Interview der Süddeutschen Zeitung mit Petra Roth (CDU), Präsidentin des Deutschen Städtetages


„Es gibt neue Hiobsbotschaften“

Petra RothPetra Roth (CDU), Präsidentin des Deutschen Städtetages und Oberbürgermeisterin von Frankfurt am Main, über die Finanznot der Kommunen in der Süddeutschen Zeitung vom 25.07.2002. Interview: Joachim Käppner


SZ: Hätten Sie jemals gedacht, dass eine so reiche Stadt wie die bayerische Landeshauptstadt München sagen würde: Wir sind pleite?

Roth: Vor zwei Jahren wäre das noch unvorstellbar gewesen. Dann aber hat sich 2001 die Finanzkrise der Städte durch dramatische Einbrüche bei der Gewerbesteuer zugespitzt. Inzwischen leidet fast jede mittlere oder große Stadt unter dieser Krise, nun sogar München.

Viele Großstädte mussten 2001 ein Minus von mehr als 20 Prozent bei der Gewerbesteuer verkraften, bei uns in Frankfurt sank das Volumen sogar um 38 Prozent. Dass jetzt auch München hart getroffen wird, muss erneut allen Politikern in Bund und Ländern zeigen: Ohne eine tief greifende Reform der Gemeindefinanzen können die Städte nicht überleben. Viele Städte stehen bereits vor dem finanziellen Kollaps.

SZ: Was ist die Hauptursache für die Krise?

Roth: Neben der Konjunktur sind Gesetze von Bund und Ländern für diese Krise verantwortlich. Die Gewerbesteuer ist durch den Gesetzgeber immer mehr ausgelaugt worden. Aber es geht nicht nur um die Gewerbesteuer. Bund und Länder haben den Kommunen immer mehr Aufgaben aufgebürdet, ohne ihnen das Geld dafür zu geben. Deshalb müssen wir dringend von Aufgaben und Ausgaben entlastet werden, besonders bei der Sozialhilfe.

SZ: Welchen Anteil hat denn die Steuerreform der jetzigen Bundesregierung an der akuten Finanzmisere der Städte? Viele Kommunen erheben heftige Vorwürfe, sie müssten jetzt die Folgen der Reform ausbaden, weil immer weniger Unternehmen noch Gewerbesteuer zahlen müssen.

Roth: Die positiven Entlastungen von Bürgern und Wirtschaft durch die Steuerreform der jetzigen Bundesregierung haben zu erheblichen Mindereinnahmen bei den Kommunen geführt. Das ist auf Dauer nur zu verkraften, wenn die Städte an anderer Stelle entlastet werden. Die Einbrüche bei der Gewerbesteuer sind allerdings auf verschiedene Steuergesetze der vergangenen Jahre zurückzuführen. Insofern ist dafür nicht eine Bundesregierung allein verantwortlich. Das gleiche gilt für die Verschiebung von Ausgaben auf die Kommunen.

SZ: Wird der negative Trend bei der Gewerbesteuer in diesem Jahr generell anhalten? Oder haben Sie Hoffnung auf baldige Entspannung?

Roth: Leider gibt es neue Hiobsbotschaften, und das nicht nur in München. Die meisten Städte sind bei der Gewerbesteuer schon im Keller und landen jetzt sogar in der Tiefgarage. Entgegen allen Erwartungen ist die Gewerbesteuer nach einer aktuellen Umfrage des Deutschen Städtetages im ersten Halbjahr 2002 um weitere 13,6 Prozent gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum abgerutscht, im zweiten Quartal 2002 waren es sogar 19,2 Prozent. Das ist wirklich Horror.

SZ: Kann die von Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) einberufene Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen daran überhaupt etwas ändern?

Roth: Sie kann die Krise der Städte nicht nur bekämpfen, sondern sie muss es. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Die Städte können sich nicht mit kosmetischen Korrekturen abspeisen lassen, denn vielen von ihnen steht das Wasser bereits bis zum Hals. Der dramatische Verfall der kommunalen Investitionen – um ein Drittel seit 1992 – ist zum Beispiel nicht nur schädlich für die Städte, sondern auch für die Entwicklung von Wirtschaft und Arbeitsplätzen in ganz Deutschland.

SZ: Welche Lösung schlagen Sie vor, um die Gemeindefinanzen wieder auf die Füße zu stellen?

Roth: Die Städte brauchen wieder Luft zum Atmen. Sie brauchen eine stärkere Finanzausstattung. Das heißt, Fehlentwicklungen bei Einnahmen und Ausgaben müssen korrigiert werden. Nur dann können wir unsere Aufgaben für die Bürgerinnen und Bürger ordentlich erfüllen. Die Städte fordern eine Modernisierung der Gewerbesteuer, und sie verlangen Reformen bei der Sozialhilfe.

Auf Dauer müssen die Kommunen aber auch bessere Mitwirkungsrechte bei Gesetzen oder Verordnungen erhalten. Wir müssen ähnlich wie in Österreich eine Art Vetorecht gegen Gesetze bekommen, die für uns kostenträchtig sind.

SZ: Fordern Sie auch direkte Hilfen aus Berlin?

Roth: Wir brauchen dringend Soforthilfe, die wir seit Monaten fordern: Bund und Länder müssen ihren Anteil an der Gewerbesteuer endlich auf das Maß vor der Steuerreform reduzieren. Denn es ist unverantwortlich, dass Bund und Länder den Städten von der drastisch sinkenden Gewerbesteuer noch mehr wegnehmen als vorher.

SZ: Was befürchten Sie, wenn nicht bald eine Lösung zustande kommt?

Roth: Das wage ich mir gar nicht auszumalen. Wenn Deutschland seine Städte verkommen lässt, dann wäre das eine Tragödie für unser ganzes Land.

 
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