Billiglöhne auf deutschen Äckern| Deutschlandfunk vom 05.04.05

AUS DER SENDUNG VOM 05.04.2005 (siehe auch www.dradio.de)
Billiglöhne auf deutschen Äckern

300.000 Saisonarbeiter unter schlechten Konditionen beschäftigt
Moderation: Stefan Heinlein
Die Diskussion ist nicht neu: Immer mehr osteuropäische Saisonarbeiter sind in Deutschland für Mindestlöhne beschäftigt und werden deutschen Arbeitern gegenüber bevorzugt. Hans-Joachim Willms von der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt beklagt diese Situation und wirft dem Bauernverband vor, nichts daran zu ändern.

Stefan Heinlein: Vor der Sendung habe ich mit Hans-Joachim Willms von der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt gesprochen und ihn gefragt, ob die Diskussion eine Chance für die Menschen ohne Job ist.

Willms: Man muss sich bloß überlegen, wie das alles entstanden ist. Ich will nur eine Zahl nennen: Wir haben 1990 12.000 Saisonarbeiter gehabt. Heute haben wir 300.000, und die kommen fast alle aus Osteuropa. Der Bauernverband und sein Präsident Herr Sonnleitner wollen, dass diese Entwicklung so weitergeht, aber nur deshalb, weil heute die Löhne einfach unwahrscheinlich niedrig sind. Wir haben Löhne von im Schnitt fünf Euro. Da werden auch noch zum Teil Sozialversicherungsabgaben fällig, die Wohnung wird teilweise angerechnet, da kommt so gut wie gar nichts bei rum. Aber diesen Zustand will der Bauernverband belassen. Vor 1990 haben wir diese Probleme nicht gehabt, weil einfach mehr bezahlt worden ist.

Heinlein: Wie viele von den 300.000 Saisonarbeitern könnten denn ersetzt werden durch deutsche Arbeitslose?

Willms: Wenn ich jetzt eine Zahl sagen würde, dann würde ich einfach in die Sterne greifen. Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass wir vor 1990, vor der Öffnung, überhaupt kein Problem mit Saisonarbeitern hatten.

Heinlein: Woran liegt es denn, dass die deutschen Spargelbauern und so viele Landwirte in der Gastronomie sagen, wir wollen keine deutschen Arbeitslosen, die ausländischen Arbeiter arbeiten einfach besser?

Willms: Ich weiß nicht, ob sie besser arbeiten. Wir haben über 100.000 landwirtschaftliche Arbeitnehmer in der Bundesrepublik, die das ganze Jahr beschäftigt sind, und die machen eine hervorragende Arbeit. Also das kann es nicht sein. Meine These ist, dass der Bauernverband das nur über den Preis regeln will, und man kriegt heute keine deutschen Arbeitnehmer, auch wenn es Saisongeschäft ist, für fünf Euro. Wenn ich noch Sozialversicherungsbeiträge bezahlen muss, bekomme ich sie einfach nicht, und das ist der Hauptgrund.

Heinlein: Ist nach Hartz IV der Druck insgesamt auf die deutschen Langzeitarbeitslosen gestiegen, diese Jobs, diese 1-Euro-Jobs in der Gastronomie oder Landwirtschaft zu übernehmen?

Willms: Also ich meine, der ist gestiegen. Es werden zum Beispiel aus Niedersachsen landwirtschaftliche Arbeitnehmer gesucht, aber eben nicht für einen Monat, sondern auch für länger. Die Landwirte tun sich unwahrscheinlich schwer, welche zu bekommen, weil sie einfach die Verträge zum Beispiel nicht einhalten wollen.

Heinlein: Ist das also ein positiver Effekt von Hartz IV?

Willms: Das ist auf jeden Fall ein Effekt, indem man sagt, in der Landwirtschaft gibt es auf jeden Fall interessante Arbeitsplätze, auch hochtechnisierte. Da gibt es diesen Effekt, und man guckt wieder in eine Sparte rein, wo man auch Arbeit finden kann.

Heinlein: Muss der Druck auf die deutschen Landwirte - und es gibt ja auch andere Bereiche, etwa in der Gastronomie - steigen, damit man tatsächlich nicht ausländische Saisonarbeiter nimmt, sondern deutsche Langzeitarbeitslosen? Wie kann dieser Druck aussehen?

Willms: Ich sage mal ein Beispiel. Wir haben in den letzten Jahren immer Probleme mit den Unterkünften von Saisonarbeitern gehabt. Die Arbeitsstättenverordnung gilt hier im Gegensatz zum Baubereich nicht. Wir haben keine Regelung, es wird kaum kontrolliert, und wenn Sie sich die Zeitungen innerhalb eines Jahres mal angucken, was da alles passiert, wie die Unterbringung ist, ist das zum großen Teil katastrophal. Hier, meine ich, hat der Gesetzgeber eine Pflicht, dass diese Menschen ganz normal untergebracht werden, und muss auch die Landwirte zwingen, diese Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, und das wird heute nicht gemacht, aber damit spielt der Bauernverband. Die spielen damit, dass sie im Prinzip im Zelt oder im Wohnwagen irgendwo schlafen, um dann billig bei ihnen auf dem Feld zu arbeiten, und sie haben das durch ihre Lobbyarbeit bisher geschafft.

Heinlein: Wäre es umgekehrt nicht einfacher, Menschen aus der Region zu nehmen? Denn dann stellt sich ja dieses Unterbringungsproblem überhaupt nicht.

Willms: Das wäre das Einfachste. Das war bisher auch immer so. Wenn man jetzt in den letzten Jahrzehnten zurückguckt, war das kein Problem. Ich kenne zum Beispiel keine Kirsche und keinen Kohlkopf, der nicht irgendwo geerntet worden ist vor 1990.

Heinlein: War es in der Vergangenheit durch diese Entwicklung, die Sie geschildert haben, so, dass sich viele Deutsche einfach zu Schade waren, diese schweren Jobs in der Landwirtschaft zu übernehmen?

Willms: Nein. Die Jobs sind früher gemacht worden. Teilweise durch Schüler, teilweise nebenbei, indem man sich etwas verdienen wollte. Das haben auch viele Hausfrauen nebenbei gemacht, und es wurde dort auch anständig bezahlt. Nach der Öffnung der Arbeitsmärkte haben die deutschen Landwirte eins gemacht: Sie haben gesagt, wir kriegen das einfach billiger, und deshalb wollen sie auch nicht, dass es da eine Änderung gibt. Wir verhandeln seit zehn Jahren darüber, dass die Stundenlöhne nicht mehr fünf, sondern sieben, siebeneinhalb Euro werden, damit man hier überhaupt irgendwie vernünftig leben kann. Das wird nichts. Sie sehen, sie kriegen diese Menschen ganz billig eingekauft, und mehr wollen sie nicht.

Heinlein: Was sind Ihre Erwartungen? Diese Diskussion ist ja nicht neu, sondern sie kommt eigentlich regelmäßig Jahr für Jahr. Glauben Sie, dass sich durch die Änderungen bei Hartz IV in diesem Jahr oder spätestens im nächsten Jahr etwas ändern wird an den Tatsachen, die Sie geschildert haben?

Willms: Ich glaube, dass sich da mittelfristig etwas ändern wird. Der Bauernverband schafft es auch nicht, hier aus den Schlagzeilen rauszukommen. Es gibt immer Ärger mit den Unterkünften, mit den Arbeitsbedingungen, mit der Arbeitssicherheit. Ich frage laufend nach bei der Berufsgenossenschaft, wie viele Unfälle es da eigentlich gibt; was wird da getan, damit man auch eine sichere Arbeit abliefern kann? Die wissen noch nicht mal, wie viele Versicherte sie haben, wo die Schwerpunkte sind. Man versucht das alles so schweigend irgendwie über die Bühne zu kriegen. Der Arbeitgeberverband hat selbst in Europa einen Vergleich gemacht, wie die Löhne sind in Europa, und Deutschland konkurriert hier mit Sizilien, und das findet Herr Sonnleitner in Ordnung.

Heinlein: Und die Gewerkschaften werden weiter Druck ausüben, damit sich das ändert?

Willms: Für uns ist das ein Dauerthema. Wir haben zum Beispiel mit der polnischen Gewerkschaft zusammen eine Broschüre gemacht auf Polnisch und auf Deutsch, wo wir Saisonarbeit beraten, welche Rechte sie haben, wo sie gerade bei den Unterkünften gucken müssen, dass sie da anständig liegen können. Also wir machen das nicht und sagen, wir wollen keine polnischen Arbeitnehmer hier haben, sondern wir informieren sie zusammen mit der Gewerkschaft zweisprachig. Wir machen da mehr als die Arbeitsverwaltung.

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