Leseprobe

Novelle von Levin Schücking:

Die Wippinger Thekla

 

Kapitel 3

Während so die Leute am Herdfeuer darüber hin- und herredeten, hatte Thekla wenig darauf hingehört. Rastlos war sie ab- und zugegangen, innerlich aufs peinlichste bewegt. Es war ein so schmachvoller Handel, den Herbert sich vorgenommen, und sie, sie selbst sollte als Vermittlerin dabei dienen? Der Gedanke empörte sie - wie alles sie empörte, was Herbert heute zu ihr gesprochen. Ihren Stolz hatte er zumeist verletzt - ihren Stolz als der großen Bäuerin, der Anerbin des Wippinger Hofes - was hatte er bei der eifersüchtig zu sein auf den armen Schlucker, den Köttersohn Lorenz, dessen Mutter zur Heuer in einer Hütte wohnte, der jetzt, wo die Soldatenjahre zu Ende waren, wieder ein Knecht werden mußte, wenn er nicht taglöhnern gehen wollte? Welch ein Schimpf für sie, wenn Herbert glaubte, einen Freier, wie ihn, werde sie sofort nehmen, wenn nur ein Mensch wie Lorenz ihr ein wenig aus den Augen gerückt sein würde! War sie denn eine wetterwendische, leichtsinnige Kreatur, war sie ein Geschöpf ohne Herz, das dem einen zufiel, sobald... ach, sie mochte es gar nicht ausdenken; viel lieber hätte sie jetzt auf der Stelle dem Herbert gesagt: ich nehme Dich nicht, nicht jetzt und nicht in alle Ewigkeit; aber nicht weil mir's der Lorenz angetan hat, sondern weil Du mir der unausstehlichste, widerwärtigste Bursche im ganzen Kirchspiel bist. Und jetzt geh hin und sag dem Lorenz selber, was Du mit ihm vorhast, und wenn er's verneint, so ist's gut; wenn aber nicht, wenn er zornig wird und Dich fühlen läßt, welch andere Kraft in seinem Arme ist, als in Deinem langgliedrigen Leichnam, und Dich zu seiner Türe hinauswirft, samt Deinem Gelde - da hast Du was Du verdienst.

Daß Lorenz es so nehmen, daß er von Herbert sich nicht in die weite Welt werde senden lassen wollen - das ahnte sie nur zu gut, das sagte ihr etwas in ihrem Herzen, und obwohl sie sich selbst scheute, viel darüber nachzudenken, war es doch eine freudige Überzeugung in ihr, daß er nicht solch ein Mensch sein werde, der jemand an sich kommen lasse mit Zumutungen, wie Herbert in seiner Rohheit auf eine verfallen. Sie wußte ja auch leider zu gut, wie Lorenz an ihr hing, trotz allem, was sie getan, um es nicht zu wissen, um ihn herrisch und zornig den Mund zu schließen, wenn er begonnen, ihr von Dingen zu reden, die nun einmal nicht sein konnten und nicht sein durften. Aber wenn sie sich scheute, darüber nachzudenken - über eines mußte sie nachdenken - und das war über die Frage, die plötzlich in ihr aufstieg, ob ihr nun nicht eine Gewissenspflicht auferlegt sei, mit Lorenz zu reden und ihm zuzusprechen, daß er Herberts Vorschlag annehme? Was sollte denn aus Lorenz werden, welche Zukunft blühte ihm, wenn er hier in Verhältnissen blieb, aus denen er längst hinausgewachsen, für die er viel zu gut geworden? War es denn nicht eigentlich herzbrechend, einen solchen Menschen, in dem trotz all' seiner Wildheit ein so guter Kern steckte, am Elend seiner räucherigen Hütte und der Ziegenwirtschaft seiner Mutter verkommen zu sehen? Welch eine tüchtige Hand hatte er nicht für die Arbeit, welch offnen Kopf zu fassen und zu begreifen; wenn man die Welt vor ihm erschloß, wie weit konnte er's nicht bringen, und den silbernen Schlüssel zu diesem Erschließen - ihn bot ja Herbert; nicht aus Guttat freilich, er warf ihn Lorenz ingrimmig vor die Füße; aber mußte sie ihn nicht dennoch aufnehmen und - hatte es Lorenz mit dem, was er für sie fühlte, nicht wohl verdient, daß sie ihm begreiflich machte, wo sein Glück lag?

Das Geld freilich hätte sie selber ihm längst geben können; aber von ihr, das wußte sie, würde er's nun und nimmermehr nehmen.

Das lag nun alles mit Zentnerschwere auf Thekla. - Fürs erste hatte sie noch einen Ausstand; sie konnte ihren Entschluß, der ihr so schwer wurde, noch aufschieben, indem sie sich sagte, daß sie allein sein müsse, um mit sich zu Rate zu gehen, was sie als redliche Person zu tun oder zu lassen habe. Als aber ihre Leute aus dem Nachmittagsgottesdienst zurückkamen und die älteste Magd mit der Unterstützung der jüngeren Schwester Nina nun sorgte, daß die Gäste am Herdfeuer erhielten, was sie verlangten, da konnte sie sich in ihre Kammer zurückziehn und hier auf die kunstreich mit Eisen beschlagene Kiste, die in der Ecke stand, sich setzen, um, die Hände im Schoße faltend, mit schwerem Herzen den Entschluß zu fassen, dem keine Ausrede ihr mehr zu entweichen half.

Was dann, was nachher, wenn sie zu Lorenz nachdrücklich gesprochen, geschehen werde, das stand ihr klar genug vor der Seele. Eben so sicher, wie sie wußte, daß Lorenz in heftigsten Zorn geraten würde, wenn Herbert selbst ihm mit seinen Anträgen komme, wußte sie auch, daß Lorenz gehen werde, wenn Sie, Thekla, es von ihm gebieterisch verlangen werde.

Und dieser Gedanke, daß Lorenz in die Welt gehen werde - von ihr fortgesandt, um nie wiederzukehren - dieser Gedanke bekam nun, je länger sie sann und sann und brütete und sich alles, was sie mit Lorenz je gesprochen und erlebt, zurückrief, von der Zeit an, wo sie noch miteinander in die Schule gegangen, und dann später, als er Knecht auf dem Hofe und sie alle beide auch noch rechte Kinder gewesen, eine wachsende Schwere und unselige Bitterkeit.

Je länger sie alles in ihrem verzagenden Herzen wieder und wieder durchlebte, desto mehr schien es ihr unmöglich, ihn für immer und ewig fort in die harte Welt zu senden! -

Aber wie sie vorhin die Ausrede gehabt, daß um sich klar zu werden, was sie tun solle, sie erst allein müsse mit sich zu Rate gehen können, so hatte sie jetzt wieder die Ausrede vor sich selbst, daß sie ja nicht heute, nicht morgen gleich zu suchen brauche, Lorenz zu sprechen. Es kam ja wohl eine Stunde, wo ihn der Zufall ihr entgegenbrachte, und bis dahin hatte es Zeit. Morgen ging es ohnehin nicht - da sollte die Kartoffelernte beginnen, bei der alle Hände mit ihren Forken draußen auf dem Felde beschäftigt waren, und sie, Thekla, das alleinstehende Haus nicht verlassen konnte.

Mit diesen Gedanken sich tröstend und tief aufseufzend sprang sie auf. Draußen in der Küche war es still geworden. Als Thekla hineintrat, hatten die Gäste sich allgemach verlaufen, auch Herbert war bereits gegangen, nur der Landmesser war noch da und unterhielt sich, wohl auf Thekla harrend, mit wortreicher Zähigkeit mit der Großmagd, die jetzt den großen Kessel für das Jungvieh aufhing und füllte. Thekla war nicht in der Stimmung seinem Gerede standzuhalten; sie ging in den Baumhof hinaus und dann weiter durch das offenstehende Heck im Hürdenzaune, der den Hof umschloß, ohne Ziel in die Dämmerung hinein, die sich über die Kämpe und die sie umschließende Heide legte. Es war ihr am wohlsten in der freien Gotteswelt, die rings um sie her so still, so schweigend dalag, als scheue jetzt, wo der Sonntag mit seinem Gottesfrieden dahin war, dennoch alle Kreatur sich, zuerst wieder das Geräusch der Werktagswelt zu beginnen. So folgte Thekla dem ausgefahrenen Wege, der von ihrem Hofe und aus der Bauerschaft zum Kirchdorfe führte, lässig schreitend, zuweilen sich bückend, um eine verspätet blühende Blume vom Rande eines noch nicht geschnittenen Buchweizenackers zu pflücken, um sie dann gedankenvoll zu zerzupfen.

Sie kam bis zu dem großen Heiligenbild, das hier am Kirchwege von ihren Vorgesessenen vor langen Zeiten errichtet war; eine große Steintafel, auf der in rohem Reliefwerke zu sehen war, wie Jesus, von Henkersknechten getrieben, unter dem Kreuze zusammenbricht; sie stand auf einem Unterbau von Ziegelsteinen und war mit einem breiten Steinrahmenwerk umgeben. Tannen waren zur Seite und dahinter gepflanzt, die, in dem Sandboden üppig gedeihend, wie ein dichter Busch waren, während die zwei Ebereschen, die rechts und links standen, verkrüppelten und verkamen. Thekla sah, als sie herangekommen, einen Menschen auf der Kniebank vor dem Bilde hocken; sie wollte einen Beter nicht stören und wandte sich heimzugehen, da schnellte die Gestalt in die Höhe, machte ein paar rasche Schritte ihr nach und rief mit gedämpfter Stimme: "Thekla, bist Du es?"

Thekla erschrak aufs heftigste. Nun wieder sich umkehrend, versetzte sie atemlos: "Lorenz - Du hier?"

"Ich bin's, Thekla", sagte er, ihre Hand ergreifend und sie zu dem Bild ziehend. "Da setz' Dich hin, Thekla, ich hab' Dir was zu sagen. Da auf die Bank setz' Dich, da kannst's hören, ohne daß Du umfällst vor Schrecken. Es ist gut, daß Du daherkamst, ich grübelte just darüber nach, wie ich zu Dir kommen sollte, um Dir's zu sagen; denn Deinen Hof, den hast Du mir ja verboten und vor den Leuten Dich anzureden auch, und..."

"Ist's das, was Du mir sagen willst, Lorenz, die alten Vorwürfe und Klagen, wo Du doch weißt, daß ich nicht anders kann und darf... sei lieber still und höre, was ich Dir auszurichten habe von Herbert, der will..."

"Den Herbert habe ich vorher an mir vorüberstelzen sehen, hochbeinig, wie einen Hahn, er bot mir die Zeit nicht und ich ihm auch nicht; sei mir still vom Herbert; ich habe Dir was anders zu sagen, was Du wissen sollst, nur Du auf der weiten Gotteswelt allein; ich will, daß Du's hörst, damit Du siehst, wie Du meine ganze Seele hast, und weil ich keine Ruhe nicht habe, bis auch Du es weißt und es zwischen uns beiden ist, wie ein Siegel, das zwei Blätter zu einem macht und.. und weil ich's auf Dich drücken will wie eine Geschrift, die Dir in allen Stunden vor Augen hält, daß ich nichts in mir haben und nichts in mir verhalten kann, was nicht Dein ist..."

"Um Gottes Barmherzigkeit willen, was hast Du denn?" rief Thekla aus, geängstigt von der Bank, auf die sie niedergekauert war, zu dem stattlichen jungen Menschen mit den durch die Dämmerung sie anleuchtenden glänzenden Augen aufblickend, der wie erhitzt den Hut neben ihr niedergeworfen hatte und den Abendwind durch sein volles dunkles, vom Militärdienst noch gekürztes Haar streifen ließ.-

Lorenz hatte mit einer so erschreckenden, so wie aus seiner innersten Seele kommenden Leidenschaft gesprochen, mit einem solch wunderlichen, wie über sich selber erhabenen Wesen, daß Thekla ganz verzagt die Hände ineinander zusammenpreßte, als sie ausrief:

"Um Gotteswillen, Lorenz, was hast Du denn, was hat es denn gegeben?"

"Was es gegeben hat?" sagte er mit einem Versuch, wild aufzulachen, der ihm doch nicht gelingen wollte - das hat es gegeben, nach der Vesper heut, auf dem Kirchhof, da hat der Vorsteher es verkündet - wer's herausbringt, wer den Mann ausspürt, der den Philipp totgeschossen hat, der bekommt hundert Taler zum Lohn; hundert Taler haben sie auf seinen Kopf gesetzt! Die Strohköpfe, die Dummbärte, erfahren tut's doch keiner von ihnen, erfahren tut es, so lange die Welt steht, kein lebendiges Menschenkind, nur Du allein, Thekla, sollst's erfahren: den Philipp, den hab' ich totgeschossen! Ich!"

"Gott, allmächtiger Gott!" schrie Thekla auf und fuhr von ihrer Bank empor und stemmte den linken Arm auf die Kante des Mauerwerks hinter ihr, als ob sie sich stützen müsse, damit ihre Kniee sie trügen - allmächtiger Gott, Lorenz, das lügst Du, das ist gelogen - sag' daß es gelogen ist..."

"Gelogen? Wozu sollt' ich's lügen? Wozu ? Nein, Thekla, just weil's wahr ist, hat's mir das Herz abgedrückt, bis ich's Dir sagen konnte, Dir auf der Gotteswelt allein. Dem Pfaffen werd' ich's nicht in die Ohren hängen - an des Pfaffen Kram glaub' ich nicht - aber Du, Du sollst's wissen..."

"Es ist mein Tod!" jammerte, auf die Bank zurücksinkend, Thekla.

"Weshalb sollt's Dein Tod sein?" fiel wieder mit dem Versuch aufzulachen, der jetzt noch weniger gelang als eben, Lorenz ein - "so arg ist's nicht! Aug' um Aug' und Zahn um Zahn - und erfahren tut's keiner nicht! Willst hören, wie's gekommen ist? Will Dir's erzählen..."

Auf Theklas Antlitz lag der starre Ausdruck tiefster Verzweiflung. Aber wenn sie ihn auch anstarrte, als ob er etwas ihr Fremdes, Wildes sei - es verstörte ihn nicht; die Dämmerung war schon tief geworden, und wär es auch nicht gewesen, er war viel zu erregt, um nicht fortreden zu müssen, wie er begonnen.

"Sieh, so ist's gekommen", sagte er, "die Alte ist krank, das weißt Du, hast ja oft genug ihr ein Labsal aus Gutheit in ihre Hütte geschickt, krank ist sie noch immer, aber doch auf der Besserung, und letzthin, da sagte der Doktor, als er einmal wieder angeritten kam, es würde Wunders gut tun für sie, wenn sie nun täglich ein Glas reinen Rotwein haben könnte - aber rein müßte er sein, nicht was sie im Wirtshaus im Dorfe dafür teuer verkauften, das sei Wasser, Schnaps und Heidelbeerbrühe, womit die armen Leute betrogen würden. In der Apotheke in der Stadt, da hätten sie wohl Krankenwein, aber der sei auch gewaltig teuer und zu stark für die alte Frau. Es müsse reiner, guter Franzwein sein.- Und damit ritt er fort, ohne weiter zu helfen; denn daß wir wußten, reiner Rotwein werde die alte Frau wieder zu Kräften bringen, was half uns das? Na, dacht ich, hilf dir selbst, geh hinüber auf die andere Seite, die Mynherren da, die verstehen sich auf einen guten, reinen Franzwein, und für's halbe Geld ist er da zu haben, für weniger, als das halbe Geld, das weiß man ja auch! Nun gut also, ich nehme meine paar Groschen zusammen und sehe auch, ob die alte Entenflinte in Ordnung ist, und am andern Morgen, wie das Wetter nicht zu hell und klar ist, warf ich sie über den Rücken und stapfe los. Komm' auch ungesehen durch das Brook und ins Wasser und fahre mit des Lehmbauers Kahn, den ich weiter oben, wo er seinen Aalfang hat, liegen wußte, hübsch still und sachte über. So zwischen neun und halb zehn bin ich in Torlinden, kaufe beim Weinhändler sechs Flaschen guten Franzwein, die mir der Mann in zwei Pakete packt, sie sicher und leicht auf den Schultern zu tragen, an jeder Seite eines, und so mache ich mich damit heimwärts auf die Strümpfe. Am Wasser finde ich den Kahn geduldig in den Weiden liegen, wo ich ihn gelassen hatte, und die Flinte, die ich hineingelegt, auch, und so fahre ich in Stille und Ruhe und nichts Arges ahnend, denn wieder über; mache aber, daß ich vom Wasser fortkomme, weil der Mond vorwitzig durch die Wolken darauf zu scheinen angefangen hat, und daß ich in den Schatten des Brooks, wo's zwischen den Sträuchern sichrer ist, gelange. Als ich nun drüben den Kahn eben wieder festmachen will, hör' ich oben über mir wie etwas durch's Gezweig brechen - ich schaue auf und sehe einen Kopf mit einer Mütze, wie sie die Aufseher tragen, über die Büsche herschauen - rasch laß ich den Kahn Kahn sein, greife nach meiner Flinte und laufe das Ufer seitwärts hinauf, um, um ihn herum, an dem Mann vorüber zu kommen. Er aber ist auch nicht faul - er mir nach, und mir schon ganz nahe, ruft er: "Steh, oder ich schieße!"

"An der Stimme erkenn ich den Philipp, den schlimmsten von ihnen - und hör's noch einmal ganz wütend: "Kanaille, steh' oder ich schieße" - und dann, wie ich nun weiter laufe aus Leibeskräften, da zischt's schon und paff! hör' ich den Schuß und die Kugel, mir am Kopf vorbei, das zischt wie eine giftige Schlange; getroffen muß er mich haben, mein ich im ersten Augenblick. Und da wird's mir feuerrot vor den Augen aus Zornigkeit und heller Wut - was, geht's mir durch den Kopf, mich totschießen willst du, weil ich für ein armes krankes Weib etwas geholt habe, da wo ich's am besten habe finden können - schießen kann ich auch, so gut wie du, bei den Soldaten hab' ich's gelernt, da, da hast's, und nun wirst du mich schon gehen lassen!

In den Kopf hab' ich ihn geschossen. Ganz schweren Hagel hatt' ich drin, Rehposten. Er lag, und ich denk' nicht, daß er sich noch gerührt hat. Ich bin fortgelaufen. Ihren Wein hat die alte Frau gekriegt. Er tut ihr Wunders gut. Der Doktor, der weiß nicht, daß sie ihn hat, wundert sich, wie rasch sie wieder zu Kräften kommt. Er sagt, es tue es jetzt auch ohne den Wein!"

"Das also ist's, was Du mir sagen mußtest?" flüsterte jetzt mit dem Tone des tiefsten Verzagens Thekla. "Nun ist's ja mit allem aus und zu Ende, Lorenz! Du bist ein Mensch, an dessen Händen Blut klebt."

"Was soll's, ich hab' mich gewehrt! Schuß um Schuß! Der seine hat nicht getroffen, der meine traf!"

"Du sprichst, als ob Du kein Christ wärst, wie ein Wilder, wie ein Heide. Mir bricht das Herz drüber, Lorenz!" Sie sank zusammen; sie stützte ihre Arme auf die Knie und barg ihr Gesicht in den Händen. Sie begann heftig zu weinen, zu schluchzen.

"Aber um Gotteswillen", sagte Lorenz nach einer langen Pause, während welcher er wie ratlos und ganz betroffen da gestanden und auf sie niedergeschaut hatte, als ob er auf eine solche Wirkung seiner schrecklichen Erzählung gar nicht gefaßt gewesen - "aber um Gotteswillen, was schluchzt Du denn darüber so erbärmlich? Ich hab' mich gewehrt, das ist alles, und der Philipp hat, endlich seinen Lohn gekriegt..."

"Und Du fühlst nicht, daß uns das auseinanderbringt, uns tot macht, eines für das andere von nun an bis in alle Ewigkeit? Du fühlst nicht, daß ich jetzt nur noch Furcht und Schrecken vor Dir haben kann - und die Angst, die bittere Seelenangst nur noch, daß es doch einmal verraten wird, doch einmal an den Tag kommt..."

"Und daß sie mich dann hängen dafür? Nun, ich denk', sehr viel Schaden um mich wär's just nicht! Auch sind auf diese Art wohl mehr Burschen aus der Welt gegangen, die's weniger schlecht in dieser Welt hatten und denen sie nicht so vergällt und so verbittert war wie mir."

"Oh, klag Du noch die Welt an! Du bist ein unseliger, gottloser Mensch, Lorenz, und ich will nichts, gar nichts mehr von Dir hören - nichts mehr - laß mich - ich will fort - laß mich - fort will ich!"

"Ist das das letzte, was Du mir in dieser Stunde zu sagen hast? In dieser Stunde, Thekla, wo ich so, mit solch einem Bekenntnis hin zu Dir gekommen?" sagte er mit einem plötzlichen Weichwerden und Erzittern seiner Stimme.

Sie war aufgestanden - den Kopf gesenkt, die Arme, mit denen sie Lorenz, der sie zurückhalten wollte, abgewehrt, jetzt schlaff niederhängenlassend, haucht sie kaum hörbar: "Wie kannst denken, es sei nicht das letzte? Du gehst mir auch nicht nach! Du sollst's nicht; ich sag' Dir, ich will's nicht!"

Diese letzteren Worte hatte sie plötzlich mit einer Heftigkeit gesprochen; es mußte etwas über sie kommem, was sie zwang, um fest und sie selbst zu bleiben, plötzlich so gebieterisch zu tun. Und dann schritt sie mit großen Schritten, aber doch nur langsam, wie schwankend zurück in die jetzt schon dunkelnde Nacht hinein.

Lorenz fuhr sich mit der Hand über die schwitzende Stirn und dann hob er seinen Hut vom Boden auf und stülpte ihn auf seinen verwegenen Kopf, ihn mit einem zornigen Ruck tiefer in die Stirn ziehend als nötig war. Wie hätte sich in sein Gefühl in diesem Augenblick nicht auch eine gute Dosis Zorn mischen sollen über die grenzenlose Enttäuschung, die er erfahren! Er, der aus so einem tiefinnerlichen Seelendrange, einem so reinmenschlichen Triebe des Bekennenmüssens und Vertrauens unter dem Impulse von allem, was gut in ihm war, gekommen und der so tieferschüttert gefühlt, wie es gar nicht anders sein könne, als daß er Theklas ganzes Herz mit dem, was er ihr gestand, erfülle und für ewig an sich binde! Und nun hatte sie's so genommen - nur an den Mord, die Bluttat hatte sie gedacht, nur den weiblichen Schrecken davor empfunden, und nichts, gar nicht andres. Nichts von Teilnahme für seine Empörung, daß ein lauernder, spionierender Scherge ihn ins Unglück bringen wolle, weil er seiner armen, kranken Mutter eine Stärkung zu verschaffen gegangen, gegangen so viele Stunden weit und seine letzten paar Taler in der Tasche. Nichts von seinem grimmigen Stolz, daß er so fester Hand seinen Mann stehe, wenn das "Aug' um Aug'" zur Geltung kam. Nicht ein Wort auch hatte sie gehabt, um ihm innerlich beizustehen, ihm eine Seelenstärkung zu geben; denn das war's doch auch, was er, wenn er sich's auch nicht groß ausgesprochen, gehofft; es lag doch seit seiner Tat ein wunderlicher Druck auf ihm, so eine Verstörung, ein Hang zum Alleinsein, ein Gift wider die Leute und eine innere Bosheit wider die ganze Welt. Und was Thekla zu ihm sprechen werde, so hatte er gedacht, gehofft, würde wie beruhigendes (tm)l, wie ein Balsam dawider sein! Und nun war das der Balsam, den sie für seine Wunde gehabt!

Mag sie's denn so nehmen! sagte er sich endlich, auch davon und seiner Hütte zuschreitend. Ich denk', wenn sie den ersten Weiberschreck überwunden hat, wird sie's schon einsehen, wie ich's gemeint hab', als ich zu ihr geredet habe. Mögen nun die andern, der Herbert, zu ihr gehen und sehen, ob sie ihr auch so etwas sagen können!

Wir müßten Lorenz besser machen als er ist, wenn wir sagten, er habe Reue über den Schrecken und die Seelenpein empfunden, welche er dem armen Mädchen bereitet. Nein, die Verfeinerung des Gefühls, die ihm eine langjährige unglückliche Neigung vermittelt, ging nicht bis zu diesem Grade der Entäußerung des Egoismus. Er grollte ihr ja wegen dieses Schreckens, er schalt ihre Seelenpein weibische Torheit - und was er dachte, immer getrösteter dachte, je weiter er durch die Nacht über die Brachfelder seinem Kotten zuging, das war, daß ihr Erschrecken, ihr ganzes Wesen, ihr Jammern und ihr kummervolles Reden vom Nichtwiedersehen ihm bewiesen habe, wie sehr sie trotz alledem an ihm mit ihrem ganzen, tiefsten Herzen hing.