Presserklärung des Caritasverbandes vom 7.11.2001

Solidarität bedeutet auch den Mut zu kritischen Fragen.

Caritas fordert Vorrang des Humanitären vor dem Militärischen

FREIBURG, 7.11.2001. Berechtigte Sorgen bei Politikern, Kirchenvertretern oder in der Bevölkerung über die militärischen Auseinandersetzungen in Afghanistan dürfen nach Ansicht des Deutschen Caritasverbandes nicht von vornherein als Aufkündigung der Solidarität mit den Vereinigten Staaten im notwendigen Kampf gegen den internationalen Terrorismus gedeutet werden. "Nach dem gestrigen Beschluss des Bundeskabinetts über die Bereitstellung von Bundeswehrsoldaten", so Caritaspräsident Hellmut Puschmann, "stellt sich um so mehr die Frage, welche Mitentscheidung die Bundesregierung bei den konkreten Maßnahmen hat und welchen Kriterien sie dabei folgt. Das Bekenntnis zu uneingeschränkter Solidarität kann nicht bedeuten, zu allem Ja und Amen zu sagen. Solidarität bedeutet auch den Mut zu kritischen Fragen."

Für die Caritas, so Puschmann, gehöre zu den entscheidenden Prüfsteinen die Frage, welche menschlichen Opfer die Maßnahmen fordern. "Die Beseitigung des Taliban-Regimes kann nicht Selbstzweck sein, vielmehr müssen möglichst rasch Bedingungen hergestellt werden, damit die Menschen in Afghanistan leben können." Daher müssten dringend die humanitären Hilfen für die entsetzlich leidende Bevölkerung vor dem vollen Wintereinbruch ermöglicht werden. Langfristig müssten für das geschundene Land und für die ganze Region Perspektiven für eine Zukunft in Rechtsstaatlichkeit und sozialer Stabilität entwickelt werden. Alle historischen Erfahrungen in Afghanistan lehrten, dass Einmischung von außen und taktische Bündnisse zu neuem Elend und zu weiteren unermesslichen Opfern in der Zivilbevölkerung führen.

Dass gegen den internationalen Terrorismus eine weltweite Allianz geschmiedet werden muss, steht für den katholischen Wohlfahrtsverband außer Frage. Das bedeutet aber auch, dass die Mittel völkerrechtlich und rechtsstaatlich legitim und im Hinblick auf die humanitären Folgen angemessen sein müssen.

Ein zentrales politisches Ziel muss für die Caritas darin bestehen, die Initiativen für die Verbesserung sozialer Gerechtigkeit und den Aufbau demokratischer Gesellschaftsordnungen weltweit zu intensivieren. Das erfordert auch in Deutschland eine deutliche Erhöhung der Anstrengungen für die entwicklungs- und friedenspolitische Arbeit. Besonders wichtig ist es, mit den Staaten und Gesellschaften des islamischen Kulturkreise langfristig zu einer Verständigung über gemeinsame Werte zu kommen. Nur so kann eine wirkliche Allianz gegen den Terror dauerhaft zustande kommen.

Die Caritas begrüßt und unterstützt alle politischen Initiativen, die langfristig dem Ziel eines auf sozialer Gerechtigkeit und Menschenwürde begründeten Friedens dienen. Als international tätiges Netzwerk bietet sie dabei ihre Mitarbeit an, in die sie eine langjährige und weltweite Erfahrung in der humanitären Hilfe und im Aufbau sozialer Strukturen einbringen kann.