Hähnchenhaltung werden in dieser Region jährlich 100 Mio. Euro an Löhnen und Sozialabgaben gezahlt. Viele Menschen, die es am Arbeitsmarkt schwer hatten, haben dort Arbeit gefunden. Sie sind heute froh und glücklich, einen meist übertariflich bezahlten Arbeitsplatz zu haben".

Wenn in Deutschland auf Hähnchenproduktion in wettbewerbsfähigen Einheiten verzichtet werde, würden die Hähnchen möglicherweise aus Thailand oder Brasilien importiert. Das wäre der Verzicht auf hiesige Wertschöpfung und auf die weltweit strengsten Qualitäts- und höchsten Tierschutzstandards. Der Wohlstand im Emsland sei, so Kirschner, auf die intensive Landwirtschaft zurückzuführen. Landkreise mit der höchsten Viehdichte hätten die geringste Arbeitslosenquote.

Aber gerade das Emsland hatte auch hier säumig die Kurve bekommen. Um Jahre hinkten sie der Entwicklung in den Nachbarkreisen hinterher. „Die Veredelung kam eine Generation zu spät", meinte Wester. Dies sei auch der Grund, dass das Emsland nicht von der Industriealisierung des vor- und nachgelagerten Agrarbereiches so profitiere wie das Oldenburger Münsterland. Das dortige „Agribusiness-Cluster" führte dort zu einem Innovationszentren der internationalen Agrar- und Ernährungswirtschaft. Von Garrel bis Damme, von Löningen bis Visbek sind es in fast allen Kommunen Agrarunternehmen, die vor Ort die Nr. 1 sind. Hier werden bei Big Dutchman die Ställe und bei Grimme die Kartoffelvollernter gebaut, ganz zu schweigen von Feinkost-, Pommes-Frites- und Brotfabriken; 1.000 Beschäftigte haben PHW, D&S oder Wernsing. Die Landwirte sind findige Unternehmer geworden, technisch auf der Höhe der Zeit. Aus den Jahren des Subventionsdenkens ist die Eigeninitiative geworden.

Das gilt auch für den Maschinen- und Anlagenbau für die Landwirte und führten an der A 1 zu einem „Silicon Valley der Agrartechnologie". Folgerichtig ist der Kreis Vechta niedersachsenweit die steuerkräftigste Region mit niedrigsten Arbeitslosenquoten, die selbst die Arbeitsagenturen als „Vollbeschäftigung" preisen.

Diese Entwicklung habe, gestehen selbst die Landwirte zu, das Emsland verschlafen. Hier setzten die Lokalpolitiker mehr auf neue Textil- und Möbelfabriken, die längst die Produktion einstellten.

So müssen die Bauern jetzt hoffen, dass die Privilegierung des Bauens im Außenbereich bleibt. Selbst der Petitionsausschuss des Bundestages nahm in dieser Woche die emsländische Problematik auf und forderte: „Stallbau eindämmen".

Im Emsland fehlt mittlerweile selbst der Rückhalt in den Dörfern. Während im Cloppenburgischen Landtags- (Gr. Macke/Essen) und Bundestagsabgeordnete (Holzenkamp/Emstek) und in der Grafschaft der Landrat (Kethorn/alle CDU) noch Landwirte sind, hat die „grüne Front" im Emsland selten auf die politische Karte gesetzt.

Entsetzt sind Hendrik Schmunkamp und Matthias Schmitz über die Art und Weise, wie im Emsland über die Landwirtschaft diskutiert wird. „Wir wollen keine Agrarfabriken", aber auch die eigenen Betriebe zukunftsfähig gestalten.


 kl/Marktplatz Emsland


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