Interview mit dem Nobelpreisträger Horst Bethe in der Süddeutschen Zeitung vom 31.10.2002

Aus der Süddeutschen Zeitung vom 31.10.2002

Weh uns, wenn eine Nation den Vertrag bricht


Der Nobelpreisträger und Mitarbeiter an der A- und H-Bombe Hans Bethe zählt zu den wichtigsten Vordenkern der Friedenspolitik im Atomzeitalter.

SZ: Wie denken Sie heute, fünfzig Jahre nach dem ersten Test, über die Wasserstoffbombe?

Hans Bethe: Sie ist eine ganz üble Sache. Aber sie hat bisher nichts am Lauf der Welt verändert. Alle anderen Großmächte bekamen sie nach kurzer Zeit auch: Russland 1955, Großbritannien 1958, China und Frankreich in den Sechzigern. Alle Nationen scheinen den ungeschriebenen Vertrag unterzeichnet zu haben, dass Atombomben in keinem Krieg eingesetzt werden dürfen. Fünfzig Jahre lang konnten wir damit leben. Aber weh uns, wenn eine Nation den Vertrag bricht! Die Wasserstoffbombe würde dieses Weh noch sehr verschlimmern.

SZ: War die Entwicklung der Wasserstoffbombe eine historische Zwangsläufigkeit?

Bethe: Ja, das glaube ich. Nachdem einmal das Prinzip der dafür benötigten Kernreaktion gefunden war – und Sie werden sich erinnern, dass auch Sacharow ganz ohne Spionage auf die Lösung gekommen war –, konnte keine verantwortlich handelnde Regierung auf die Entwicklung der Bombe verzichten. Dies liegt in der Natur des Begriffs vom Gleichgewicht der Macht.

SZ: Aber hätten nicht die Wissenschaftler selbst die Entwicklung der Bombe verhindern können, wenn sie wirklich gewollt hätten?

Bethe: Dafür hätte es einer internationalen Übereinstimmung aller beteiligten Wissenschaftler bedurft, von der ich mir nicht vorstellen kann, wie sie hätte eingefädelt oder erreicht werden können. Wir konnten uns ja noch nicht einmal in unserem eigenen Land einig werden.

SZ: Welche Zukunftschancen geben Sie der Menschheit – insbesondere angesichts einer zunehmenden Verbreitung des Wissens über die Technologie von Kernwaffen?

Bethe: Ich fürchte, dass ich hier keine Antwort weiß. Indien und Pakistan besitzen Atombomben. Wie Russland und die Vereinigten Staaten während des Kalten Kriegs entwickelten sie sie mit der Absicht, ein Gleichgewicht der Abschreckung herzustellen. Nordkorea weicht davon ab. Ich glaube, Nordkorea baut Kernwaffen, um sich Respekt zu verschaffen – ein sehr viel gefährlicheres Motiv. Was die islamischen Staaten angeht: Ich kann nur hoffen, dass die fortschrittlicheren Kreise überhand gewinnen über die fundamentalistischen Kräfte, und dass ihr Hass auf den Westen und Amerika im besondern abnimmt.

SZ: Besteht die Gefahr, dass Terroristen sich Kernwaffen verschaffen?

Bethe: Ob subnationale Terroristenbanden sie bekommen können? Vielleicht nicht. Aber haben sie sie nötig? Sie haben ein großes Talent für organisierte Bösartigkeit bewiesen. Ich hoffe sehr, dass kein Staat terroristische Organisationen mit der Atom- oder Wasserstoffbombe ausstattet.

SZ: Wie aufwändig ist es heute, eine Kernwaffe zu bauen – bei den heute verfügbaren Möglichkeiten?

Bethe: Es ist alles andere als einfach, sich alles Material zu verschaffen, und ich meine nicht bloß das Uran. Außerdem benötigt man eine große Menge hoch spezialisierten und präzisen Wissens, selbst wenn man alles Material schon in einem Selbstbaukasten für Atom- oder Wasserstoffbomben beisammen hätte.

SZ: Verdanken wir es der Weisheit der militärischen und politischen Führung, dass es die letzten 50 Jahre keinen Atomkrieg gab, oder war es bloßes Glück?

Bethe: Hauptsächlich, glaube ich, verdanken wir es einer starken Neigung zur Selbsterhaltung, verbunden mit einer mehr rationalen als ideologischen Herangehensweise an die Politik. Und zu einem gewissen Grad, meine ich, verdanken wir es auch der nicht wohlbegründeten, der fast universellen Angst vor nuklearer Strahlung.

Interview: Ulrich Kühne

Entnommen aus SZ-Archiv

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 jdm

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