Streiflicht der Süddeutschen Zeitung zum Tag des älteren Menschen

Das Streiflicht der Süddeutschen Zeitung vom 1.10.2002


(SZ)Sicher haben manche, die es angeht, auf dieses granatenmäßige Event schon so lange gewartet, dass sie darüber grau geworden sind. Man schrieb das Jahr1990, als die Vereinten Nationen den 1. Oktober zum „internationalen Tag der älteren Menschen“ erklärten, und seitdem ist das ein fröhliches, weltumspannendes Fest, von dem, nimmt man die Sache wörtlich, praktisch keiner ausgeschlossen ist.

Gibt es doch so gut wie immer einen, der jünger ist, so dass bis auf diesen einen ausschließlich ältere Menschen existieren, welche sich an diesem Dienstag dankbar und fröhlich hochleben lassen. Wahrscheinlich geht es ihnen dann wie den Bäumen der Welt, welche am internationalen Tag des Baumes so entspannt ihre Glieder ausstrecken, als gäbe es weder Förster noch Miniermotten und Borkenkäfer.

Wahrscheinlich ist das aber gar nicht so gemeint. Ältere Menschen waren früher einmal alternde oder alte Menschen. Sie als solche zu bezeichnen, gilt jedoch nun als unsportlich, wenn nicht gar als rücksichtslos. Alte Männer und alte Frauen treten nur noch in der Literatur auf, im normalen Leben sind sie nur älter als andere, oder sie sind Senior(inn)en. Die Franzosen haben für sie die Klasse des troisième âge erfunden, des dritten Lebensalters, wobei weitgehend offen bleibt, wann das zweite endet. Manche Frauen verharren zeitlebens in der mittleren Stufe, was einer von innen wirkenden Kraft oder der modernen Chirurgie zu danken ist. Manche Männer hingegen altern zwar äußerlich, kommen aber wesensmäßig nie ganz über die Pubertät hinaus – was ursprünglich nicht so vorgesehen war.

Allerdings wäre wenig gewonnen, wenn die Rücksichtnahme nur semantischer Natur wäre. Die modernen Gesellschaften reagieren auch sonst sehr sensibel auf die ersten Anzeichen des Alters. Arbeitgeber rühmen nimmermüde den Erfahrungsschatz und die soziale Kompetenz langgedienter Arbeitnehmer. Sie sind aber auch so feinfühlig, den über 50-Jährigen die schwierige Entscheidung darüber abzunehmen, wann die Maloche ein Ende haben soll. Dass die Jüngeren, die dann nachrücken, billiger sind als die Älteren, ist ein unerwünschter, aber hinzunehmender Nebeneffekt. Die über 50-Jährigen werden nun frei für selbstlos zu verrichtende Dienste in der so genannten Zivilgesellschaft, was ihnen mit schönen Worten gedankt wird. Später winken ihnen spezielle Seniorenheime mit allerlei Kurzweil und so viel Personal, dass die Zuwendung kein Ende nehmen will. Kinder und Kindeskinder stören das Idyll nicht über Gebühr, weil sie, dem allgemeinen Gebot der Mobilität folgend, über das ganze Land verstreut sind. Somit wäre also alles bestens bestellt für die älteren Menschen, jedenfalls in diesen Breiten. Am Freitag ist dann Welttiertag.

Aus der Süddeutschen Zeitung vom 1.10.2002

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