Bahnprivatisierung - Öffentliches Eigentum soll verschenkt werden| 29.10.2007 |
Bahnprivatisierung - Öffentliches Eigentum soll verschenkt werden
Stellen Sie sich vor, Sie wohnen in Ihrem älteren gepflegten Haus, das ca. 100
000 wert ist. Wenn Sie ein gleich großes neues Haus bauen müssten, müssten Sie
220 000 ausgeben. Jetzt schlägt Ihnen Herr Schlingel vor, ihm dass Haus für 15
000 zu verkaufen, sie müssten aber 9000 von seinen Schulden übernehmen und
Sie könnten für eine jährliche Miete von 9000 weiter in dem Haus wohnen,
müssten aber seine Hausordnung akzeptieren.
Sie würden Herrn Schlingel zum Teufel jagen. Aber so einen absurden Vorschlag machen die
Befürworter der Privatisierung der Bahn. Nur die Einzelsummen müssen Sie mit dem Faktor
1000 000 malnehmen.
Der Wert der Bahn wird inklusive 34.000 km Schienen, 5.500 Bahnhöfen und weiterem
Eigentum auf über 100 Milliarden Euro geschätzt. Würde man das deutsche Schienennetz,
so wie es heute ist, neu bauen müssen, dann müsste man dafür 220 Milliarden Euro
investieren. Für maximal 15 Milliarden Euro soll all dies an Großinvestoren verscherbelt
werden. Es gibt eine langjährige Leistungs- und Finanzierungs-Vereinbarung
LuFV, nach der jährlich bis zu 2,5 Milliarden Euro Bundesmittel für
das Netz fließen. Da auch die Nahverkehrsgelder feststehen (pro Jahr knapp 7 Milliarden
Euro) werden dann jährlich gut neun Milliarden Euro staatliche Gelder an ein
Verkehrssystem gehen, das zunehmend unter der Kontrolle privater Investoren
steht.
1994 wurde die Deutsche Bundesbahn und die Deutsche Reichsbahn in einer Aktiengesellschaft
zusammengefasst und heißt seitdem Deutsche Bahn AG. Sie ist aber weiterhin ein
öffentliches Unternehmen und befindet sich zu 100 Prozent in Bundesbesitz, d.h. sie ist
weiterhin auch öffentliches Eigentum. Das ist gesetzlich festgeschrieben, und ändern
kann das nur der Deutsche Bundestag. 1993 gab es nur einzelne FDP-Politiker, die den
totalen Ausverkauf forderten. SPD, Bündnis 90/Die Grünen und selbst die CDU/CSU wollten,
dass die neu gegründete Deutsche Bahn AG Eigentum des Bundes bleibt. Die PDS lehnte die
Aktiengesellschaft ab. Mehr als 170 Jahre Bahngeschichte stehen auf dem Spiel. Schon die
AG-Gründung von 1994 führt in die falsche Richtung: Die Bahn AG startete 1994
schuldenfrei, heute hat sie 21,5 Mrd. Euro Schulden. Seit 1994 wurde die Belegschaft
nahezu halbiert. Über 500 Bahnhöfe und Tausende von Schaltern wurden geschlossen. Statt
wie versprochen mehr Verkehr auf der Schiene lautet die Bilanz: Die Verkehrsleistung der
Bahn im Schienenfernverkehr hat sich verringert. Im Güterverkehr konnte die Schiene ihren
Verkehrsanteil nicht erhöhen. Nur im staatlich geforderten Schienenpersonennahverkehr
konnte eine Steigerung erreicht werden.
Mit der weiteren Bahnprivatisierung riskiert die Politik, dass die gesamte Aufbauleistung
noch weiter zerstört wird. Die Privatisierung hat alle selbst gesetzten Ziele verfehlt.
Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee sagt: Vom Bahnbörsengang profitieren die
Fahrgäste und die Bahnbeschäftigten. In Wahrheit dient die Bahnprivatisierung
allein dem Profit privater Investoren und den Interessen der Autoindustrie und der
Billigflieger.
Bahnchef Mehdorn (Jahressalär drei Millionen Euro) ist an der Bahn als öffentlichem
Dienstleister überhaupt nicht interessiert. Er möchte mit der Bahn AG als globalem
Logistikunternehmen mitmischen. Die Gelder der Bahn (unsere Gelder!) haben die Bahn AG zu
einem der größten Luftspediteure gemacht und auch zu einem der größten LKW-Spediteure
(Schenker) gemacht. Das ist das Ziel von durchgeknallten Wirtschaftsbossen. Die Bürger
wollen, dass die Bahn ihnen dient: Um sie von A nach B zu bringen, nicht um Güter per
Luftfracht von New York nach China zu bringen.
Von einer Bahnprivatisierung profitieren vor allem
Erstens die Finanzinstitute, die den Ausverkauf der Bahn
organisieren.
Zweitens große private Investoren, die bei der DB AG einsteigen.
Drittens einzelne Bundesländer und Konzerne, die Großprojekte
betreiben:
Viertens einzelne Personen in der Bundesregierung, im
Bahnmanagement und bei einzelnen Bahngewerkschaften, die im Rahmen der Bahnprivatisierung
einen Karriere- und Gehaltssprung nach oben machen werden. Der Bahnvorstand hat seine
Bezüge von 2000 bis 2006 vervierfacht mit Verweis auf die Bahnprivatisierung.
Fünftens Autoindustrie und Fluggesellschaften: Der mit der
Bahnprivatisierung verbundene Rückgang der Schiene im Verkehrsmarkt führt zu einem
weiteren Anstieg des Straßen- und Luftverkehrs.
Das Verschenken der Bahn an private Investoren hätte zur Folge, dass diese Investoren
Profite (Dividende) sehen wollen. Eine einfache Methode steht dafür zur Verfügung, indem
z. B. Grundstücke in bester Innenstadtlage, nämlich die Bahnhöfe, ehemalige
Bahnpostämter usw. verkauft werden. Staatsvermögen würde verschenkt, damit die neuen
Besitzer dieses Sachvermögen verscherbeln und die Gewinne einstreichen. Der Gewinn für
die Bürger: Fehlanzeige. Alle Nahverkehrsverbindungen werden weiter vom Staat finanziert
und von der Bahn oder neuen anderen privaten oder öffentlich-rechtlichen
Bahngesellschaften durchgeführt. Von der Bahn AG werden nur die profitablen
Fernverkehrsverbindungen aufrechterhalten.
Die umweltpolitische Forderung, die Güter von der Straße auf die Bahn zu verlagern, ist
natürlich mit der Privatisierung nie zu erreichen. Denn profitabel sind nur Güterzüge
die ein einheitliches Gut für den ganzen Zug transportieren, z. B. Autos aus einem
Produktionsstandort. Mittelständische Betriebe, die einige Waggons anmieten wollen,
bringen kein Geld. Der Abbau von Güterbahnhöfen auf dem flachen Land hat schon längst
begonnen.
Selbstverständlich soll der Staat nach Auffassung der Privatisierer Neubaustrecken für
die teuren Luxusfernverbindungen weiter ganz allein finanzieren und diese der Bahn
schenken. Und selbstverständlich halten die Politiker der jetzigen Bundesregierung eine
solche Forderung für ganz selbstverständlich und wollen dieser Forderung auch
selbstverständlich nachkommen.
Nach unserer Verfassung ist der Staat für die grundlegende Daseinsvorsorge auch
für den Öffentlichen Personenverkehr zuständig. Die Privatisierungspläne sind
verfassungswidrig. Der Bundesrat hat diese Pläne abgelehnt.
Um das Unbehagen vieler Sozialdemokraten zu dämpfen, hat der SPD-Parteivorstand auf dem
SPD-Parteitag am 27.10.07 die Delegierten für eine Privatisierung per Volksaktie
gewonnen. Die propagierte Idee: Damit werde ein Einfluss von wenigen großen
Kapitalgesellschaften auf die Entwicklung der Bahn verhindert. Angesichts der
jämmerlichen Verkaufserträge beim Verkauf und des großen Wertes der Bahn fragt man
sich, warum dann überhaupt noch die Privatisierung betrieben wird. Das Ziel des
SPD-Vorstands ist es, zumindest ein Einfallstor für die Übernahme durch das Kapital zu
schaffen. Aktienkäufer (auch aus dem "Volk") wollen Gewinne sehen. Dann wird
die Bahn entweder auf Gewinnmaximierung abgerichtet und dient auf diesem Weg den
Kapitalinteressen. Oder es finden sich nicht genug Käufer wegen fehlender Gewinne, so
dass die Privatisierer "notgedrungen" andere "Kapitalgeber" suchen.
Und wir sind wieder da, wohin die Privatisierer jetzt schon hinwollen.
Der SPD-Beschluss über die Privatisierung per "Volksaktie" ist also nichts
anderes als ein vorbereiteter Betrug.
Unionsfraktionsvize Hans-Peter Friedrich warf der SPD vor, sie entziehe allen bisherigen
Überlegungen zum Börsengang die Geschäftsgrundlage. Ursprungsidee sei es gewesen, die
Bahn der Effizienzkontrolle der Kapitalmärkte zu unterwerfen. Diese Überlegungen
spielten keine Rolle mehr im SPD-Konzept: "Die Kapitalgeber hätten dann überhaupt
keinen Einfluss auf die Geschäfte der Bahn." Einer Scheinprivatisierung werde die
Union nicht zustimmen: "Unter solchen Vorzeichen macht die ganze Privatisierung
keinen Sinn mehr", sagte Friedrich.
Die CDU und die FDP wollen eindeutig Staatsvermögen dem Kapital zur freien Verfügung
überstellen. Die SPD-Führung will das auch.
Höchste Zeit, dass die Bürger auf ihrem Eigentumsrecht bestehen.
Dass Bahnen in Privatbesitz verrotten, zeigt die Entwicklung der privatisierten Bahnen in
Großbritannien. Dass Staatsbahnen effektiv arbeiten können, zeigt die Entwicklung der
Schweizerischen Bundesbahn. Das kann auch in Deutschland erreicht werden; gibt es doch
viele Vorschläge dafür z. B., auf der Internetpräsenz DeineBahn.de.
Übrigens: Bundesverkehrsminister Tiefensee wird als Nachfolger des Großverdieners
Mehdorn gehandelt. Der Ex-Oberbürgermeister von Leipzig, der dort vor allem mit
verkorksten Großprojekten von sich reden gemacht hat, hätte dann ausgesorgt.
29.10.2007 jdm