14.08.2016 - Mehr als 50 Wippinger Auswanderer sind namentlich bekannt

Terhorst war nicht der einzige Auswanderer nach Amerika aus Wippingen

Die von Johann Tangen zusammen mit dem Familienforscher Ernst Bischoff nachgezeichnete Geschichte der Auswanderung des Wippingers Gerhard Terhorst nach Amerika im Jahr 1849 ist nicht einzigartig, sondern wirft ein Schlaglicht auf das Thema der Auswanderung, das die Emsländer Jahrzehnte lang stark beschäftigt hat, auch wenn Terhorsts Tätigkeit als Indianermissionar eher außergewöhnlich war. (siehe Übersetzung eines Artikels aus The Baraga Bulletin von 2009). Ems-Zeitung vom 09.06.2016

Wer verstehen will, warum so viele Menschen zurzeit auf der Welt unterwegs sind zu einem Ort, wo sie leben können, findet vielleicht Zugang zu den Motiven, wenn er die Lage seiner eigenen Vorfahren betrachtet. 

Viele gute Gründe auszuwandern

1849 war die Zeit unmittelbar nach der gescheiterten Revolution von 1848 in Deutschland. Die Demokratie und die persönliche Freiheit hatten ganz kurz aufgeleuchtet. Aber die Reaktion hatte die Hoffnungen militärisch niedergeschlagen. 

Im Emsland regierte weiter der Standesherr, der Herzog von Arenberg-Meppen im Königreich Hannover. Der Herzog hatte 1808 per Gesetz persönliche Abhängigkeiten vom Grundherrn (Leibeigenschaft) abgeschafft. Aber diese hatten in Wippingen nie eine Rolle gespielt, wohl aber die Abgaben und Dienste, zu denen die Bauern verpflichtet waren. 

Die Bauern hatten die Möglichkeit, sich von diesen Diensten und Abgaben freizukaufen. Dazu nahmen sie Kredite auf, die dann wie Mühlsteine auf der Entwicklung der Höfe lagen und erst Jahrzehnte später endgültig zurückgezahlt werden konnten. Land dürfte von den Bauern erst 1869 nach der Einverleibung des Königreichs Hannover in das Land Preußen verkauft werden. 

So holten sich die Bauern das benötigte Geld von denjenigen, die von ihnen abhängig waren. Das waren ihre Heuerleute, deren Pachten und Dienstverpflichtungen erhöht und deren Wohnungsverhältnisse sich verschlechterten.

Im Sommer 1845 brach in Deutschland erstmals die Krautfäule der Kartoffeln aus. Die Folge waren wegen der Missernten wiederkehrende Hungersnöte, denn die Kartoffel war parallel zum Bevölkerungswachstum mittlerweile zum Hauptnahrungsmittel geworden. In Irland kam es zwischen 1845 und 1852 als Folge mehrerer durch die Kartoffelfäule ausgelöster Missernten zu Hungersnöten, die bei einer Bevölkerung von ca. 8 Mio. zum Tod von 1 Mio. Menschen und Auswanderung von 2 Mio. Menschen nach Amerika führten. 

BuchweizenWenn es im Hümmling zudem im späten Frühjahr/frühen Sommer zu Nachtfrösten kam, war auch die ganze Hoffnung auf eine Buchweizenernte (Foto links) zerstört. Viele Moorkolonisten und auch Bauern in Wippingen lebten zum Großteil von dem Korn dieses sehr frostempfindlichen Knöterichgewächses. Die Armen des Landes, vor allem die Heuerleute, Kötter und kleinen Bauern, lebten dann tatsächlich von Brennesseln und dem wenigen, was die Armenkasse des Dorfes zur Verfügung stellte. 

Die Bauern bekamen in diesen Situationen teilweise staatliche Kredite, um Saatgut kaufen zu können. Alle anderen mussten sehen, wie sie zurecht kamen. 

Die anderen Standbeine der Hümmlinger, um zu Geld zu kommen, versiegten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Hollandgängerei   lohnte wegen der sinkenden Erlöse immer weniger. Die Herstellung von Leinen bzw. Flachs litt unter der Konkurrenz der Baumwolle. 

Und die Markenteilung führte zum Ende der Schaf- bzw. Wollwirtschaft. Bei der Markenteilung wurde das bisher von allen genutzte Gemeinland (Almende, die Mark) unter die erbberechtigten Bauern aufgeteilt, so dass alle anderen von der Nutzung des Landes ausgeschlossen wurden. Die kleinen Bauern und Heuerleute hatten ihre Schafe bis dahin in der Mark geweidet. In Westwippingen wurde die Teilung der "Ahlener-Steinbilder-Wippinger Mark' 1867 eingeleitet und offiziell abgeschlossen am 25 Januar 1886. Die Ostwippinger Mark wurde 1856 von der Werpeloher Mark getrennt. UrKatasterauszug der Strootburg von1873

Für Heuerleute und abgehende Bauernsöhne gab es also in Wippingen kaum Perspektiven. Nach der Einverleibung Hannovers durch Preußen kam der ungeliebte dreijährige Militärdienst als Auswanderungsgrund hinzu. Für eine Auswanderung war eine staatliche Genehmigung, sowie die Erlaubnis des Vaters erforderlich. Das zweite war in der Regel kein Problem; die staatliche Erlaubnis wurde aber meist erst erteilt, wenn der Militärdienst absolviert worden war. Manche verließen illegal das Land, wobei die Gefahr bestand, in Bremerhaven von den Grenzbeamten aufgehalten zu werden. An eine Rückkehr nach Deutschland war schon aus finanziellen Gründen nicht zu denken; wer illegal ausgereist war, hatte diese Möglichkeit ganz sicher nicht mehr. Ein Auswanderer war sicher, dass er seine Eltern, Geschwister und Freunde nie mehr wiedersehen würde. Es sei denn, ihm folgten weitere Familienmitglieder nach Amerika.

Terhorst: 11 Kinder auf Kleinsthof auf Strootburg

Der spätere Indianer-Pastor Gerhard Terhorst war am 4. Oktober 1829 als viertes von 11 Kindern geboren worden. Die Hofstätte der Terhorsts lag auf der Strootburg auf dem Gebiet der heutigen Hofstelle Krüp-Haskamp (Strootburg 1, frühere Hausnummer 15). Ein Vorfahre von Terhorst war Kaufmann in Sögel und hatte 1737 für das neu erbaute Schloss Clemenswerth den Stoff und das Rosshaar für 12 Matratzen geliefert. 

Die Terhorsts hatten nur wenige Hektar erworben und wurden in den Steuerlisten als Brinksitzer (andere Bezeichnungen: Kötter, Häusler) bezeichnet. Der plattdeutsche Hofname war „Strautlucks“. 

Pfarrer Gerhard TerhorstFür Gerhard Terhorst gab es nichts zu erben und als Sohn eines Brinksitzers war nicht mit einer Einheirat zu rechnen. Was ihn und seine 2 Jahre jüngere Schwester Margaretha letztendlich zum Entschluss zu einer Auswanderung nach Amerika trieb, bleibt unbekannt. Vielleicht war es die intensive Werbung der Schiffsmakler und Auswanderungsagenten, die für ihre Auswandererschiffe warben. Hier konnten billige Karten für die strapaziöse Überfahrt in den Zwischendecks gelöst werden. Wahrscheinlich hatten er und Margaretha von anderen Auswanderern gehört, dass sie in Amerika nach kurzer Zeit schon eigenes Land, genug zu essen und vor allem persönliche Unabhängigkeit gewonnen hatten. 

In einem Brief an seine Mutter Jahre später entschuldigt sich Gerhard für den großen Kummer, den er durch sein Betragen verursacht habe. Daraus lässt sich schließen, dass in Wippingen etwas Persönliches geschehen sein muss, das den Auswanderungsbeschluss begünstigte. In Amerika konnte Gerhard offensichtlich ein Studium beginnen und sich 1860 zum Priester weihen lassen. Dies wäre ihm in Deutschland nie möglich gewesen. 

Einer geht voran; viele folgen und wandern aus

Sicher ist, dass Gerhard Terhorsts Briefe aus Amerika eine Kettenwanderung auslösten, wie sie Helmut Lensing und Bernd Robben in ihrem Buch „Wenn der Bauer pfeift, dann müssen die Heuerleute kommen“ (S. 116), beschreiben. Weitere Wippinger wurden zur Auswanderung bewegt. Gerhards jüngster Bruder Lucas Terhorst, der den elterlichen Kleinsthof übernommen hatte, folgte ihm im Alter von 49 Jahren zusammen mit seiner 50jährigen Frau Margaretha, geb. Schröer und den beiden Kindern Anna Margaretha (15) und Johann (12) nach Amerika.  Grabstein von GerhardTerhorst

Quittung von 1887 über 500 MarkAm 1.05.1887 ließ sich der 25jährige Wippinger Johann Bernhard Tangen von seinem Bruder und Hoferben Gerhard Tangen insgesamt 690 Mark auszahlen (siehe Quittung links), packte seine Kisten und betrat mit seiner 23jährigen Frau Anna Kimmann aus Wahn, dem 1 Monat alten Kind Hermann und der Familie Terhorst das Auswandererschiff „Trave“ . Ihnen angeschlossen hatte sich auch der 27jährige Heinrich Voskuhl (geb. 25.04.1860 als 2. von 6 Kindern im Hause Voßkuhl, spätere Hofstelle Tieben, heute Strootburg 4).  

Und die Auswanderung hat sich gelohnt: Nicht nur für Pfarrer Gerhard Terhorst, der am 3. Oktober 1901 starb und auf dem Friedhof von Assinins im Baraga County begraben ist. Auch Johann Bernhard Tangen starb 1931 in Baraga als hochgeachteter Bauer und Bürger.

Laut Arbeitskreis Familienforschung der Emsländischen Landschaft sind im Zeitraum zwischen 1832 bis 1872 und 1874 bis 1882  ca. 17.200 emsländische und Grafschafter Auswanderer behördlich registriert worden. Inklusive des nicht überlieferten Jahrganges 1873 und der späten 1880er Jahre sowie einer Dunkelziffer nicht behördlich erfasster Auswanderer von ca. 10-30 % ergibt sich eine Auswandererzahl von mehr als 20.000 Personen – allein aus der Region Emsland - Grafschaft Bentheim!

Eine Liste von Auswanderen vom Hümmling, die der Sögeler Lehrer Holger Lemmermann auf seiner Homepage anbietet, enthält die Namen von mindestens 44 weiteren Wippingern, die zwischen 1837 und 1900 ausgewandert sind. Darin sind die aus Westwippingen (Kirchspiel Steinbild)  stammenden Terhorsts und Tangens nicht enthalten. Es scheinen die ganzen Familien Schmees und Haskamp ausgewandert zu sein. Aber auch die Namen Terhorst, Thormann, Tieken, Volmer, Wilkens, Becker, Gerdes, Hemmen, Küven, Lübbers, Lüpken, Meyer, Nortmann und Olliges tauchen auf.

Und noch ein Name, der für Wippingen Bedeutung hat, kann im Zusammenhang mit der Auswanderung nicht unerwähnt bleiben: Der Vater und einige Geschwister von Levin Schücking sind nach Amerika ausgewandert. Levin Schücking war ein Schriftsteller, der in Meppen geboren und  in Sögel aufgewachsen ist. Eines seiner Werke, eine Novelle mit dem Namen "Die Wippinger Thekla" (der Link führt zum Buchtext)  wurde vor einigen Jahren vom Heimatverein Wippingen neu herausgegeben.

Die oben beschriebenen Wippinger gehören zu den insgesamt 5 Millionen Deutschen, die nach Amerika ausgewandert sind. Wer in der Geschichte seiner eigenen Familie gräbt, findet mit großer Wahrscheinlichkeit einige Verwandten, die dazu gehörten.

In den USA ist die Ahnenforschung sehr populär. Viele möchten wissen, wo ihre Wurzeln sind. Auch Lemmermann hat sich in seiner Liste ausgewanderter Hümmlinger erkennbar auf amerikanische Quellen, die oft online und für jedermann zugänglich sind, stützen können.

Besonders genealogisch interessiert sind dabei die Mormonen. Diese glauben, dass Christus festgelegt habe, dass heilige Handlungen, z. B. die Taufe, stellvertretend für verstorbene Angehörige vollzogen werden sollten. Die  Ahnenforschung müsse daher der Arbeit für die Verstorbenen im Tempel notwendigerweise vorangehen, damit die heiligen Handlungen für die verstorbenen Vorfahren vollzogen werden könnten. Von dieser Haltung können alle Ahnenforscher profitieren, weil die Mormonen die Entwicklung von Software und Internetportalen zur Ahnenforschung massiv fördern.

 jdm/ Quellen:
- Private Dokumentensammlung Johann Tangen,
- Helmut Lensing/Bernd Robben „Wenn der Bauer pfeift, dann müssen die Heuerleute kommen“, 4. Auflage, ISBN 978-3-9817166-7-2,
- In Emsländische Geschichte 7, 1998, "Die Agrarreformen des 19. Jahrhunderts im Herzogtum Arenberg-Meppen" von Josef Gertken
- Wilhelm Jansen und Johann Tangen, 250 Jahre Strootburg, 2001,
- Holger Lemmermann, Auf dem freien Hümmling, 1995
- http://lemmermann-genealogie.de/
- Arbeitskreis Familienforschung der Emsländischen Landschaft
- Ems-Zeitung vom 09.06.2016
- https://www.mormon.org/deu/genealogie

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